Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

Man muß sich vergegenwärtigen, was Wilson in 
seinen 14 Punkten gefordert hatte, um die ungeheure 
Bedeutung dieses Schriftstückes zu verstehen. Der 
Präsident hatte u. a. verlangt, Wiedergutmachung 
des „Unrechts von 1870" und Wiedergutmachung 
aller Kriegsschäden, also die Abtretung von Elsaß- 
Lothringen an Frankreich, den Wiederaufbau der 
in Belgien und Nordfrankreich verwüsteten Städte 
und Dörfer und Acker, was ungeheure 
Summen erfordern mußte. Auch mußte 
Deutschland in Ausführung der Wil- 
sonschen Bedingungen dem neugeschaffe¬ 
nen polnischen Staate einen Zugang 
zum Meere schaffen, und das hieß, Dan- 
zig abtreten und somit Ostpreußen vom 
Reiche absperren. Die Note vom 12. Ok- 
tober bedeutete somit nicht weniger als 
das Eingeständnis Deutschlands, daß es 
den Krieg verloren habe und bereit sei, 
unter den härtesten Bedingungen Frie- 
den zu schließen. 
Trotzdem griff der Präsident nicht 
etwa mit beiden Händen zu, wie man 
in Deutschland allgemein erwartet hatte. 
Er gab zwar sehr rasch eine Antwort, 
nämlich am 14. Oktober, aber sie war 
so gehalten, daß sie geradezu die Ehre 
Deutschlands verletzte. Da hieß es u. a. 
Gustav Dauer, 
wurde im Oktober 1918 zum Staats- 
sekretär des Reichsarbeitsamts ernannt. 
(Phot. H. Noack, Berlin). 
nehmigen, solange diele Taten der Unmenschlichkeit, Raub und 
Verwüstung fortdauern, die sie berechtigterweise mit brechenden 
und brennenden Herzen betrachten.—Es ist ebenfalls notwendig, 
damit keine Möglichkeit des Mißverständnisses besteht, daß der 
Präsident feierlich die Aufmerksamkeit der Deutschen auf die 
Bedeutung und den klaren Inhalt eines der Friedenspunkte 
lenkt, den die deutsche Regierung jetzt angenommen hat. Dieser 
Punkt ist enthalten in der Rede, die Präsident Wilson am 
1. Juli bei Mount Vernon gehalten hat, und lautet: ,Die Ver- 
nichtung jeder willkürlichen Macht, die es in den Händen hat, 
allein, geheim und aus eigener Willensbestimmung den Welt- 
frieden zu stören, oder, falls diese Macht 
gegenwärtig nicht vernichtet werden kann, ihre 
Herabminderung bis zur tatsächlichen Ohn- 
macht/ Und die Macht, die bis jetzt das 
Schicksat der deutschen Nation bestimmt hat, 
ist gerade eine von denen, die der Präsident 
bei dieser Rede im Auge gehabt hat. — Es 
liegt in der Macht des deutschen Volkes, das 
zu ändern. Die Worte des Präsidenten ent- 
halten die berechtigten und naturgemäßen Be- 
dingungen, bevor es zu einem Frieden kommen 
kann. Wenn es zu einem Frieden kommen 
soll, muß es durch das Eingreifen des deutschen 
Volkes selbst geschehen. Der Präsident sieht 
sich gezwungen, zu sagen, daß die ganze Ent- 
wicklung des Friedensschlusses seiner Ansicht 
nach von der klaren Entschiedenheit, dem ge- 
nügenden Charakter der Garantien, die in 
dieser fundamentalen Angelegenheit geboten 
werden, bestimmt wird. Es ist unvermeidlich, 
daß die Regierungen, die gegen Deutschland 
verbündet sind, ohne die Möglichkeit irgend- 
einer Täuschung wissen müssen, mit wem sie 
es zu tun haben. Der Präsident wird ferner 
eine Antwort an die österreichisch-ungarische 
Regierung senden." 
