Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

ten, daß sie die Massen nicht mehr zü- 
geln könnten und daß sie mittun müß- 
ten, wenn sie nicht ihren Einfluß ver- 
lieren wollten. Vielleicht auch haben sie 
den Ausbruch der Revolution selbst be- 
günftigt, wenigstens hat Scheidemann 
später erklärt, er habe als Staatssekretär 
nichts zugelassen, was zu ihrer Eindäm- 
mung hätte führen können. Genug, 
die beiden sozialdemokratischen Par- 
teien fanden sich am Vormittag des 
9. November wieder zusammen und be- 
schlössen, gemeinsam eine sozialistische 
Negierung zu bilden. Um ein Uhr rief 
Scheidemann von einem Fenster des 
Neichstagsgebäudes die deutsche Re- 
publik aus, und um drei Uhr übertrug 
MaX von Baden das Reichskanzleramt 
dem Sozialistenführer Friedrich Ebert, einem Mann, der 
früher Sattler, dann Gastwirt gewesen war. Keine 
Hand regte sich dagegen. Das Werk Bimarcks war 
zerbrochen. 
Inzwischen hatten die Waffenstillstandsverhand- 
lungen begonnen. Nachdem die deutsche Negierung, 
allerdings unter Protest gegen den Vorwurf un- 
menschlicher Kriegführung, den unbedingten Untersee- 
krieg eingestellt hatte, ließ ihr Wilson durch Lansing 
die Nachricht zukommen, daß er bei den ihm ver- 
kündeten Mächten die Geneigtheit zum Verhandeln 
erreicht habe. „Der Präsident", so hieß es in der 
amerikanischen Note vom 3. November, „hat ein 
Memorandum erhalten, das die Anerkennungen der 
verbündeten Negierungen enthält und folgender- 
maßen lautet: 
Die verbündeten Regierungen haben sich mit dem Noten- 
Wechsel, der zwischen dem Präsidenten der Vereinigten Staaten 
und der deutschen Regierung erfolgt ist, beschäftigt, und sie 
erklären nach den ihnen gewordenen Mitteilungen ihre Bereit- 
Willigkeit, mit der deutschen Regierung Frieden zu schließen 
auf Grund der Bedingungen, die der Präsident in seiner An- 
spräche an den Kongreß vom 8. Januar 1918 dargelegt hat, 
und ebenso auf Grund der Prinzipien, die er in seinen folgenden 
Ansprachen zum Ausdruck gebracht hat. Sie müssen jedoch 
darauf hinweisen, dag der gewöhnlich so genannte Begriff der 
Freiheit der Meere verschiedene Auslegungen zuläßt, von denen 
sie einige nicht annehmen können. Sie müssen sich deshalb 
über diesen Gegenstand beim Eintritt in die Friedenskonferenz 
volle Freiheit vorbehalten. Ferner hat der Präsident in den 
in seiner Ansprache an den Kongreß vom 8. Januar 1918 
niedergelegten Friedensbedingungen erklärt, daß die besetzten 
Gebiete nicht nur geränmt und befreit, sondern auch wieder- 
hergestellt werden müssen. Die alliierten Regierungen sind 
der Ansicht, daß Deutschland für alle durch seine Angriffe zu 
Land, zu Wasser und in der Luft der Zivilbevölkerung der 
Alliierten und ihrem Eigentum zugefügten Schäden Ersatz 
leisten soll." 
Daraufhin begannen am 7. November seitens der 
deutschen Obersten Heeresleitung die Verhandlungen 
mit dem Marschall Foch. 
Wie stand nun Deutschland in diesem Augenblicke 
in militärischer Hinsicht da? 
•' Von Anfang Oktober an war das deutsche Heer bestän- 
dig auf allen Punkten zurückgezogen. Am 5. Oktober 
erfolgte ein Rückzug im Räume von 
Arras. Am 9. Oktober zogen sich die 
Deutschen zwischen Cambrai und 
St. Ouentin unter Verlusten zurück. Am 
11. setzten sie ihre rückzügige Bewegung 
weiter fort und räumten den Damen- 
weg. Am 13. überließen sie den Fein- 
den Laon. Am 17. gaben sie Lille, Ost- 
ende, Tourcoing, Roubaw und Douai 
auf. Am 18. räumten sie Brügge, Vint 
und Kortryk. Am 20. gingen sie an 
einem Punkte wieder einmal zum An- 
grisf über und eroberten Romeries 
und Amerval zurück. Am 22. räum- 
ten sie die Brückenköpfe an der 
Serre und Souche. Am 27. Oktober 
fand eine Rückverlegung der deut- 
scheu Linien zwischen Oise und Serre 
statt. Am 31. Oktober wurden die Deutschen 
durch starke feindliche Angriffe zu weiterem Rückzüge 
gezwungen. Am 1. November zogen sie aus Valen- 
ciennes ab. Am 2. November erfolgte der deutsche 
Rückzug zwischen Lys und Scheide, au den folgenden 
Tagen ging die ganze deutsche Front zurück. Aber 
ein Durchbruch war den Heeren Fochs trotz der un¬ 
geheuersten Anstrengungen, trotz ihrer Ubermacht und 
fast täglicher Großangriffe doch nicht gelungen. Noch 
stand die deutsche Front, und wenn einzelne Re- 
gimenter sich schlecht schlugen, so schlugen sich andere 
um so besser, und gerade jetzt wurde von vielen 
Truppenteilen, abgekämpft und übermüdet, wie sie 
waren, ein wahres Heldentum im treuen Ausharren 
an den Tag gelegt. Dieses Heer war noch lange 
nicht kampfunfähig. Wäre das deutsche Volk noch 
einmal aufgestanden, so hätte es mit diesen Truppen 
den Krieg noch den ganzen Winter hindurch führen 
und sicherlich einen anderen Frieden erringen können, 
als es erhielt. 
Sicher sah Foch in der deutschen Obersten Heeres- 
leitung, als die Verhandlungen begannen, noch einen 
starken und gefährlichen Gegner, dem er zwar schwere, 
aber doch nicht unerträgliche Bedingungen auferlegen 
wollte. Aber der Ausbruch der Revolution veränderte 
die Lage Deutschlands von Grund aus. Der Mar- 
schall soll dem General von Winterfeldt, einem der 
deutschen Unterhändler, mit dürren Worten erklärt 
haben, Deutschland habe nicht mehr den Anspruch 
auf die Rücksichten, die man noch vor einigen Tagen 
hälte nehmen müssen. Sollte das Wort nicht ge- 
fallen sein, so hat doch der französische Marschall 
demgemäß gehandelt. Von Wilsons 14 Punkten und 
sonstigen Auslassungen, von den Grundsätzen der 
Gerechtigkeit und Völkerversöhnung war nicht mehr 
die Rede. Es wurden der deutschen Republik Waffen- 
stillstandsbedingungen auferlegt, wie sie, nach einem 
englischen Zeugnisse, noch nie einer Großmacht auf- 
erlegt worden waren. Warum auch nicht? Das 
deutsche Heer befand sich in der Auflösung, im Deut- 
fchen Reiche ging alles drunter und drüber. Das 
General von Winterfeldt, 
Vertreter der Obersten Heeresleitung. 
(Phot. Alice Matzdorff. Berlin.) 
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