Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

Das freisinnige Bürgertum war nun wohl bereit, 
mit dem Errungenen zufrieden zu sein, und auch die 
ruhigeren, vernünftigeren unter den Arbeitern hörten 
auf die Warnung vor den Phantasten, die sie ins 
Elend treiben würden. Aber das eigentliche Prole- 
tariat hörte nicht darauf, hielt das Erreichte für eine 
erbärmliche Halbheit und wollte mehr, viel mehr. 
Es wollte nicht die Demokratie, sondern die Diktatur 
der Massen. Die Gedanken der Volschewisten waren 
in die großstädtischen Massen eingedrungen, und zwar 
in einem Maße, wie es noch vor einem halben Jahre 
niemand für möglich gehalten hätte. Besonders in 
Berlin hatten die Volschewisten mit gewaltigem Er- 
folge gearbeitet. Bis gegen Ende Oktober hatte sich 
in Berlin als Geschäftsträger der Sowjet-Republik 
der russische Jude Japheph genannt Joffe aufgehalten, 
bis er auf Drängen der Heeresleitung entfernt worden 
war. Auch diese Maßregel war zu spät gekommen, 
denn er hatte seine Zeit in Berlin trefflich zu nutzen 
verstanden. Er hatte seinen Stammesgenossen Oskar 
Cohn und Hugo Haase rund 1V2 Million Mark 
„als ersten Revolutionsfonds" gegeben. Am 16. De¬ 
zember erklärte er, Cohn außerdem die Verfügung 
über 40 Millionen Mark gegeben zu haben. Der 
erklärte dann freilich, er habe sie nicht zu Revolu- 
tionszwecken gebraucht, doch ist es niemals festgestellt 
worden, zu welchen Zwecken sie sonst verwendet worden 
sind. Daß zur Revolutionierung des Volkes Geld, 
viel, sehr viel Geld nötig war, kann man aus dem 
Geständnis eines gewissen Vater, Mitglied des Magde- 
burger Soldatenrats, ersehen, der im Januar 1919 
erklärte: 
„Wir haben unsere Leute, die an die Front gingen, zur 
Fahnenflucht veranlaßt. Die Fahnenflüchtigen haben wir 
organisiert, mit falschen Papieren ausgestattet, mit Geld und 
unterschriftslosen Flugblättern versehen. Wir haben diese Leute 
nach allen Himmelsrichtungen, hauptsächlich wieder an die 
Front geschickt, damit sie die Frontsoldaten bearbeiten und 
die Front zermürben sollten. Und so hat sich der Verfall 
allmählich aber sicher vollzogen." 
Ja, so hat sich der Verfall vollzogen, beim Heere 
und in der Heimat. Die Revolution und damit der 
vollkommene Zusammen- 
bruch war überall, mit 
Hilfe russischen Geldes, 
wohl vorbereitet und 
hätte nur noch aufgehal- 
ten werden können, wenn 
der Kaiser oder ein von 
ihm beauftragter Gene- 
ral sie mit Hilfe zuver- 
lässiger Truppen in Blut 
erstickt hätte. Dazu war 
Wilhelm II. nicht der 
Mann. Er befand sich 
im Großen Hauptquar- 
tier, und dort erfuhr 
er durch den Minister 
Drews, daß die Sozial¬ 
demokraten seine Ab- 
dankung forderten. Er 
lehnte sie ab, weil sie nach seiner Meinung eine 
völlige Anarchie und ein Überhandnehmen der bol- 
schewistischen Ideen zur Folge haben würde. Da- 
für wollte er die Verantwortung nicht übernehmen. 
Am 7. stellten die Sozialdemokraten der Reichsregie- 
rung ein Ultimatum, worin sie erklärten, wenn bis 
zum Z.November mittags der Thronverzicht des Kaisers 
nicht vorliege, so würden sie aus der Regierung aus- 
treten. Daraufhin telegraphierte Mar von Baden 
dem Kaiser, auch er halte seine Abdankung für not- 
wendig und könne nicht Kanzler bleiben, wenn sie 
nicht erfolge. Der Kaiser erwiderte, er bitte ihn, die 
Geschäfte weiterzuführen, bis fein endgültiger Be- 
schluß vorliege. Er schwankte in schweren Seelen- 
kämpfen hin und her, und in seiner Umgebung stärkte 
ihm niemand den Rücken zum Ausharren. Der Mann, 
der ihn vielleicht dazu hätte vermögen können, war 
nicht mehr im Großen Hauptquartier. Am 26. Ok- 
tober hatte Ludendorff seinen Abschied erbeten und 
in Ungnaden erhalten. Am 9. November erfuhr Wil- 
Helm II., daß er dem Thron entsagt habe. Mar von 
Baden gab mittags einen Erlaß bekannt, der folgenden 
Wortlaut hatte: 
„Der Kaiser und König hat sich entschlossen, dem Thron 
zu entsagen. Der Reichskanzler bleibt noch solange im Amte, 
bis die mit der Abdankung des Kaisers, dem Thronverzicht 
des Kronprinzen des Deutschen Reiches und von Preußen und 
der Einsetzung der Regentschaft verbundenen Fragen geregelt 
sind. Er beabsichtigt, den Regenten die Ernennung des Ab- 
geordneten Ebert zum Reichskanzler und die Vorlegung eines 
Gesetzentwurfes wegen der sofortigen Ausschreibung allgemeiner 
Wahlen für eine verfassunggebende deutsche Nationalversamm- 
lung vorzuschlagen, der es obliegen würde, die künftige Staats- 
form des deutscheu Volkes einschließlich der Volksteile, die ihren 
Eintritt in die Reichsgrenze wünschen sollten, endgültig fesl- 
zustellen. Der Reichskanzler: Max, Prinz von Baden." 
In Wahrheit hatte der Kaiser noch gar nicht ab- 
gedankt, und wenn der Erlaß eine Fälschung ge- 
nannt wird, so kann dem schwerlich widersprochen 
werden. Der Prinz war des Glaubens, der Kaiser 
werde auf alle Fälle abdanken müssen, und hielt 
die sofortige Verkündigung des Thronverzichtes für 
unumgänglich nötig, um wenigstens die Monarchie 
in Preußen und damit 
in allen deutschen Bun- 
desstaaten zu retten. Denn 
am selben Tage hatten 
sämtliche Arbeiter in Ber- 
lin die Arbeit niederge- 
legt, und die Truppen 
verbrüderten sich zum 
Teil mit ihnen. So 
meinte er, die Massen zu 
beschwichtigen, indem er 
ihnen die Erfüllung 
des sozialdemokratischen 
Hauptwunsches verkün- 
dete. Aber der Stein 
war ins Rollen gekom- 
men, nichts hielt ihn 
mehr auf. Die Mehr- 
heitssozialisten erkann¬ 
Eeneralfeldmarschall v. Hindenburg begrüßt in Wilhelmshöhe die 
aus dem Felde zurückkehrenden Truppen vor ihrem Einmarsch 
in Cassel. 
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