„Es muß klar verstanden werden, daß 
die Entscheidung über die Räumung des Ge- 
biets und die Bedingungen des Waffenstill- 
stands Fragen sind, die der Entscheidung und 
den Ratschlägen der militärischen Ratgeber der 
Regierung der Vereinigten Staaten und der 
assoziierten Mächte vorbehalten sind. Der 
Präsident erachtet es als seine Pflicht, zu 
sagen, daß keinerlei Abmachungen durch die 
amerikanische Regierung angenommen wer- 
den können, die nicht absolute und befriedigende 
Garantien und Sicherheiten bieten, daß die 
heutige militärische Lage der amerikanischen 
und alliierten Streitkräfte im Felde aufrecht 
erhalten bleibt. Der Präsident vertraut, mit 
Sicherheit annehmen zu dürfen, daß dies 
ebenfalls die Meinung und Ansicht der alliier- 
ten Regierungen ist. Der Präsident meint, 
daß es seine Pflicht ist, hinzuzufügen, daß 
weder die amerikanische Regierung noch er 
selbst überzeugt ist, daß die Regierungen, die 
mit den Vereinigten Staaten assoziiert sind, 
dem zustimmen, einen Waffenstillstand in Er- 
wägung zu ziehen, solange die bewaffneten 
Streitkräfte Deutschlands ihre gesetzwidrigen 
unmenschlichen Handlungen fortsetzen. 
In der gleichen Stunde, wo die deutsche Regierung sich an 
die amerikanische Regierung mit Friedensvorschlägen wendet, 
sind die deutschen Boote damit beschäftigt, auf der See 
Schiffe zu versenken und nicht nur diese Schiffe selbst, sondern 
auch die Rettungsboote, worin die Passagiere und Mann- 
schaften ihr Leben zu retten versuchen. Bei ihrem jetzigen 
erzwungenen Rückzüge in Flandern und Frankreich fahren 
die deutschen Heere damit fort, alles zu vernichten. Dies 
wurde und wird von mir immer als ein direktes Vergehen 
gegen die Regeln und Bestimmungen der zivilisierten Krieg- 
führung angesehen. Aus Städten und Dörfern, soweit sie 
nicht völlig zerstört sind, werden alle Dinge, die sie enthalten, 
geraubt und oft sogar ihre Bevölkerung verschleppt. — Den 
Regierungen, die mit den Vereinigten Staaten assoziiert sind, 
darf man nicht zumuten, daß sie emen Waffenstillstand ge¬ 
Dr. Solf, 
früher Staatssekretär des Reichskolo- 
nialamts, wurde im Oktober 1918 
zum Staatssekretär des Auswärtigen 
Amtes berufen. 
Offenherzig und geradezu nannte 
Wilson diese Antwort. Das war sie 
nicht, wenigstens nicht in ihrem zweiten 
Teile. Hätte Wilson offenherzig sein 
wollen, so hätte er sagen müssen: Jagt 
eure Regierung zum Teufel. Statt dessen 
bewegte er sich in unklaren Worten und 
Wendungen. Er wurde freilich auch so 
verstanden, ja, seine Worte hatten einen 
Erfolg, wie er ihn wohl selber kaum 
erhofft hatte. In der Masse des deut- 
scheu Volkes bis weit in die bürger- 
liehen Kreise hinein setzte sich jetzt die 
Meinung durch: Alles wäre besser, wenn 
Deutschland eine Demokratie wäre. Mit 
einem demokratisch regierten Deutsch- 
land würden die feindlichen Republiken, 
zu denen ja doch schließlich auch Eng- 
tand gehörte, ganz anders verhandeln; 
der Friede käme dann schneller und. 
unter besseren Bedingungen. Diese Stimmung hatten 
die Führer der Arbeitermassen durch ihre Reden und 
ihre Presse erzeugt und schürten sie nun aufs eifrigste. 
Denn den Umsturz der jetzt bestehenden Gewalten 
wollten sie alle. Es sollte ein Ende gemacht werden mit 
der Herrschaft der Junker, der Schlotbarone, der Bour- 
geoisie, ein Ende mitdem „fluchbeladenen Regiment" der 
Hohenzollern, dem nun freilich das deutsche Volk mehr 
verdankte als jemals ein Volk seinem Herrscherhause. So 
konnte den Demagogen nichts gelegener kommen, als 
Wilsons versteckte aber deutliche Angriffe auf die deutsche 
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