Lage der deutschen Armee notwendigerweise erhalten
mußte, waren nur allzu geeignet, solche Gedanken
in seiner schwachen, aber ungeheuer herrschsüchtigen
Seele anzuregen und stark werden zu lassen. Ebenso
übel war die Wirkung der deutschen Niederlage auf
die Bulgaren. Dort war Radoslawow aus seinem
Amte verdrängt worden, der bedeutendste Staats-
mann unter den Staatsmännern der Mittelmächte
— wozu freilich nicht allzuviel gehören mochte —
und Malinow war an seine Stelle getreten. In
Berlin wußte man ganz genau, daß mit ihm ein
Deutschenfeind vom reinsten Wasser an die Spitze der
bulgarischen Regierung trat, aber es geschah nichts,
um das zu hindern, ebenso wie der Kanzler des Deut-
schen Reiches es ruhig mit ansah, daß Malinow ein
Ministerium aus lauter Deutschfeinden bildete. Die
Berliner Diplomaten glaubten, das neue Ministerium
werde wohl oder übel so regieren müssen wie das
abgetretene, da der Zar und die größte Hälfte des
bulgarischen Volkes fest zu dem Bündnisse stehe. Aber
das Ansehen des Zaren stand in dem wankelmütigen
Slavenvolke längst nicht so fest, wie man in Berlin
wähnte, und die zweideutige Haltung Deutschlands
und Österreich-Ungarns in der Dobrudschafrage hatte
im Volke das tiefste Mißtrauen hervorgerufen.
Der deutschen Heeresleitung erschienen die teuren
Bundesgenossen sehr verdächtig, die Haltung der
Truppen zum großen Teil bedenklich, die Ersatzaus-
sichten, und das war das Entscheidende, überaus er-
bärmlich, denn mit Leuten, die eventuell, wenn ein
Angriff befohlen wurde, den „Streik" ausriefen, war
kein Krieg mehr zu führen. Sie befürwortete dem-
nach schon am 13. und 14. August in Spaa bei
einer Besprechung in Gegenwart des Kaisers die Ein-
leitung von Friedensschritten und gab sich nicht der
Täuschung hin, daß der Friede ein günstiger werden
könne. Dazu wußte der Feind viel zu genau, daß
er den Sieg in der Hand hielt. Jede Division, die
frisch von Amerika herüberkam, stärkte ihn an Kampf-
kraft; jede Ersatztruppe, die Deutschland aus bisherigen
Drückebergern, kriegsverwendungsfähig geschriebenen
Munitionsarbeitern und verhetzten Jugendlichen an
die Front schaffte, war ein sehr unsicherer Zuwachs,
schwächte die deutsche Kampfkraft mehr als sie zu
heben. Nur zweierlei hätte die Leiter der Entente
überhaupt zum Frieden bewegen können: Die Rück-
sicht auf das Blut ihrer Leute und die Erwägung,
daß ein zur Verzweiflung gezwungener Feind zu-
weilen noch ganz ungeahnte Kräfte entfaltet. Noch
konnten derartige Erwägungen wirksam sein auch bei
haßerfüllten Feinden, darum war keine Zeit mehr
zu verlieren.
Der deutsche Kaiser wünschte, daß die Königin der
Niederlande den Frieden vermittele. Dieser Plan
wurde durch die österreichischen Diplomaten zunichte
gemacht. Wie fast immer während des Krieges, ließ
Berlin sich von Wien leiten und bestimmen. Zunächst
wurde von Friedensbestrebungen überhaupt nichts
ruchbar; der Krieg ging weiter, und die Negierungen
des Vielverbandes und ihre Völker strengten alle
ihre Kraft an, ihn siegreich zu beenden.
Ein Großangriff folgte aus den andern. Am
15. August warf der französische Feldherr gewaltige
Kräfte gegen Noyon, aber er vermochte dort nur
geringe Erfolge zu erzielen. In der Hauptsache
blieben die deutschen Stellungen unversehrt. Am
16. August scheiterte ein Großangriff der Franzosen
an der Avre. Am 17. waren die französischen Vor-
stöße nicht so stark wie am vorhergehenden Tage und
wurden sämtlich zurückgewiesen. Am 18. griffen die
Franzosen, zwischen Aisne und Oise an, Engländer
und Franzosen an der Somme und an der Straße
Amiens-Roye, setzten ihre Angriffe am folgenden
Tage fort und suchten am 20. August mit aller Kraft
den Durchbruch zu erzwingen. Zwischen Oise und
Ancre gelang es den Franzosen, an mehreren Stellen
tief in die deutschen Linien einzudringen. Zum Teil
wurden sie wieder zurückgeworfen, aber die dort
stehenden deutschen Heeresteile mußten in der Nacht
zum 21. und zum 22. hinter die Oise und Ailette
zurückgenommen werden. Auch dieser Tag zeigte in
erschreckender Weise, wie sehr die Widerstandskraft
des deutschen Heeres abgenommen hatte. Am 21. Au-
gust begannen die Engländer zwischen Boisleur und
der Ancre südlich von Arras ihre Angriffe gegen die
Heeresgruppe des Kronprinzen Rupprecht, die bis zum
Ende des Krieges ununterbrochen fortgeführt wurden.
Jeden Tag stürmten die Engländer zwischen Arras
und Somme, die Franzosen zwischen Somme und
Oise gegen die deutschen Stellungen an, und wenn
sie auch meistens zurückgeworfen wurden, so schwächten
sie doch das deutsche Heer derartig, daß die deutsche
Heeresleitung sich genötigt sah, einen Heeresteil nach
dem andern zurückzunehmen. Am 24. unternahmen
die Deutschen einen großen Gegenangriff gegen die
Engländer, erzielten auch Geländegewinn, trugen
aber große Verluste davon und konnten die er-
kämpften Vorteile nicht behaupten. Am 28. August
gingen sie weiter zurück und räumten Noyon, am 29.
gaben sie Bapaume auf. Ein englischer Riesenan-
griff am 30. August wurde unter den schwersten Ver-
lusten für die Stürmenden abgewehrt, aber am
31. August mußten sich die Deutschen entschließen,
den Kemmel wieder zu räumen, wo so viel edles
deutsches Blut geflossen war. Hinter die Ailette
waren sie schon am vorhergehenden Tage zurückge-
gangen. Wie groß das Ansehen Hindenburgs und
Ludendorffs war, geht daraus hervor, daß die Mehr-
zahl der deutschen Zeitungen den fortwährenden Rück-
zug als etwas Gewolltes, Berechnetes priesen, wodurch
die deutschen Heere geschont, die feindlichen „abge-
nutzt" würden. Auch der schweizerische Oberst Egli,
der in den „Baseler Nachrichten" den Krieg mit seiner
Kritik zu begleiten pflegte, sah darin ein Manöver
Hindenburgs, der mehr auf die Zertrümmerung der
feindlichen Heere, als auf Raumgewinn ausgehe, und
sogar der berühmte Kriegsbesprecher des „Berner
Bundes", Hermann Stegemann, betrachtete „die wan-
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