Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

„Wir können den Krieg noch auf absehbare Zeit weiter- 
führen, dem Gegner schwere Verluste beibringen, verwüstetes 
Land hinter uns lassen; gewinnen können wir damit nicht mehr. 
— Diese Erkenntnisse und die Ereignisse ließen in dem Herrn 
Generalfeldmarschall und den General Ludendorff den Ent- 
schluß reifen, Sr. Majestät vorzuschlagen, den Kampf abzu- 
brechen und dem deutschen Volke und seinen Verbündeten 
weitere Opfer zu ersparen. — Ebenso wie unsere große Offen- 
sive am 15. Juli sofort eingestellt wurde, als ihre Fortsetzung 
nicht mehr im Verhältnis zu den zu bringenden Opfern stand, 
ebenso mußte jetzt der Entschluß gefaßt werden, die Fortsetzung 
des Krieges als aussichtslos aufzugeben. Noch ist hierzu 
Zeit. Noch ist das deutsche Heer stark genug, um den Geg- 
ner monatelang aufzuhalten, örtliche Erfolge zu erzielen, und 
die Entente vor neue Opfer zu stellen. Aber jeder Tag bringt 
den Gegner seinem Ziele näher und wird ihn weniger geneigt 
machen, mit uns einen für uns erträglichen Frieden zu schließen. 
Deshalb darf keine Zeit verloren gehen. Jede Stunden 
können die Lage verschlechtern und dem Gegner Gelegenheit 
geben, unsere augenblickliche Schwäche noch klarer zu übersehen. 
Das könnte die unheilvollsten Folgen für die Friedensaus- 
sichten und für die militärische Lage haben. — Weder Heer 
noch Heimat dürfen etwas tun, was Schwäche zeigt. Gleich 
mit dem Friedensangebot muß in der Heimat eine geschlossene 
Front entstehen, die erkennen läßt, daß der unbeugsame Wille 
besteht, den Krieg fortzusetzen, wenn der Feind uns keinen 
Frieden oder nur einen demütigenden Frieden geben will. 
Sollte dieser Fall eintreten, dann wird das Durchhalten des 
Heeres entscheidend von der festen Haltung der Heimat und 
dem Geiste, der aus der Heimat zum Heere dringt, abhängen." 
So redete die Oberste Heeresleitung zu den Partei- 
führern in der Heimat. Von der Empfehlung, einen 
Frieden um jeden Preis zu schließen oder auch nur 
von dem Eingeständnis, daß ein solcher Frieden ge- 
schlössen werden müsse, kann demnach nicht die Rede 
sein. Auch das Geschwätz, Ludendorff habe im Au- 
gust 1918 einen Nervenzusammenbruch erlitten und 
deshalb die deutsche Regierung übereilt dazu bestimmt, 
dem Feinde Waffenstillstand anzubieten, sollte nun 
endlich verstummen. Was Ludendorff im August 
der Regierung des Grafen Hertling etwa geraten hat, 
ist vollkommen gleichgültig, denn die Regierung des 
Grafen Hertling hat den ganzen August und Sep- 
tember nichts, aber auch gar nichts getan, um den 
Frieden herbeizuführen. Jetzt erst, unter dem Eindruck 
der Erklärung Vussches vor den parlamentarischen 
Führern, jetzt erst wurde überhaupt eine Friedens- 
aktion eingeleitet, wobei die Schlußsätze seines Vor- 
träges ganz und gar unter den Tisch fielen. 
Denn die ungünstigen Mitteilungen, die der Ab- 
gesandte der Obersten Heeresleitung über die Lage 
zu machen hatte, wirkten auf die Führer der deut- 
schen Reichsboten so, daß sie geradezu einen Nerven- 
Zusammenbruch bei ihnen auslösten. Jetzt rächte sich's, 
daß von der Regierung das ganze Volk einschließlich 
seiner Vertreter wie eine Herde von kleinen Kindern 
behandelt worden war. Die Kanzler, die Staats- 
sekretäre, die Herren vom Auswärtigen Amt und wer 
sonst noch hatten die Abgeordneten jahrelang, mit 
dem süßen Brei der Beschönigung, der Bemäntlung 
alles Übeln, der tröstlichen Verheißungen gefüttert. 
