Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

Terschelling einerseits, Ouessant und Landsend andrerseits 
liegt. Sollten in diesem Seegebiet nach einer angemessenen 
Frist noch feindliche Lazarettschiffe angetroffen werden, so 
würden sie als kriegführende angesehen und ohne weiteres an- 
gegriffen werden. Die Deutsche Negierung glaubt zu dieser 
Maßnahme um so eher schreiten zu können, als den feindlichen 
Lazarettschiffen der Weg von: westlichen und südlichen Frank- 
reich nach dem Westen Englands frei bleibt und daher der 
Transport verwundeter Engländer in ihre Heimat nach wie 
vor ungehindert erfolgen kann." 
Die Nichtigkeit der in der Denkschrift angeführten 
Tatsachen wurde durch eine große Zahl beigefügter 
Berichte und Zeugenaussagen bewiesen. 
Natürlich setzte in englischen Zeitungen sofort der 
übliche Cant ein: Deutschland achtet das Völkerrecht 
nicht mehr, Deutschland greift die beklagenswerten 
Opfer des Krieges, die Verwundeten, an und sucht 
sie zu vernichten. Noch nie hat das deutsche Volk 
so klar bewiesen, daß es außerhalb der eigentlichen 
Menschheit stehe. So erscholl es von allen Seiten. 
Lange dauerte es aber nicht an, denn alle diese 
ehrenwerten Blätter bekamen schon ein paar Tage 
später einen Anlaß zum Schimpfen, wie sie ihn bisher 
noch nicht gehabt hatten: Deutschland erklärte nämlich 
am 31. Januar den uneingeschränkten D-Bootkrieg, 
tat also einen Schritt, den ein großer, ja der größte 
Teil des Volkes schon seit Monaten beständig forderte. 
Bis zum 31. Dezember 1916 waren nach Angabe 
des deutschen Admiralstabes durch U-Boote und 
Minen 4021500 Tonnen der Welttonnage versenkt 
worden, eine Zahl, die durch englische amtliche An- 
gaben bestätigt wurde. In den letzten Monaten des 
Jahres 1916 war die Menge des versenkten Schiffs- 
raumes ins Ungeheuerliche gestiegen. Im Januar 
1917 erreichten die Verluste eine Höhe, die alles bisher 
Dagewesene überstieg. Es wurden versenkt 170 Schiffe 
mit 336000 Tonnen, die den Vierverbandsvölkern, 
58 Schiffe mit 103500 Tonnen, die den neutralen 
Völkern gehörten, zusammen demnach 228 Schiffe 
mit 439500 Tonnen simmer Bruttoreglstertonnen ZU 
verstehen). Das war erreicht worden, trotzdem die 
peinlichsten Rücksichten auf die Neutralen genommen 
werden mußten. Der Schluß lag nahe, und die Er- 
eignisse bestätigten später seine Richtigkeit, daß die 
deutschen 11-Boote, wenn sie durch nichts mehr ge- 
hindert wurden, die doppelte Anzahl von Tonnen 
würden vernichten können, das heißt im Jahre minde- 
stens 10 Millionen Tonnen, wobei noch in Betracht 
gezogen werden mußte, daß die Zahl und Güte der 
deutschen U-Boote ständig zunahm, also diese Zahl 
höchstwahrscheinlich noch bedeutend wachsen würde. 
Ging Deutschland also rücksichtslos vor, so war in 
2—3 Jahren trotz aller Neubauten von der Welt- 
tonnage überhaupt nichts Nennenswertes mehr übrig, 
vorausgesetzt, daß die Neutralen fortfuhren, England 
wie bisher anzulaufen und nicht vorzogen, ihre Schiffe 
zu schonen. Es mußte aber erwartet werden, daß 
sie klug genug sein würden, ihre Lieferungen nach 
und nach einzustellen, und das mußte ja einer der 
Hauptzwecke des deutschen Vorgehens sein. Dann 
hatte England die Wahl: entweder, es schickte seine 
Handelsflotte aus — dann schmolz sie zusammen 
und verschwand am Ende, oder es hielt sie zurück — 
dann starb es binnen Jahresfrist den Hungertod, denn 
nicht ein Drittel von dem, was das britische 45- 
Millionenvolk zum Leben gebrauchte, konnte es im 
eigenen Lande erzeugen. Es gab dann nur zwei 
Wege zur Rettung für England: es mußte ein Mittel 
finden, die U-Boote unschädlich zu machen oder auf 
dem Festlande derartige Siege erringen, daß Deutsch- 
land genötigt wurde, einen ungünstigen Frieden zu 
schließen. 
