Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

ist, da er für England arbeitete — so hätte er das 
nicht mehr gekonnt. Lloyd George aber und (Sie* 
menceau waren fest entschlossen, ohne jede Rücksicht 
auf irgendwen und irgendwas Deutschland zu ver- 
Nichten — der Engländer, um den gefährlichen Mit- 
bewerber auf dem Welthandelsmarkte ein für allemal 
los zu werden, der Franzose aus Rachsucht und 
noch mehr aus Furcht. Deutschland 
sollte nach Clemenceaus ausgesproche- 
nem Willen so geschwächt werden, daß 
es 20 Millionen Einwohner durch Hun- 
ger oder durch Auswanderung ver- 
liere, und außerdem sollte es zum Aus- 
einanderfallen gebracht werden. Eine 
solche Gelegenheit, das fühlte Clemen- 
ceau und mit ihm ganz Frankreich, 
kam wahrscheinlich niemals wieder. 
Die Nationalversammlung schien so 
ohnmächtig zu sein, daß kein Mensch 
sagen konnte, ob sie nicht im Sommer 
schon auseinandergesprengt sein werde. 
Fast jede größere Stadt in Deutschland 
hatte während des Winters und im Karl 
Frühling ihre Sparta- 
kistenputsche und Un¬ 
ruhen, große Arbeiter- 
streiks und als Erwide- 
rung darauf Bürger- 
streiks, wobei unend- 
liche Werte zugrunde- 
gingen. Manche Groß- 
städte waren wochen- 
lang in den Händen der 
Kommunisten und er- 
lebten Plünderungen 
und Gewalttaten, die 
kein Mensch aus deut- 
schem Boden für mög- 
lich gehalten hatte, so Kurt Eisner. 
Düsseldorf, Hamburg. <Ph°t. Krün. Manche, 
Braunschweig, Halle und vor allem München, wo im 
April die Räterepublik ausgerufen wurde und grauen- 
hafte Bluttaten geschahen. 
Mit Mühe schlugen die Reichswehrtruppen Noskes, 
die zum größten Teile aus früheren Offizieren, Stu- 
deuten und anderen Männern des Bürgertums be- 
standen, nach und nach überall die Empörer nieder. 
Wäre an einer einzigen Stelle wirklich voller Ernst 
mit der Bestrafung der Schuldigen gemacht worden, 
so wäre wahrscheinlich Deutschland bald zur Ruhe 
gekommen. 
Aber das wagte die Regierung nicht, die ihre Macht 
der Straße verdankte, wollte es auch gar nicht, sondern 
verfuhr sehr glimpflich mit den Aufrührern, in denen 
sie nur irrende Brüder, Blut von ihrem Blute sah. 
Darum setzten die meisten, die entkamen, anders- 
wo ihre Wühlereien fort. Auch den großen Streiks 
in den Kohlenrevieren suchte die Regierung mit dem 
Mittel sanfter Überredung beizukommen. 
Kautsky. 
Die Folge war, daß ein Streik den andern ablöste 
und das deutsche Wirtschaftsleben mehr und mehr 
zerrüttet wurde. 
Es wurden auch die Staatsgelder in einer Weise 
verschleudert, daß das erste halbe Jahr nach dem glor- 
reichen 9. November dem deutschen Volke doppelt so 
viel kostete wie früher ein ganzes Jahr, und dazu 
kam die Streikwirtschaft, die verhinderte, 
daß neue Werte erzeugt wurden. 
Eine allgemeine Arbeitsunlust hatte 
das früher fleißigste Volk der Welt 
ergriffen, und auch die Arbeitslosen, 
die sehr wohl hätten Arbeit finden 
können, wurden reichlich aus Staats- 
mittein besoldet. 
Der Achtstundentag war natürlich 
Gesetz geworden, die Arbeiter durften 
nicht länger tätig sein, selbst wenn sie 
wollten, und wie vorauszusehen war, 
erhoben sich nun allenthalben Stim- 
men, die nach dem Sechsstundentag 
schrieen. Viele hatten überhaupt das 
Arbeiten verlernt und wollten nichts 
tun als politisieren 
und Radau machen. 
Alle Ordnung schien 
aus den Fugen zu 
gehen. Die deutsche 
Bahn, die deutsche Post, 
früher Vorbilder für 
alle andern Länder, 
sanken fast auf die 
Stufe serbischer oder 
montenegrinischer In- 
stitute herab. Die deut- 
scheu Städte verschmutz- 
ten, nur wenige hielten 
sich sauber. Viele Stra- 
ßen Berlins glichen 
einem Stalle. Hand in 
Hand mit der Arbeitsunlust und Unordnung ging eine 
rasende Genußgier. Alle Vergnügungsstätten waren 
beständig überfüllt. Eine wahre Tanz- und Spielwut 
hatte das Volk ergriffen. Auf den Straßen Berlins 
wurden Spielbanken für die kleinen Leute aufgetan. 
Die Reichen, die zumeist ihren neuen Reichtum durch 
Wucher- und Schiebergeschäste gewonnen hatten, 
sröhnten dem Laster in eleganten Klublokalen, die 
in allen großen Städten wie Pilze aus der Erde 
schössen. Da alle Zensur aufgehoben war, so ergoß 
sich besonders durch das Kino ein ekler Schlamm- 
ström sittlicher Gemeinheit über die heranwachsende 
Jugend der Großstädte und verdarb, was noch 
zu verderben war, und im Parlamente trat eine 
Frau für das heilige Recht der Straßendirnen ein, 
von der Polizei nicht mehr belästigt zu werden. 
Die Neutralen sahen dem allen mit höchstem Er- 
staunen zu. Sie erkannten das Volk nicht wieder, 
das so Großes, so Ubermenschliches geleistet hatte, 
Eduard Bernstein. 
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