Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

gewesen wäre — und ihre Darstellung fand bei der 
Masse der Urteilslosen Glauben. Es wurde über- 
Haupt alles geglaubt, was geeignet war. auf die 
„Großen" einen Flecken zu werfen. Das mutzte vor 
allem der Erbe der deutschen Kaiserkrone erfahren. 
Kronprinz Wilhelm war ein frischer Mensch mit offnen 
Augen und Hellem Sinn, tapfer, schlicht und einfach, 
dem Theaterpomp seines Vaters ganz abgeneigt und 
frei von der mystischen Gottesgnadenfrömmelei, die 
dem Kaiser so viele Herzen entfremdete. Er hatte 
einige Proben staatsmännischer Begabung an den Tag 
gelegt. Wie weit seine Fähigkeiten in dieser Hinsicht 
gingen war daraus noch nicht zu ersehen, aber ohne 
Zweifel war er seinem ganz und gar unstaatsmänni- 
schen Vater weit überlegen. Bei seinen Soldaten war 
er sehr beliebt, und wenn er auch kein Feldherr war, 
so war er doch ein guter Soldat. Während sein 
Vater sich beraten lietz von Vethmann, Vallin, Rathe- 
nau, Bleichröder, Isidor Löwe, Jonas Simon, Felix 
Simon, Lewin, Markus, Friedländer-Fuld, um- 
gab sich der Kronprinz lieber mit Leuten, deren 
Namen schon zur Zeit Friedrichs des Großen und 
früher einen guten Klang gehabt hatten. Die 
eigentlichen Machtinhaber unter der Regierung Wil- 
Helms II. sahen in ihm eine Gefahr, die Feinde 
natürlich auch, denn denen konnte nur ein Hohen- 
zoller recht sein, der aus der Art geschlagen war. 
So wurde von inneren und äußeren Feinden zu- 
gleich eine Hetze gegen den Kronprinzen in Szene 
gesetzt, die ihresgleichen suchte. In puncto sexti war 
sein Leben nicht ganz einwandfrei gewesen, und das 
wäre ja auch ein Kunststück gewesen für einen jungen 
Fürsten, den die Verführung tausend»,al mehr zu 
umdrängen pflegt als andere Sterbliche, und dem 
sich die holde Weiblichkeit aller Vevölkerungsklassen 
begeistert an den Hals wirft. Daraus drehte man 
ihm nun den Strick. Ungeheuerliche Märchen wurden 
über sein jeder Sittlichkeit hohnsprechendes Leben 
in Umlauf gebracht. Er sollte beständig von einem 
Harem umgeben sein, auch im Felde, ja es sollten 
ihm junge Französinnen und Belgierinnen mit Ge- 
walt zugeführt worden sein. Die Zeitungen durften 
darüber natürlich nichts bringen oder höchstens die 
zartesten Andeutungen, aber durch Flugblätter, ge- 
fälschte Feldbriefe und durch das gesprochene Wort 
wurden solche Gerüchte verbreitet. Die Giftsaat fiel 
auf fruchtbaren Boden. In dem durch Nervenüber- 
reizung halb wahnsinnigen Volke wurden derartige 
Gerüchte geglaubt und haben mit dazu geholfen, 
der Revolution den Weg zu bereiten. 
Die Seele des deutschen Volkes war krank, sehr 
krank geworden, das konnte man aus diesen und 
anderen Zeichen auss deutlichste erkennen, und die 
Hauptursache ihrer Erkrankung war der Hunger. 
Noch im Jahre 1916 hat es unter den deutschen 
Ärzten Narren gegeben, die behauptet hatten, die 
Entziehung tierischer Nahrungsstoffe und die Nöti- 
gung zu fasten, könne die allgemeine Volksgesundheit 
in Deutschland heben. Das deutsche Volk habe viel 
zuviel gegessen, die Gewöhnung an schmale Kost 
werde den meisten nur dienlich sein. Aber schon 
Anfang 1917 war dieses blödsinnige Geschwätz völlig 
verstummt, und als dieses Jahr zu Ende ging, da 
wußte jeder verständige Arzt in Deutschland, daß jeder 
weitere Monat der Blokade dem deutschen Volke 
furchtbare und dauernde gesundheitliche Schädigung 
bringe. Im Klima Mitteleuropas kann kein Mensch 
auf die Dauer gesund bleiben ohne reichliche Fett- 
zufuhr. Aber an Fetten und Olen war ein der- 
artiger Mangel, daß er kaum noch erträglich schien. 
Immer deutlicher trat zutage, daß der „Schweine- 
mord", d.h. die massenhafte Abschlachtung der Schweine 
auf behördliche Anordnung, eine riesige Dummheit 
gewesen war. Die Leute magerten in erschreckender 
Weise ab. Gewichtsabnahmen von 20, 40, 60 Pfund 
waren gar nicht selten. Entsetzlich litten vor allen 
Dingen die Kinder und die Alten. Die kleinen 
Kinder in den Großstädten siechten dahin und starben 
massenhaft, denn zu der mangelnden Fetternährung 
gesellte sich ein schauderhafter Mangel an Milch. Auch 
sie wurde nur auf Karten ausgegeben, wie denn 
schließlich fast alle Lebensmittel rationiert worden 
waren. Wenn da auf ein Kind ein halbes Liter 
Milch täglich kam, so war das sehr viel. In zahl- 
reichen Städten konnte nur ein viertel Liter bewilligt 
werden, und hin und wieder stockte die Milchzufuhr 
ganz und gar. Es konnte auch gar nicht anders sein, 
denn man hatte den Bauern einen großen Teil ihrer 
Milchkühe alsSchlachtvieh zwangsweise weggenommen; 
nun suchten sie im Schleichhandel das zu ersetzen, 
was ihnen dadurch verlorenging. Den Schaden 
hatten die Kinder der Leute, die nicht das Geld hatten, 
die Schleichhandelspreise zu bezahlen, oder nicht die 
Zeit, auf den Dörfern mit Rucksäcken und Handtaschen 
herumzuvagabundieren. 
Im Winter 1917 zu 1918 stellten sich die Ernäh- 
rungsverhältnisse in den Großstädten etwa so: Es 
wurden wöchentlich auf den Kopf abgegeben 3 bis 
5 Pfund Brot, 3 bis 5 Pfund Kartoffeln (wenn näm- 
lieh welche vorhanden waren), 100 bis 150 Gramm 
Fleisch, 50 bis 100 Gramm Butter oder Fett oder 
Margarine, alle 3 Wochen ein Ei, hin und wieder 
einmal ein viertel oder ein halbes Pfund Gemüse, 
Graupen und dgl. Milch gab es nur für stillende 
Mütter und kleine Kinder. Kranken mußte der Arzt 
bescheinigen, daß sie der Milch bedürftig waren, und 
sie durften sich glücklich schätzen, wenn die zur Milch- 
Verteilung eingesetzte Kommission das Zeugnis des 
Arztes anerkannte. 
Wer wirklich auf diese Ration gesetzt war, ver- 
kümmerte oder starb. Nach der Feststellung deutscher 
Arzte, die damit beauftragt waren, die Folgen der 
Blockade statistisch nachzuweisen, waren bis zum Ab- 
schlusse des Waffenstillstandes ungefähr 800000 Men- 
schen in Deutschland an Hunger gestorben, und zahl- 
lose andere hatten durch die Unterernährung dauern- 
den Schaden an ihrer Gesundheit erlitten. Zu der 
außerordentlich erhöhten Sterblichkeit gesellte sich schon 
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