Die deutsche Regierung hatte nach den bis- 
herigen Erfahrungen keine Ursache, zu glauben, daß 
eins von beiden wahrscheinlich sei, und so entschloß 
sie sich zu dem ungeheuer folgenschweren Schritte. 
Wilson hatte am 22. Januar eine Botschaft an den 
amerikanischen Senat gerichtet, worin er alles mög- 
liche und unmögliche über die zukünftige Gestaltung 
der Welt unter dem Zeichen eines allgemeinen Völker- 
friedens und über die Mittel und Wege, diesen Herr- 
lichen Zustand herbeizuführen, zusammengefaselt hatte. 
Sein langatmiges Geschwätz war ihm selbst so wichtig 
und bedeutungsvoll erschienen, daß er es der deutschen 
Regierung amtlich mitgeteilt hatte. Sie antwortete 
darauf am 31. Januar und benutzte so die Gelegen- 
heit, der Welt mitzuteilen, wie sie sich die Herbei- 
führung des Friedens auf Erden dachte. Das be- 
deutungsvolle Schriftstück lautete: 
Berlin, den 31. Januar 1917. 
Euere Exzellenz haben die Güte gehabt, mir unter dem 
22. d. Mts. von der Botschaft Mitteilung zu machen, die der 
Herr Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika am 
gleichen Tage an den amerikanischen Senat gerichtet hat. Die 
Kaiserliche Regierung hat von dem Inhalt der Botschaft mit 
der ernsten Aufmerksamkeit Kenntnis genommen, die den von 
hohem Verantworllichkeitsgefühl getragenen Darlegungen des 
Herrn Präsidenten zukommt. Es gereicht ihr zu großer Ge- 
nugtuung, festzustellen, daß die Richtlinien dieser bedeutsamen 
Kundgebung in weitem Umfange mit den Grundsätzen und 
Wünschen übereinstimmen, zu denen sich Deutschland bekennt. 
Hierzu gehört an erster Stelle das Recht der Selbstbestimmung 
und die Gleichberechtigung aller Nationen,- in Anerkennung 
dieses Prinzips würde Deutschland es aufrichtig begrüßen, wenn 
Völker, wie Irland und Indien, die sich der Segnungen staat- 
licher Unabhängigkeit nicht erfreuen, nunmehr ihre Freiheit 
erlangten. Bündnisse, die di'fe Völker in den Wettbewerb um 
die Macht hineintreiben und in ein Netz eigennütziger Intrigen 
verstricken, lehnt auch das deutsche Volk ab. Dagegen ist seine 
freudige Mitarbeit allen Bemühungen gesichert, die auf die 
Verhütung künftiger Kriege abzielen. Die Freiheit der Meere 
als Vorbedingung für den freien Bestand und den friedlichen 
Verkehr der Völker hat ebenso wie die offene Tür für den 
Handel aller Nationen stets zu den leitenden Grundsätzen der 
deutschen Politik gehört. 
Um so tiefer beklagt es die Kaiserliche Negierung, daß das 
friedensfeindliche Verhalten ihrer Gegner es der Welt um 
möglich macht, schon jetzt die Verwirklichung dieser erhabenen 
Ziele in Angriff zu nehmen. Deutschland und seine Ver- 
Kündeten waren bereit, alsbald in Friedensverhandlungen 
einzutreten, und hatten als Grundlage die Sicherung des 
Daseins, der Ehre und der Entwicklungsfreiheit ihrer Völker 
bezeichnet. Ihre Pläne waren, wie sie in der Note vom 
12. Dezember 1916 ausdrücklich betonten, nicht auf die Zer- 
schmetterung oder Vernichtung der Gegner gerichtet und nach 
ihrer Überzeugung mit den Rechten der anderen Nationen 
wohl vereinbar. Was insbesondere Belgien anlangt, das 
den Gegenstand warmherziger Sympathien in den Vereinigten 
Staaten bildet, so hatte der Reichskanzler wenige Wochen zu- 
vor erklärt, daß eine Einverleibung Belgiens niemals in Deutsch- 
lands Absichten gelegen habe. 
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