Volltext: Deutsche Naturwissenschaft, Technik und Erfindung im Weltkriege

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Siegmund Günther 
einschlägigen Problem beschäftigt, und so ist wenigstens für das Tatsächliche eine 
wesentliche Klärung geschaffen worden. Unmittelbar vernehmbar sind heftige 
Entladungen bis zu einer Entfernung von mindestens 100 km. Die Distanz Ant 
werpen-Ostende ist noch etwas größer, und gleichwohl kann man von erhöhten, 
abseits gelegenen Punkten der erstgenannten Stadt, falls die diffusen Geräusche 
derselben sich nicht bemerkbar machen, also insbesondere bei Nacht, ganz deutlich, 
nicht allein das stetige Donnergrollen, sondern sogar einzelne stärkere Lufterschütte 
rungen der Küstenkanonade deutlich unterscheiden. Jenseits der Grenze dieser 
unmittelbaren Einwirkungszone, deren Gestalt, von Gelände- und Bebauungs 
einflüssen abgesehen, ungefähr die eines Kreises sein wird, beginnt allen Erfahrungen 
zufolge eine Zone des Schweigens, über deren Lage auf der Karte natürlich nur eine 
sorgsame und kritische Prüfung der eingelaufenen Mitteilungen Aufschluß zu geben 
vermag. So viel läßt sich aber jetzt schon sagen, daß diese sogenannte Zone durch 
aus nicht als ein geometrischer Kreisring zu denken, daß vielmehr ihre äußere 
Grenzlinie sehr ungleichmäßig gestaltet sein wird. Mehrfach buchtet sie sich 
keilförmig nach außen, in geringerem Grade wohl auch nach innen aus. In dem 
Sonderfalle von Verdun hat man ihre Mächtigkeit auf rund 50 km geschätzt; am 
8. Oktober 1914, an welchem Tage die Beschießung von Antwerpen ihre Höhe 
erreichte, stellte sich nach van E verdingen für holländisches Gebiet eine Zonen- 
breite von etwa 60 km heraus, und die in Rheinland und Westfalen gesammelten 
Meldungen ließen sich damit gut vereinbaren. Jenseits dieser Schweigzone nun 
tritt uns, was früher nicht vermutet worden wäre, ein anormales Schallgebiet 
entgegen, dem eine verhältnismäßig bedeutende Ausdehnung zuzusprechen ist. 
Hier kami begreiflicherweise noch weniger von irgendwelcher Regelmäßigkeit 
der Form die Rede sein. Irgendwelche sichere Anhaltspunkte sind in dieser Hinsicht 
noch weniger als sonst zu gewinnen, denn die ganze Westhälfte des deutsch-französi 
schen und deutsch-englischen Kriegstheaters ist uns ja verschlossen; aus Frankreich 
ist, anscheinend auf dem Wege über die Schweiz, nur eine einzige einschlägige 
Beobachtung zu unserer Kenntnis gelangt. Wir werden uns somit einstweilen mit 
den als zuverlässig ermittelten Erscheinungen als solchen zufrieden geben, ohne 
ihnen eine quantitativ genau verfolgbare Seite abgewinnen zu können. Nichts 
steht zweifellos im Wege, sich eine theoretische Einsicht in eine unerwartete Ände 
rung dessen zu verschaffen, was man sonst von der Durchgängigkeit der Luft für 
Schall zu wissen glaubte. Daß es indessen um eine sehr verwickelte Aufgabe sich 
handelt, das leuchtet sofort ein. Zunächst ist es nicht leicht, die Erschütterungen, 
welche das Ohr aufnimmt, von denjenigen zu trennen, welche möglicherweise das 
Gefühl dem Zentralapparate der Sinnesorgane übermittelt. Denn daß auch die 
Erde mitschwingt, unterliegt keinem Zweifel. Als im November 1916 unsere Flieger 
das gewaltige Munitionslager von Cerisy (westlich der Somme) zum Auffliegen 
brachten, wurden die einzelnen Knalle, die wahrscheinlich der Explosion immer 
eines neu ergriffenen Schuppens entsprachen, mancherorts in Belgien gehört, aber 
da der automatische Seismograph gleichzeitig auch starke Nadelausschläge zu 
erkennen gab, so mag auch die Fortleitung der Erdbebenwellen durch die obersten 
Bodenschichten ihren Beitrag geliefert haben. Die Gebirgszüge und Flußtäler 
dürften ferner nicht gleichgültig sein, wenn die Zuweisung eines bestimmten Ortes
	        
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