Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

gann, im April durchführte und die an Roheit an 
die Gewalttaten gegen Griechenland fast heranreichte. 
Die beiden würdigen Beschützer der kleinen Nationen 
zwangen nämlich das neutrale Holland, ihm seine 
gesamte Handelsflotte auszuliefern. Von Regierung 
und Volksvertretung der Niederlande wurde die Zu- 
mutung, ihre Schiffe ausschließlich für England und 
Amerika fahren zu lassen und sie dabei auch in die 
Kriegsgefahrzone zu bringen, als Schmach empfunden 
und mit der größten Entrüstung aufgenommen, aber 
was sollte das kleine Land dagegen tun? Es brauchte 
Getreide, das ihm das hungernde Deutschland nicht 
liefern konnte. Seine Schiffe lagen zum Teil in 
amerikanischen Häfen und bekamen keine Kohlen zur 
Abfahrt, durften auch keine Frachten aufnehmen, und 
zudem war es in dem Augenblicke seine Kolonien 
los, in dem sie England nehmen wollte. So mußte 
es klein beigeben und dulden, was die übermächtigen 
Erpresser von ihm forderten. Im April wurde, um 
das holländische Selbstgefühl nicht allzu tödlich zu 
verletzen, ein Abkommen mit Amerika geschlossen, 
demzufolge die Vereinigten Staaten die nieder- 
ländischen Schiffe „mieteten". Aber die Sache wurde 
dadurch für Holland nur noch schmachvoller, denn 
nun sah es aus, als ob sich das Land für seinen 
Neutralitätsbruch — denn das war er, wenn auch 
ein erzwungener — bezahlen ließe. 
Am 9. Mai wiederholten die Engländer ihren An- 
griff auf Ostende, nachdem am 8. ein mißglückter 
englischer Fliegerangriff unternommen worden war. 
Aber es gelang ihnen nicht, die Hafeneinfahrt zu 
verschließen. Der alte Kreuzer, den sie dafür opfern 
wollten, sank völlig zerschossen außerhalb des Fahr- 
wassers. Zwei ihrer Motorboote wurden außerdem 
versenkt, ein Monitor schwer beschädigt. Am 19. Mai 
erschienen die Deutschen wieder einmal — das letzte 
Mal — über London und belegten es mit Bomben. 
Auch Dover und andere Küstenorte wurden heim- 
gesucht. — Am 5. Juni erlebten die Iankees einen 
großen Schrecken, denn deutsche U=Boote tauchten an 
der amerikanischen Küste auf. In wenigen Tagen 
wurden 80000 Tonnen von ihnen versenkt und der 
amerikanische Handel empfindlich gestört. War aber, 
wie anzunehmen, von den Deutschen beabsichtigt, die 
amerikanischen Transporte nach Europa zu unter- 
binden, so gelang das nicht; die Amerikaner fuhren 
in großen Geleitzügen, die den U-Booten nur geringe 
Versenkungsmöglichkeiten darboten. Im eigentlichen 
Seekrieg ist in dem Monat Juni nichts als ein 
Gefecht zwischen Torpedobooten am 27. an der flan- 
duschen Küste zu erwähnen. Vom Juli gilt dasselbe. — 
Am 1. August trat ein Wechsel in der Leitung der 
deutschen Marine ein. Der Chef des Admiralstabes 
v. Holtzendorff trat zurück; sein Nachfolger wurde 
der Sieger in der Skagerakschlacht, Admiral Scherr. 
Zu spät! In der Nacht vom 3.zum K.August unter- 
nahmen die Deutschen ihren letzten Luftangriff auf 
England und suchten mit Erfolg Boston, Norwich 
und die Humbermündung heim. Dabei zeichneten 
sich besonders aus Korvettenkapitän Proelß und die 
Kapitänleutnants Zaeschmar, Walther, v. Freuden- 
reich und Dose, aber leider fand der hervorragende 
Führer des Geschwaders Fregattenkapitän Strasser 
mit seinem Fahrzeuge den Untergang. Am 11. August 
wagten die Engländer, was sie noch nie gewagt 
hatten, einen Vorstoß gegen die deutsche Bucht. 