Jetzt mit einem Male sollten die Volksboten die harte, 
bittere Wahrheit schlucken. Das war zu viel für sie. Jede 
weitere Kriegführung erschien ihnen nun wie unnützes 
Blutvergießen. Sie waren, abgesehen von ein 
paar Männern, denen noch der alte preußische Ehr- 
begriff im Blute lag, für jeden Frieden. 
Um den aber schließen zu können, mußte zu- 
vörderst die vom Kaiser angekündigte Parlament«- 
rische Regierung gebildet werden. Sie wurde am 
3. Oktober der staunenden Welt vorgestellt und ent- 
hielt eine derartig bunt zusammengewürfelte Gesell- 
schaft, daß einem, der in preußischen Überlieferungen 
groß geworden war, der Verstand stillstehen konnte. 
Reichskanzler wurde Prinz Mar von Baden. Wer 
ihn zu diesem Posten vorgeschlagen hat, wird erst später 
bekannt werden. Er war ohne Frage das, was man 
in Schwaben „a guter Maa" nannte, Friedensschwär- 
mer, Idealist.vom reinsten Wasser, überzeugter Chri't 
von jenem mystisch-süßlichen Einschlag, den in der Zeit 
Wilhelms II. so viele Mitglieder des deutschen hohen 
Adels an sich trugen. Er hatte sich sowohl um das 
Zustandekommen des Friedens kraft seiner dynastischen 
Familienbeziehungen bemüht, ohne Erfolg, dagegen 
mit besserem Erfolge um eine Besserung des Loses 
der deutschen Gefangenen in Rußland. Dadurch 
hatte er sich wirkliche Verdienste erworben. Er hatte 
früher als Gatte einer Eumberländer Prinzessin 
eine Rolle gespielt bei der Versöhnung der Hohen- 
zollern und Welsen, über deren Nützlichkeit man ja 
verschieden denken kann. Im Laufe des Krieges 
waren zwei Reden von ihm bekannt geworden 
und hatten in der Presse trotz ihrer Gedankenarmut 
viele Beachtung gefunden, weil man ihren Ton bei 
einem deutschen Thronfolger nicht gewöhnt war. 
Sie trieften von Edelmut und Humanität, von Frie- 
densliebe und liberalem Christentum und wiesen die 
Menschheit an, nach den Lehren der Bergpredigt zu 
leben. Zu den Hoftheologen Wilhelms II., deren 
einer den Willen zur Macht als sündhaft erklärte, 
paßte er; wie er auf den Posten des Reichskanzlers 
kam, in der Zeit der schwersten Not, ist ein Rätsel. 
Er ist denn auch der Totengräber der deutschen 
Kaiserherrlichkeit gewesen. Seine Haupthelfer dabei 
waren zwei Männer, die mit ihm zugleich in die 
Regierung eintraten, Scheidemann und Erzberger. 
Philipp Scheidemann aus Kassel war ursprünglich 
gelernter Buchdrucker, wurde dann sozialdemokratischer 
Agitator, Redakteur und einer der Führer der sozial- 
demokratischen Partei. Die Geistesgabe, die ihn 
an die Spitze der Genossen gebracht hatte, war eine 
unleugbar bedeutende demagogische Beredsamkeit. 
Darin war ihm noch über Matthias Erzberger aus 
Buttenhausen, in seiner Jugend Volksschullehrer, dann 
Zentrumsparteigröße, ein Mann, der während des 
Krieges der deutschen Sache sehr viel Unheil zuge- 
fügt hatte, und dem es vorbehalten war, beim Frie- 
densschlusse und nachher noch viel mehr Unheil über 
sein Volk zu bringen. Ferner gehörten der Regie- 
rung an Adolf Gröber, ein bekannter Zentrumsmann, 
der einst mehr deutlich als geschmackvoll die Jour- 
nalisten des Reichstags „Saubengel" genannt und 
dadurch einen Journalistenstreik hervorgerufen hatte. 
Dem Zentrum gehörte auch Trimborn an, der als 
Parlamentarier schon vielfach hervorgetreten war. 
Die Freisinnigen stellten Fischbeck, die Sozialdemo- 
962
	        
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