Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

Lage der deutschen Armee notwendigerweise erhalten 
mußte, waren nur allzu geeignet, solche Gedanken 
in seiner schwachen, aber ungeheuer herrschsüchtigen 
Seele anzuregen und stark werden zu lassen. Ebenso 
übel war die Wirkung der deutschen Niederlage auf 
die Bulgaren. Dort war Radoslawow aus seinem 
Amte verdrängt worden, der bedeutendste Staats- 
mann unter den Staatsmännern der Mittelmächte 
— wozu freilich nicht allzuviel gehören mochte — 
und Malinow war an seine Stelle getreten. In 
Berlin wußte man ganz genau, daß mit ihm ein 
Deutschenfeind vom reinsten Wasser an die Spitze der 
bulgarischen Regierung trat, aber es geschah nichts, 
um das zu hindern, ebenso wie der Kanzler des Deut- 
schen Reiches es ruhig mit ansah, daß Malinow ein 
Ministerium aus lauter Deutschfeinden bildete. Die 
Berliner Diplomaten glaubten, das neue Ministerium 
werde wohl oder übel so regieren müssen wie das 
abgetretene, da der Zar und die größte Hälfte des 
bulgarischen Volkes fest zu dem Bündnisse stehe. Aber 
das Ansehen des Zaren stand in dem wankelmütigen 
Slavenvolke längst nicht so fest, wie man in Berlin 
wähnte, und die zweideutige Haltung Deutschlands 
und Österreich-Ungarns in der Dobrudschafrage hatte 
im Volke das tiefste Mißtrauen hervorgerufen. 
Der deutschen Heeresleitung erschienen die teuren 
Bundesgenossen sehr verdächtig, die Haltung der 
Truppen zum großen Teil bedenklich, die Ersatzaus- 
sichten, und das war das Entscheidende, überaus er- 
bärmlich, denn mit Leuten, die eventuell, wenn ein 
Angriff befohlen wurde, den „Streik" ausriefen, war 
kein Krieg mehr zu führen. Sie befürwortete dem- 
nach schon am 13. und 14. August in Spaa bei 
einer Besprechung in Gegenwart des Kaisers die Ein- 
leitung von Friedensschritten und gab sich nicht der 
Täuschung hin, daß der Friede ein günstiger werden 
könne. Dazu wußte der Feind viel zu genau, daß 
er den Sieg in der Hand hielt. Jede Division, die 
frisch von Amerika herüberkam, stärkte ihn an Kampf- 
kraft; jede Ersatztruppe, die Deutschland aus bisherigen 
Drückebergern, kriegsverwendungsfähig geschriebenen 
Munitionsarbeitern und verhetzten Jugendlichen an 
die Front schaffte, war ein sehr unsicherer Zuwachs, 
schwächte die deutsche Kampfkraft mehr als sie zu 
heben. Nur zweierlei hätte die Leiter der Entente 
überhaupt zum Frieden bewegen können: Die Rück- 
sicht auf das Blut ihrer Leute und die Erwägung, 
daß ein zur Verzweiflung gezwungener Feind zu- 
weilen noch ganz ungeahnte Kräfte entfaltet. Noch 
konnten derartige Erwägungen wirksam sein auch bei 
haßerfüllten Feinden, darum war keine Zeit mehr 
zu verlieren. 
Der deutsche Kaiser wünschte, daß die Königin der 
Niederlande den Frieden vermittele. Dieser Plan 
wurde durch die österreichischen Diplomaten zunichte 
gemacht. Wie fast immer während des Krieges, ließ 
Berlin sich von Wien leiten und bestimmen. Zunächst 
wurde von Friedensbestrebungen überhaupt nichts 
ruchbar; der Krieg ging weiter, und die Negierungen 
des Vielverbandes und ihre Völker strengten alle 
ihre Kraft an, ihn siegreich zu beenden. 
Ein Großangriff folgte aus den andern. Am 
15. August warf der französische Feldherr gewaltige 
Kräfte gegen Noyon, aber er vermochte dort nur 
geringe Erfolge zu erzielen. In der Hauptsache 
blieben die deutschen Stellungen unversehrt. Am 
16. August scheiterte ein Großangriff der Franzosen 
an der Avre. Am 17. waren die französischen Vor- 
stöße nicht so stark wie am vorhergehenden Tage und 
wurden sämtlich zurückgewiesen. Am 18. griffen die 
Franzosen, zwischen Aisne und Oise an, Engländer 
und Franzosen an der Somme und an der Straße 
Amiens-Roye, setzten ihre Angriffe am folgenden 
Tage fort und suchten am 20. August mit aller Kraft 
den Durchbruch zu erzwingen. Zwischen Oise und 
Ancre gelang es den Franzosen, an mehreren Stellen 
tief in die deutschen Linien einzudringen. Zum Teil 
wurden sie wieder zurückgeworfen, aber die dort 
stehenden deutschen Heeresteile mußten in der Nacht 
zum 21. und zum 22. hinter die Oise und Ailette 
zurückgenommen werden. Auch dieser Tag zeigte in 
erschreckender Weise, wie sehr die Widerstandskraft 
des deutschen Heeres abgenommen hatte. Am 21. Au- 
gust begannen die Engländer zwischen Boisleur und 
der Ancre südlich von Arras ihre Angriffe gegen die 
Heeresgruppe des Kronprinzen Rupprecht, die bis zum 
Ende des Krieges ununterbrochen fortgeführt wurden. 
Jeden Tag stürmten die Engländer zwischen Arras 
und Somme, die Franzosen zwischen Somme und 
Oise gegen die deutschen Stellungen an, und wenn 
sie auch meistens zurückgeworfen wurden, so schwächten 
sie doch das deutsche Heer derartig, daß die deutsche 
Heeresleitung sich genötigt sah, einen Heeresteil nach 
dem andern zurückzunehmen. Am 24. unternahmen 
die Deutschen einen großen Gegenangriff gegen die 
Engländer, erzielten auch Geländegewinn, trugen 
aber große Verluste davon und konnten die er- 
kämpften Vorteile nicht behaupten. Am 28. August 
gingen sie weiter zurück und räumten Noyon, am 29. 
gaben sie Bapaume auf. Ein englischer Riesenan- 
griff am 30. August wurde unter den schwersten Ver- 
lusten für die Stürmenden abgewehrt, aber am 
31. August mußten sich die Deutschen entschließen, 
den Kemmel wieder zu räumen, wo so viel edles 
deutsches Blut geflossen war. Hinter die Ailette 
waren sie schon am vorhergehenden Tage zurückge- 
gangen. Wie groß das Ansehen Hindenburgs und 
Ludendorffs war, geht daraus hervor, daß die Mehr- 
zahl der deutschen Zeitungen den fortwährenden Rück- 
zug als etwas Gewolltes, Berechnetes priesen, wodurch 
die deutschen Heere geschont, die feindlichen „abge- 
nutzt" würden. Auch der schweizerische Oberst Egli, 
der in den „Baseler Nachrichten" den Krieg mit seiner 
Kritik zu begleiten pflegte, sah darin ein Manöver 
Hindenburgs, der mehr auf die Zertrümmerung der 
feindlichen Heere, als auf Raumgewinn ausgehe, und 
sogar der berühmte Kriegsbesprecher des „Berner 
Bundes", Hermann Stegemann, betrachtete „die wan- 
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