Mindestens 23 Linienschiffe, 6 Kreuzer, viele Zerstörer 
und Flugzeuge setzten sich in Bewegung. Sie zogen 
sich aber sogleich zurück, als deutsche Seestreitkräfte 
ihre Annäherung bemerkten und das Feuer eröffneten. 
Das war im August, September und Oktober das 
einzige Ereignis der Kriegführung auf See, das über- 
Haupt zu erwähnen ist. 
Was den D-Bootskrieg betrifft, so bedrängte er 
während des Frühlings und Sommers England noch 
immer sehr hart, doch sank die Zahl der versenkten 
Tonnen beständig. Im April betrug sie noch über 
630000, im August 420000 (nach den deutschen in den 
Zeitungen veröffentlichten Berichten). Im September 
ging sie noch tiefer herab. Im Oktober hob die deutsche 
Regierung den unbeschränkten U-Bootkrieg mit Rück- 
sicht auf Wilson auf, da sie ihn zum Friedensver- 
mittler erkoren hatte und er erklärte, den Frieden 
nicht vermitteln zu können, so lange die deutsche „un- 
menschliche Kriegführung" andaure. So gab sie das 
stärkste Mittel, einen halbwegs erträglichen Frieden 
zu erlangen, aus der Hand. 
Der uneingeschränkte U-Bootkrieg hatte die Er- 
Wartungen nicht erfüllt, die das deutsche Volk auf 
ihn gesetzt hatte, denn er kam zu spät. Tirpitz hatte 
ihn im Februar 1916 gefordert, er wurde aber erst 
ein Jahr später begonnen, nachdem er im Jahre 1916 
zwar angefangen, aber auf Wilsons Einspruch ab- 
gebrochen worden war. Völlig ist er überhaupt nie- 
mals durchgeführt worden, auch nicht im Jahre 1917, 
sondern die deutsche Regierung hat immer wieder 
Ausnahmen zugestanden. Die schwächliche, unklare, 
zögernde Haltung der deutschen Regierung in dieser 
lebenswichtigen Frage hat ohne Zweifel die Nieder- 
läge sehr wesentlich mitverschuldet. Es ist kaum zu 
widerlegen, was Tirpitz darüber schreibt: 
„In Wahrheit konnte unser I^-Vootsbestand 1916 weit mehr 
leisten als 1917, wie ich im Februar 1916 vorausgesagt habe. 
Es kommt für den I^-Bootskrieg nicht auf die Zahl der U*23oote, 
sondern lediglich auf die Versenkungsziffern an. Für diese 
einfache Wahrheit waren die hinzögernden Politiker zu klug. 
Die Erträgnisse des I^-Voots sanken im Verhältnis rvie die 
Abwehrmaßnahmen des Gegners stiegen. Diese Maßnahmen 
erforderten Jahre; die Jahre haben rvir den Feinden gelassen. 
Unser I^-Vootssieg war nur in einer gewissen Zeitspanne zu 
gewinnen; diese Zeitspanne haben wir mit Angst und Hoff- 
nung auf Wilson versäumt. Die erschütternden Zahlen, die 
das belegen, konnten der Öffentlichkeit während des Krieges 
nicht übergeben werden, woraus die Gegner des I^-Voots- 
krieges Nutzen für ihre Entstellungen zogen. Ich greife aus 
der Summe der Beweise nur eine einzige Tatsache heraus. 
Im Frühjahr 1916 betrug beim eingeschränkten d. h. un- 
genügenden I^-Vootskrieg die Versenkungsziffer für Boot und 
Reise 17000 Tonnen. Beim unbeschränkten I^-Vootskriege 
beträgt die Versenkungsziffer nach den Erfahrungen des Jahres 
1916 mindestens das dreifache des eingeschränkten. Man hätte 
also damals 51000 Tonnen für Boot und Reise mit Sicher- 
heit erzielt. Im Sommer 1917 betrug dasselbe Ergebnis 14000, 
im Herbst nur noch 9000 Tonnen. Wir hatten im Frühjahr 1916 
956
	        
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