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Felix Lampe
Vielheit von Menschen jedoch versteckt sich das Selbst Verantwortungsgefühl
hinter der großen Masse, die es von sich dann auf Sündenböcke abschiebt. Aber
nicht ein einzelner leitender Staatsmann ist für die britische Politik und Krieg
führung verantwortlich, sondern das Wesen des britischen Volkes im, ganzen.
Es war vom, ersten Ursprung an ein Eroberervolk, in Zeiten seines Ritter- wie seines
Händlertum,s. Sein Wandel und Verkehr war niemals friedensselig unterwürfig
wie der des jüdischen Händlers, des indischen oder chinesischen, hat es nicht ent
nervt wie die Holländer des 17. Jahrhunderts. Mit der gleichen Herrenmoral, die der
hochgemute Sachse und Angel dem Kelten, dann der Normann dem Angelsachsen
zeigte, traten Elisabeths Admirale, Cromwells Eisenreiter, jetzt die auf ihre silbernen
Kugeln siegesstolzen Geschäfts- und Presseleute der Londoner City der Welt ent
gegen. Man braucht, um vor sich selbst entsühnt zu sein, die beruhigenden Sätze der
Sittlichkeit und verkappt durch sie die Gewalt und List, mit der man dem Natur
zwange des Staatslebens folgt. So wirft die Geographie, indem sie aus ihrem For
schungsbereich Standpunkte zu gewinnen sucht, von denen aus sie die gewaltige
Begebenheit dieses Weltkrieges wie den Inhalt einer Landkarte zu überschauen
unternimmt, einen Blick bis an die Grenzen ihres Wirkungskreises, wo Staatsrechts
lehre und Völkerpsychologie die Untersuchungen fortzusetzen haben. Sie erkennt die
Zusammenhänge zwischen der für den Einzelmenschen und der für die Menschenge
meinschaft gültigen Sittlichkeit, vermutet in der Monarchie eines von sittlichem
Verantwortungsgefühl durchtränkten Herrschers eine in nichts niedriger stehende
Staatsform als in einer demokratischen Republik oder einem nur repräsentativen
Herr schert ume, wo die Schuld der Masse sich durch Ministerstürze gedeckt wähnt,
und sicherlich eine höhere als im, absoluten Herrschertum eines Schwächlings, der
zwischen persönlichen Leidenschaften umgebender Großfürsten, Frauen und
Mönche schwankt. Indem der Geograph den Zusammenhang des Staates mit der
mütterlichen Erde verfolgt, sieht er selbst in Einzelpersönlichkeiten gewissermaßen
Kraftquellen, die in ihrer feldherrlichen oder staatsmännischen Genialität oder
Unzulänglichkeit auf das Gedeihen des Staates fördernd oder hemmend einwirken,
ihrerseits aber wieder durch ihre Umwelt bedingt, bestimmt, mindestens beeinflußt
sind. Freilich, das Rätsel der Einzelpersönlichkeit zu lösen, gehört nicht mehr zu den
Aufgaben der angewandten Geographie, auch nicht die Beantwortung der Frage
nach dem Grund für körperliche und geistige Ungleichheit der Rassen und Völker,
die es mit sich bringt, daß ein Teil der Menschheit Landschaften zu Fruchtge
filden umwandelt, die ein anderer verkümmern ließ. Doch wird politische Geo
graphie, weil sie im Staate die Frucht der Vermählung eines Teiles Menschheit
mit einem Stück Erdboden sieht, das Besitzanrecht eines Volkes auf ein Land
weniger aus wechselnden Ansprüchen nationalen Gehaltes oder verfassungs
rechtlicher und konfessioneller Grundsätze ableiten, die alle mehr oder weniger
an abgetane Vergangenheiten anknüpfen, sondern wird vielmehr nach der Gewähr
in erst zu schaffender Zukunft fragen, welches Volk aus Boden, Luft und Wasser
wohl das Meiste und Nutzbringende zu gestalten wissen werde: ,,Wir müssen
sorgen, daß wir vor allen Völkern der Erde die Besseren und Wacheren werden.
Den Tüchtigeren, den Frischeren gehört die Welt. Das ist Gottes Gerechtigkeit.' 4
So heißt es in Frenssens Peter Moor. In der Tatsache, daß die Natur dem