Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

kraten außer Scheidemann noch Gustav Bauer, der 
seine Laufbahn als Schreiber bei einem Rechtsanwalt 
begonnen hatte. Zum Staatssekretär des Auswärtigen 
wurde der bisherige Staatssekretär des Kolonialamtes 
Dr. Solf ernannt. Er war in dieser Negierung die 
einzige Säule, die von verschwundener Pracht zeugte. 
Alle anderen waren neue Männer und zum größten 
Teile Männer, von denen vor wenigen Monaten 
noch kein Mensch gedacht hatte, daß sie jemals in 
solche Stellungen einrücken könnten. Ein vollkom- 
mener Sieg der Demokratie hatte sich hier vollzogen, 
denn auch der Thronfolger von Baden, der das 
Ganze leitete, war ja nur an die Spitze gelangt, 
weil er im Gerüche demokratischer Gesinnung stand. 
Beinahe freilich hätte er schon nach kurzer Zeit diesen 
süßen Geruch wieder eingebüßt, denn es kam ein 
Brief von ihm an den Tag, den er an einen Hohen- 
lohe geschrieben und in dem er durchaus undemo- 
kratische Gedanken entwickelt hatte. Die Herren von der 
Linken imReichstage,besonders die von der Sozialdemo- 
kratie, entrüsteten sich darüber mächtig, und es fehlte 
nicht viel, so wäre der Zähringer, der in mehreren 
Farben schillern konnte, von seinem kurulischen Sessel 
wieder heruntergefegt worden. Es gelang ihm und 
seinen Freunden indessen, den Sturm noch einmal 
zu beschwören. 
So war denn die Regierung geschaffen, die durch 
ihre Zusammensetzung den feindlichen Demokratien 
Vertrauen einflößen sollte, und schon am Tage nach 
ihrem Zusammentritt wandte sie sich an den Präsi- 
denten der Vereinigten Staaten, den Frieden und 
den sofortigen Abschluß eines Waffenstillstandes zu 
vermitteln. Wilson hatte Ende September eine Rede 
gehalten, worin er sich mit der Idee des von ihm 
schon mehrmals angepriesenen Völkerbundes beschäftigte 
und fünf Punkte aufgestellt hatte, die er in die Stiftung?- 
Urkunde dieses Bundes hineingeschrieben sehen wollte. 
Sie lauteten: 
1. Die unparteiische Gerechtigkeit, die wir anstreben, wird 
keinen Unterschied machen dürfen zwischen denjenigen, gegen 
die wir gerecht sein wollen, und denjenigen, gegen die wir 
nicht ungerecht sein wollen. Sie wird eine Gerechtigkeit dar- 
stellen müssen, die keine Günstlingswirtschaft, sondern einzig 
die gleichen Rechte der verschiedenen Völker kennt. 
2. Kein individuelles oder spezielles Interesse irgendeiner 
Nation oder irgendeiner Gruppe von Nationen wird einen 
Teil der Vereinbarung beeinflussen können, der nicht der Ge- 
samtheit der Interessen aller entsprechen würde. 
3. Innerhalb des allgemeinen Rahmens der gemeinsamen 
Kräfte der Liga der Nation darf kein Platz sein für Sonder- 
abkommen und Bündnisse oder Verständigung zwischen Gruppen. 
4. Noch weniger dürfte im Rahmen der Liga irgendeine 
Verbindung Platz finden, die wirtschaftlichen Sonderinteressen 
dienen soll. Man wird keine Klausel hinsichtlich des wirt- 
schaftlichen Boykotts oder Ausschlusses ins Auge fassen können, 
ausgenommen unter der Form einer wirtschaftlichen. Strafbe¬ 
stimmung oder des Ausschlusses von den Weltmärkten, die die Liga 
der Nationen als Disziplinarstrafe zu dekretieren berechtigt ist. 
5.Alle internationalen Abkommen und Verträge werden 
zur Kenntnis der ganzen Welt gebracht werden müssen. 
