Krieg und Völkerkunde
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Würdigung der altorientalischen Kulturen und ihres inneren Wertes für Europa
gibt die geistreiche Schrift des Grafen Keyserling: Indien zeigt uns die volle
Höhe persönlicher Selbstvollendung, China die vollendetste Ausgestaltung im sozialen
Leben. Hier sei erreicht, was wir noch erstreben und zum, Ausgleich führen müssen.
Hansliks eigenartige Arbeit geht darauf aus, eine kulturphilosophisch und kultur
politisch durchdachte Erkenntnis der großen Lebensgebiete der Erde und ihres
inneren Gefüges zu gewinnen. Sie wollen durchaus wissenschaftlichen Charakters
sein. Trotz des Anteils, den Reflexion und Phantasie an ihnen haben, sind sie doch
ungemein anregend. Ein umfassendes, tief in das Wesen orientalischen Lebens
einführendes Werk, das eine geographisch begründete, von geschichtlichem Ver
ständnis durchdrungene Darstellung der Kultur des ganzen Orients gibt, ist Ewald
Banses glänzend ausgestattetes „Orientbuch“.
E. Hanslik, Der nahe Orient. Indien und Ostasien. Wien 1916.
Willy Haas, Die Seele des Orients. Jena 1916.
Hermann Graf Keyserling, Über die innere Beziehung zwischen den Kulturproblemen des Orients
und des Okzidents. Jena 1914.
B. L. Frhr. von Maokay, Der Orient in Flammen! München 1914.
Ewald Banse, Das Orientbuch. Der alte und der neue Orient. Stuttgart 1915.
Walther Philipp Schulz, Länder und Menschen von Marokko bis Persien. (Die Welt des Islam.
Bd. 1.) München 1916.
2. Armenier. Perser. Inder.
Von den Völkern des vorderen Orients haben wir die des türkischen Reiches
ausgeschieden. Ein großer Teil des armenischen Volkes gehört ebenfalls zur Türkei;
doch mögen sie eine gesonderte Betrachtung finden. Über die tragischen und
beklagenswerten Schicksale der Armenier im Laufe des Krieges liegen gedruckte
Arbeiten in deutscher Sprache vor, die indes der öffentlichen Verwertung noch
entzogen sind. Worum es sich hier handelt, sprechen in gegensätzlichem Sinne
Er. W. von Bissing und Andr. Vischer in den ,,Süddeutschen Monatsheften“
aus. Die Hergänge hängen zum Teil mit dem Urteil über den Volkscharakter
der Armenier zusammen. Für objektive Betrachtung ist die armenische Frage
außerordentlich schwierig zu behandeln; jedenfalls hat der religiöse Gegensatz
zwischen Türken und Armeniern keine bestimmende Bedeutung. Daß englische und
russische Intrigen in den armenischen Verhältnissen stets eine verhängnisvolle
Rolle gespielt haben, führt die Schrift von Bratter aus.
Für die Ethnographie aber sind die Armenier durch neue Forschungen von
Interesse geworden. Daß sie nach ihrer Sprache dem sonst erloschenen phrygisch-
thrakischen Zweige der Indogermanen nahestehen, ist allgemein bekannt. Ebenso
sicher ist, daß hier ein der Rasse nach nicht indogermanisches Volk sprachlich
indogermanisiert ist. Es ist wohl als sicher anzunehmen, daß'die Urarmenier einer
in Kleinasien und Mesopotamien ansässigen vorindogermanischen Bevölkerung
angehören. Anthropologisch scheint diese Rasse, die als kurzköpfig charakterisiert
ist, noch in den heutigen Kaukasusvölkern vertreten zu sein. Nach Virchow und
Fel. von Luschan sind sie von den Europäern zu trennen. Die älteste Bevölkerung
Kleinasiens gehört nach von Luschans Ansicht dieser Rasse an. Auch die Armenier
weisen Rassenmerkmale auf, die sie den Kaukasiern zugesellen. Sprachlich scheint
Deutsche Naturwissenschaft, Technik und Erfindung im Weltkriege. - 35