Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

war er freilich der einzige im Ministerrat, der dem wider- 
sprach. Aber durch die von ihm veranlagten wirt- 
schaftlichen Maßnahmen gegen Serbien, die einer halben 
Erdrosselung gleichkamen, hatte er das Volk der Kara- 
georgiewitsche überhaupt erst zum Todfeinde Oster- 
reich-Ungarns gemacht. Er war die stärkste Stütze 
des Bündnisses mit Deutschland, aber die Deutschen 
in Ungarn hatte er, ebenso wie die Rumänen, vor 
dem Kriege mit der größten Roheit national ver- 
gewaltigt. Er wollte den Sieg in Gemeinschaft mit 
Osterreich, aber daß Osterreich in Hungersnot geriet, 
war zum großen Teile sein Werk.' Alles hatte er 
getan aus glühender Liebe zu seinem Volke, das er 
reich und groß machen wollte, aber er war zu borniert, 
um begreifen zu können, daß dieses Volk sich selbst 
am besten nützte, wenn es schwere Opfer brachte. 
Immerhin wäre er wohl der einzige Mann gewesen, 
der Ungarn vor dem hätte bewahren können, was 
ihm bevorstand. Ungarn wurde erst eine bürger- 
liche, dann eine sozialistische, dann eine bolschewistische 
Republik und somit der Schauplatz furchtbarer und 
greuelvoller Ereignisse, deren Schilderung aber nicht 
hierher gehört. 
Auch nicht ein einziges der österreichisch-ungarischen 
Kronländer hielt am Herrscherhause fest, alle wollten 
Republiken werden. In den letzten Oktobertagen 
war der Kaiser mit seiner Familie aus Wien ab- 
gereist, und die Abreise war einer Flucht sehr ähnlich 
gewesen. Er fuhr nach seinem Schlosse Gödöllö und 
empfing hier die Nachrichten vom Abfall aller seiner 
Länder. Nach langen Verhandlungen, in denen er 
wenigstens den einen oder den anderen Thron zu 
retten suchte, aber überall vergeblich anklopfte, ent- 
sagte er der Herrschaft und zog sich nach der Schweiz 
zurück. 
Das k. u. k. Heer hatte noch eine ganze Zeit lang 
zusammengehalten, als der Staat Osterreich schon 
zerfallen war. Im September lebte in Italien die 
Kampftätigkeit auf allen Teilen der Front kräftig 
auf. Meist gingen die Angriffe von den Italienern 
und ihren Verbündeten aus, aber auch die österreichisch- 
ungarischen Truppen waren noch zu Angriffen fähig, 
obgleich im großen und ganzen die Stimmung der 
Leute keine gute war und viele Desertionen und 
Verrätereien vorkamen. Aber da und dort errangen 
sie noch Sturmerfolge, und die Italiener wurden 
überall abgewehrt. Ende September und Anfang 
Oktober fanden keine Kämpfe von Bedeutung statt. 
Aber am 11. Oktober begannen schwere italienische An- 
griffe in den Sieben Gemeinden, die nur mit größter 
Mühe zurückgeschlagen wurden. Am 29. erfolgten 
italienische und englische Großangriffe an der vene- 
tianischen Gebirgsfront, am 25. und 26. wurde an 
der Brenta erbittert gerungen und die k. u. k. Truppen 
hielten sich so gut, daß der Heeresbericht sagen konnte 
„Die Leistungen unserer Truppen stehen gegen die 
größten Waffentaten früherer Schlachten nicht zurück." 
Am 27. Oktober griffen die Italiener an der Brenta 
wieder an und setzte der Ententeangriff an der Piave ein 
der mit solcher Wucht und Übermacht erfolgte, daß die 
österreichische Heeresleitung den Entschluß faßte, die 
Stellungen nach rückwärts zu verlegen und dort weiter- 
zukämpfen. Das geschah am 28.— aber am 29. Oktober 
war allgemein bekannt geworden, was in der Heimat 
geschehen war, und da brach das Heer, das nicht mehr 
wußte, für wen und für was es eigentlich noch kämpfen 
sollte, völlig auseinander. Es verließ seine Stellungen 
und ging eilig zurück, und an manchen Orten be- 
gannen sogar Kämpfe zwischen den Truppen der ver- 
schiedenen Nationalitäten. Die Heeresleitung sah sich 
gezwungen, den Feind eiligst um Waffenstillstand 
anzugehen, damit sie wenigstens die Trümmer des 
Heeres retten konnte, und sie erhielt ihn am 2. No- 
vember. Seine Bedingungen waren beispiellos hart, 
wie es nicht anders zu erwarten war. Die gänzliche 
Abrüstung der Armee, die sofortige Räumung der be- 
setzten Gebiete und deren Evakuierung wurden selbst- 
verständlich gefordert, aber auch die Rückgabe aller 
Kriegsgefangenen ohne Gegenseitigkeit, die Übergabe 
des größten Teiles der Flotte, das Recht auf jeden 
strategisch wichtigen Punkt in Osterreich-Ungarn und 
alle Bahnen und Transportmittel. Die Blockade 
sollte bestehen bleiben. Der letzte Habsburg - Loth- 
ringer fand die Bedingungen so empörend, daß er 
sie nicht unterzeichnen wollte, sondern seinen Gene- 
ralen mitteilte, er werde von nun an die Oberste 
Militärgewalt nicht mehr ausüben — eine kindische 
Abschiebung der Verantwortung auf andere Schultern, 
die nichts an der Tatsache änderte, daß Osterreich- 
Ungarn mit dem Zusammenbruch seines Heeres auf- 
gehört hatte zu bestehen. 
Die Türkei war durch den Zusammenbruch Bul- 
gariens in eine völlig hoffnungslose Lage gekommen 
Nachdem die bulgarische Armee, die an der Struma 
Konstantinopel beschützt hatte, nicht mehr bestand, 
war die Stadt aufs äußerste bedroht. Sie war es 
um so mehr, als die Engländer in Syrien einen 
großen entscheidenden Sieg errungen hatten. Noch 
Anfang September klangen die türkischen Berichte 
über die Lage in Palästina durchaus hoffnungsvoll. 
Am 5. September scheiterten große englische Angriffe 
bei Jerusalem. Aber am 23. September wurde die 
am Jordan stehende türkische Armee geschlagen und 
mußte sich unter schweren Verlusten zurückziehen. Sie 
ging auf Damaskus zurück, die Engländer folgten ihr 
in raschem Vorschreiten. Wie zerrüttet das türkische 
Heer war, zeigte die Übergabe einer Truppe von 
10999 Mann bei Ammon am 29. September. Am 
2. Oktober schon fiel Damaskus in die Hände der 
Sieger. Am 6.Oktober meldeten die Engländer 71999 
Gefangene, darunter 3999 Deutsche. So wurde hier 
ein großes englisches Heer frei zur Verwendung gegen 
Konstantinopel. Deutschland war nicht in der Lage, 
namhafte Verstärkungen zu schicken, Osterreich-Ungarn 
noch viel weniger, und so kam, was kommen mußte. 
Am 14. Oktober trat Enver Pascha von seinen Amtern 
zurück, und die Türkei bat Wilson um Herbeiführung 
des Friedeits. Am 27. Oktober trat sie mit den Eng- 
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