Volltext: Deutsche Naturwissenschaft, Technik und Erfindung im Weltkriege

Der Krieg und die erdkundliche Wissenschaft 
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im Nehmen wie Geben angesehen, von Machtloseren voll Argwohn, von Kraft 
volleren als Anmaßung, von Gleichwertigen mit Besorgnis oder Neid, mißdeutet 
als deutsche Überheblichkeit, die ungefordert deutsche Gaben aufdränge; in Wahrheit 
muß lediglich der rings von Kulturstaaten umrandete Lebensraum sich weiten. Das 
biologische Gesetz der Raumbeanspruchung eines gesunden Lebewesens läßt sich 
so wenig aus dem Walde der Staaten ausschalten wie aus der Fichtenschonung, 
wo der kräftigere Baum den anderen Licht und Luft entzieht, ob er will oder nicht, 
und auch der lehrhafteste Liberale wird nirgends seine Partei dem Stillstände preis 
geben, damit der reaktionären Nachbargruppe nicht Lebensraum entzogen werde. 
In einfacheren Verhältnissen früherer Kriege mag es sich bei dem Staatenwachstum 
um die massigste Art der Raumausdehnung gehandelt haben, um unmittelbare 
Aneignung oder Verlust eines bestimmten Landraumes. Das aber kennzeichnet den 
Gegenwartskrieg, daß er, je länger er dauert, sich um so deutlicher auf die Macht 
frage an sich zuspitzt. Dem deutschen Gewerbe und Handel, dem deutschen Staats 
leben in seiner kraftvoll straffen Eigenart soll der Spielraum geschmälert werden; 
deutsches Geisteswesen wird als Barbarei gebrandmarkt, alles, damit die Nach 
barn unbesorgter Raum zur Eigenentfaltung behalten. Und umgekehrt handelt 
es sich nicht darum, den Briten irgendein Landstück ihres Reiches fortzunehmen, 
aber ihre Weltmacht zu erschüttern, die der Entwicklung unseres eigenen Wesens 
sich entgegengestemmt hat. Jeder beruhigenden Lehre von Völkergemeinschaft 
steht Schillers Wort gegenüber: ,,Leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch 
hart im Raume stoßen sich die Sachen/' Nur ist der räumliche Gesichtspunkt in 
der Beurteilung der Dinge, dem Geographen eine Grundlage für seine Betrachtungs 
weise, den jahrhundertlang in engräumiger Beschränkung aufgewachsenen Deut 
schen weniger vertraut als die der Raumschranke spottende Idee. Der Deutsche 
ist, wie ein Denker im. engen Gelehrtenraum, den der Geist endlos weitet, gern 
Theoretiker; den Briten haben kaufmännische Erfahrung und mehr als zweihundert 
J ahre Weltherrschaft zu räumlichem Denken über Land- und Meeresfemen hin erzogen. 
Enge Vermählung der menschlichen Gemeinschaft mit dem irdischen Raum ist 
die Siedelung, und dem Wunsch, die Schranken der Raumgröße zu überwinden, dient 
der Verkehr. Auch im Kriege spielt sowohl Einnistung in den Raum wie raumüber 
windender Verkehr eine ungeheuere Rolle. Erzwingung natürlicher Abschnitte im 
Gelände, die für die Verteidigung oder als Ausgang für Angriffe günstig sind, Flüsse, 
Seen, Bergzüge, Meeresküste*, sodann Beherrschung der künstlichen Verkehrslinien, 
also der Landstraßen, Kanäle, Eisenbahnen, vornehmlich der Verkehrsknoten 
punkte, zuletzt die Besitzergreifung wirtschaftlich reicher Räume sind maßgebend 
für die Bewegungen der Heereskörper auch im Gegenwartskriege. Land- wie See 
krieg beanspruchen die Herrschaft über Raumflächen, wenn auch die einzelnen 
Unternehmungen zunächst auf die Linie der gegnerischen Front oder Küste, viel 
leicht auf einen Punkt zielen, eine Festung oder einen Hafen; aber das Landheer 
rückt linearer vor, als der flächenhaftere Seekrieg sich entwickelt, weil jeder See 
verkehr sich freier über Flächen hin abspielt, als der Landverkehr, der an die durch 
Natur oder Technik bequemsten Straßen gefesselt ist. Dafür ist die einmal gewonnene 
Fläche dem Landheer nicht bloße Verkehrsbahn, sondern auch Nahrungs- und 
Behausungsstätte, und unmittelbar wandelt sich das Verhältnis zwischen Mensch 
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