Volltext: Deutsche Naturwissenschaft, Technik und Erfindung im Weltkriege

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Robert Sommer 
2. Gehör. 
Neben dem Gesichtssinn ist das Gehör bei der Ausübung des Militärdienstes 
von größter Bedeutung. Während des Krieges hat sich über diese elementare 
Tatsache hinaus eine Reihe von interessanten Beobachtungen ergeben. Es gehen 
hier zwei Reihen von Erscheinungen nebeneinander her, nämlich: 
1. der Vorgang, daß starke Gehörseindrücke, z. B. Kanonendonner, wenn 
sie gewohnheitsmäßig werden, manchmal kaum noch ins Bewußtsein 
treten und auch nicht imstande sind, den Schlaf zu stören; 
2. eine außerordentlich gesteigerte Fähigkeit, auch leichte Geräusche, 
wenn sie eine besondere Bedeutung haben, wahrzunehmen und richtig 
zu unterscheiden. 
Unterhält man sich mit Soldaten, die im Felde gewesen sind, über diesen 
Punkt, so zeigen sich häufig sehr merkwürdige Bestätigungen dieses Satzes, wenn 
z.B. ein Posten an einer Eisenbahnstrecke schon lange, bevor der Zug vorüberfährt, 
aus der Art der Geräusche richtig erfaßt, was für eine Maschine den Zug zieht, — 
sodaß sich für viele Soldaten, die sich im Schützengraben oder auf anderen vorge 
schobenen Posten befinden, eine besondere Form der akustischen Beziehung 
zur Außenwelt herausgestaltet. Ganz geringe Laute und Geräusche, die auf 
einen Unkundigen gar keinen Eindruck machen würden, werden sofort erfaßt 
und zur Vorstellung der Umgebung verwendet. Man könnte denken, daß es sich 
hierbei nur um die Ausbildung von bestimmten Assoziationsgruppen handelt. 
Tatsächlich bat dabei die Vorstellungsverknüpfung eine große Bedeutung. 
Diese beruht jedoch wesentlich auf einer gesteigerten Empfänglichkeit für leichte 
akustische Reize, bei der sehr wahrscheinlich die Aufmerksamkeit auf die Vorgänge 
in dem Sinnesorgan eine Rolle spielt. Gerade die Eintönigkeit und der Mangel 
an geistiger Ablenkung scheinen zur Ausbildung dieser eigenartigen akustisch 
assoziativen Überempfindlichkeit wesentlich beizutragen. In dem gewöhn 
lichen Gange des Lebens in der Heimat zeigt sich vielfach eine weitgehende Aus 
schaltung feinerer Gehörswahrnehmungen bei Überempfindlichkeit für starke 
Gehörsreize. In dem kultivierten Zusammenleben der Menschen in Friedens* 
Verhältnissen zucken viele bei gelegentlichen heftigen Schallreizen nervös zusammen, 
während sie feinere Schallphänomene nicht wahrnehmen. Bei dem gänzlich anders 
gestalteten Leben der Soldaten ist diese Reaktionsform umgekehrt: Viele starke 
Schalleindrücke werden gewohnheitsmäßig ausgeschaltet, während die feinen akus 
tischen Reize mit aufmerksamer Spannung erfaßt werden. 
Einen eigenartigen Beitrag zu dem Mangel an akustischer Wahrnehmungs 
fähigkeit bei den während des Krieges in der Heimat Lebenden bildet die Tatsache, 
daß sehr viele Menschen während des Krieges, z. B. im westlichen Teile von Deutsch 
land, den Kanonendonner von der Westfront zuerst nicht gehört haben, während 
verhältnismäßig wenige ihn schon deutlich wahrnahmen. Daß dieser auf über 
raschend weite Strecken z. B. nach meiner eigenen Beobachtung zum mindesten 
bis in die Gegend von Hersfeld im Fuldatal deutlich gehört werden konnte, ist sicher. 
Auch bei Gießen, was schon wesentlich westlicher liegt, ist er öfter hörbar. Es war 
jedoch überraschend, wie wenige diese Wahrnehmung ursprünglich gemacht haben,
	        
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