Vorläufig bestand noch eine Menge von Geheim- 
Verträgen, vor allem zwischen England und Frankreich, 
die nicht zur Kenntnis der Welt gebracht werden 
sollten und konnten, weil sie für die beiden Bundes¬ 
genossen nicht eben rühmlich waren. Auch Wilson 
kannte sie nicht, hatte keine Ahnung davon und stieß 
erst später daraus, als er bei den Verhandlungen in 
Paris Dinge in Vorschlag brachte, die diesen Geheim- 
vertrügen zuwiderliefen. Wenn dem aber auch nicht so 
gewesen wäre, und wenn alle Völker sich dem Völker- 
bunde angeschlossen hätten, und wenn auch die mäch- 
tigsten bereit gewesen wären, ihre Lebensinteressen 
der Abstimmung der anderen und kleineren zu unter- 
werfen, und wenn die Gegensätze der Nationalitäten 
nicht mehr gewesen wären, und wenn alle Menschen 
Christen gewesen wären, und wenn es nicht gegolten 
hätte, Frankreich mit Deutschland zu versöhnen, so 
hätte wohl die Liga der Nationen zustande kommen 
können, und dadurch wäre — das war des Pudels 
Kern — die vollkommene Übermacht der beiden angel- 
sächsischen Staaten auf viele Jahrzehnte hinaus ver- 
tragsmäßig festgelegt und das große heilige Geschäft 
der Ausbeutung aller Völker nicht durch Kriege un- 
bequem gestört worden. 
Andere Aussichten und einen anderen Sinn und 
Zweck hat der Wilsonsche Völkerbundgedanke nie ge- 
habt, und doch war es der deutschen Regierung 
nicht zu verdenken, daß sie sich mit ihrem Antrage 
an Wilson wandte. Es blieb ihr ja eigentlich gar 
nichts anderes übrig. Ein Gesuch bei Elemenceau 
oder Lloyd George konnte nur die Antwort zur Folge 
haben: Unterwerft euch sofort auf Gnade und Un- 
gnade! Denn die beiden hatten aus ihrem tödlichen 
Hasse gegen Deutschland nie ein Hehl gemacht. Sie 
hatten dabei auch ihre Völker hinter sich. Wie konnte 
Frankreich seine verwüsteten Provinzen, England seine 
versenkten Schiffe, halbzerstörten Städte und die Todes- 
angst vergessen, die es ausgestanden hatte. Amerika 
dagegen war vom Kriege noch wenig berührt, die 
Kluft, die das Land der Iankees von Deutschland 
trennte, schien noch am leichtesten überbrückbar, und 
wenn sich die deutsche Regierung auf die Kongreß- 
botschaft des amerikanischen Präsidenten vom 8.Januar 
mit ihren 14 Punkten und auf seine Rede vom 
27. September mit ihren fünf Punkten berief, so war 
dagegen, wie die Dinge nun einmal lagen, nichts ein- 
zuwenden. Ganz lächerlich aber war die Wilson- 
begeisterung, die nun die Parteien der Linken und 
ihre Führer an den Tag legten. Wilson war in den 
Augen dieser Leute ein überaus edler und erleuchteter 
Mann, ein stählener Charakter, eine Patriarchen- 
gestalt der Menschheit, der Bringer einer neuen Zeit, 
denn mit seinen 14 Punkten und seinem Völkerbunde 
begann auf Erden eine neue Ära, die Ära der Ver- 
söhnlichkeit und Gerechtigkeit und des ewigen Friedens. 
Was einst Christus mit recht mäßigem Erfolge an- 
gestrebt hatte, das führte jetzt der Heiland aus dem 
Lande des Dollars und der unbegrenzten Möglich- 
leiten siegreich durch. An seinem guten, väterlichen 
Willen zu zweifeln, galt denen um Scheidemann und 
vielen anderen als ein Zeichen niedriger Gesinnung 
oder boshafter Verstocktheit. Wenn der neunmal ge- 
siebte, gerissene Vertreter angelsächsischer Kapitals- 
9G3
	        
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