Volltext: Deutsche Naturwissenschaft, Technik und Erfindung im Weltkriege

Krieg und Kultur 
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die Erlebtes sagen wollte. Auch starke Individualitäten versanken im alles über 
flutenden Gemeingefühl. Und wo der Einzelne ganz den Ton der Zeit traf, da war 
es ganz unmittelbares Schaffen: Sie alle sprachen aus, worin sie sich mit Tausenden 
eins fühlten: der schlichte Arbeiter Bröger, der Reitersmann aus Österreich, 
schlichte Soldaten und junge Schüler. Ihnen danken wir echte, unvergängliche 
Perlen der Kriegsdichtung. Die Kriegslyrik unserer Zeit steht nach Gehalt und Wert 
ebenbürtig neben der jedes andern Krieges. Schon jetzt ist das Bedürfnis nach 
Auswahl des Besten stark fühlbar. Daran ist des Guten recht viel geboten. Schon 
die Tatsache dieses Sammelns war eine Form gemeinschaftlicher Teilnahme 
und hat zur Vertiefung des Gemeinschaftsgeistes gewiß manches beigetragen. 
Es liegt in der Natur der Sache, daß die Poesie, die aus dem Mitleben erwächst, 
immer vom Gefühl betont ist, daß sie rein lyrisch oder reflektierend ist. Nur hier 
und da zeigen sich Ansätze zu balladenhafter Darstellung des konkreten Erlebnisses. 
Die Ballade aber ist eine schwere, starke Objektivität fordernde Kunst, die dem 
überwiegenden Subjektivismus der modernen Dichtung weniger gelegen ist. Es 
würde nur ein Mißerfolg werden, wollte die Poesie das Erlebnis des Krieges schon 
in den großen Formen des Epos, in seiner Prosaform, dem Roman oder gar im 
Drama aussprechen. Der Geist weht, wann er will; wir kennen seine Zeit und seine 
Ziele nicht. Niemand kann sagen, wann und wo der Dichter erscheint, welcher 
Sprache er angehört und welches die Form seines Werkes sein wird, in das er das 
größte Geschehen der Weltgeschichte faßt. 
Aber daß die Kunst tief erregt ist, daß sie schaffensfroh an der Bahn des 
Weltgeschehens steht und mit allen Fasern aus ihm Nahrung zieht, das dürfen wir 
sagen. Und eine Welt, die so gestimmt ist, wird auch bereit sein, das große Kunst 
werk aufzunehmen, wenn es je entstehen sollte. Widmen wir noch ein Wort der 
Prosadichtung, so steht sie weit hinter der Lyrik zurück. Die novellistische Kunst 
hatte sich zu großer Feinheit durchgebildet, und der ethisch gestimmte Roman 
hat tiefe Schöpfungen aufzuweisen. Aber sie liegen vor dem Kriege und außerhalb 
des Kriegserlebnisses. Der Roman, der das moderne Epos des Krieges wäre, fordert 
innere Abstände, die noch nicht erreichbar sind. 
Kein Gebiet des künstlerischen Schaffens bedarf so sehr der Vertiefung 
wie das Theater. Gerade hier bestehen noch tiefe Gegensätze. Es ist begreiflich, 
daß neben dem modernen Arbeitsleben das Bedürfnis nach seelischer Entspannung 
und leicht befriedigender Unterhaltung zur Geltung kommt. Es hat sich auch das 
Theater dienstbar gemacht. Darüber aber erhebt sich die Auffassung, der das 
Theater — wie die Kunst überhaupt — als eine kulturelle Notwendigkeit, nicht 
eine bloße Vergnügungsstätte, gilt. Die Frage, die bei Beginn des Krieges auftrat, 
ob die Theater spielen sollten, beruhte auf diesem Gegensatz der Auffassung von 
seiner Aufgabe. Wer im Theater ein Mittel der inneren Erhebung und seelischer 
Vertiefung sieht, kann die Frage nur bejahen. Und damit kehren wir zur aristoteli 
schen Auffassung der Tragödie und zu Schillers Würdigung der Bühne zurück. 
So hat denn das Theater gerade durch den Krieg eine innere Stärkung gewonnen, 
indem es die Aufgabe innerlicher Befreiung wiederfand und dadurch die Aufgabe 
erfüllte, die es gerade in ernster Zeit in einem Kulturvolke zu leisten hat. Daß 
wir in diesem Kriege gerade Shakespeare und Moliere als die Unseren behandeln
	        
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