Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

hier nicht der Platz ist, im Januar 1918 die Aner- 
kennung seiner Selbständigkeit durch die Bolschewiken- 
regierung in Petersburg. 
Am gefährlichsten für Rußland waren die Tren- 
nungsbestrebungen der Ukrainer, denn die Ukraine 
war die Kornkammer des weiten Reiches. Ein volles 
Drittel des russischen Getreides wurde hier gebaut. 
Auch an Bodenschätzen, Kohle, Salz und Eisen ist 
das Land überreich. Annähernd 70 Prozent der 
russischen Eisen- und Kohlehervorbringung wird von 
der Ukraine gestellt. Es wäre für die Eroßrussen 
ein furchtbarer Schlag gewesen, wenn dieses Land 
mit seinen 3V Millionen kleinrussischen Bewohnern 
sich selbständig gemacht und vom Reichskörper 
losgelöst hätte. Das hatte schon Kerenski erkannt 
und alles getan, was in seiner Macht stand, es zu 
verhindern, und das erkannte die bolschewistische Re- 
gierung nach ihm ebenso. Darum fiel es ihr gar 
nicht ein, die werdende unabhängige Republik anzu- 
erkennen. Das sonst so gepriesene Selbstbestimmungs- 
recht der Völker sollte hier nicht anerkannt werden. 
Die Ukrainer aber ließen sich in ihren Bestrebungen 
nicht irremachen und aufhalten. Die „Rada" in 
Kiew ernannte eine ukrainische Regierung, die das 
ukrainische Heer in die Heimat zurückrief, und am 
21. November erklärte die Rada die Ukraine zu einer 
selbständigen Republik, allerdings noch immer inner- 
halb des russischen Gesamtreiches. Der junge Staat 
trug freilich den Todeskeim in sich, denn er ver- 
kündete dieselben Gesetze wie die Bolschewikenrepublik: 
Das unbeschränkte Streikrecht der Arbeiter, die Ab- 
schaffung der Todesstrafe, die Enteignung des Grund- 
besitzes ohne Entschädigung und vor allem den acht- 
stündigen Arbeitstag, die Krone des Blödsinnes auf 
wirtschaftlichem Gebiete. Trotz dieser Gesinnungs- 
Verwandtschaft brach zwischen den beiden glorreichen 
Republiken sehr bald der Krieg aus. Ein Anschlag 
der Bolschewiken auf Kiew wurde am 13. November 
von den ukrainischen Truppen vereitelt, ihre Truppen 
entwaffnet und nach der Heimat abgeschoben. Aber 
einschüchtern ließen sich die Ukrainer nicht. Die Bol- 
schewiken sandten ihnen ein Ultimatum, nach dem 
sie binnen 24Stunden erklären sollten, ob sie den 
Durchzug der bolschewistischen Truppen gegen den 
aufständischen Kosakenführer Kaledin gestatten und 
selbst an dem Kampfe gegen ihn teilnehmen wollten. 
Darauf antworteten die Ukrainer dadurch, daß sie 
ihre Truppen aus der Front zurückriefen, die Grenzen 
nach Norden sperrten, die bolschewistischen Truppen 
in ihrem Lande überall entwaffneten. Nun setzten 
Trotzki und Lenin ihre Heere gegen die Ukrainer in 
Bewegung, aber ihre Soldaten verweigerten den Ge- 
horsam, und so konnten sie nichts ausrichten. Ende 
des Jahres 1917 stand die Sache so, daß die Ukraine 
eine selbständige Republik war, die sich sogar mit 
der Petersburger Regierung im Kriege befand. 
Die kleinen Fremdvölker Rußlands folgten den 
Beispielen der größern. Die Weißrussen, die Beß- 
arabier, die Letten, Litauer und Eschen wollten selb- 
ständig werden. Die Deutschen, Kurländer und Liv- 
länder erstrebten den Anschluß an das Deutsche Reich. 
Die Krim - Tataren, die transkaukasischen Armenier, 
Tataren und Georgier, die Baschkiren — alle wollten 
selbständig werden. Die Donkosaken unter der Füh- 
rung ihres Hetmans Kaledin bekämpften das bol- 
schewistische Großrußland mit den Waffen, und es 
gelang nicht, sie niederzuwerfen. So war das frühere 
Zarenreich in voller Auflösung begriffen — ein 
herzerfreuender Anblick für England, dessen großer 
Gegner in Asien auf unabsehbare Zeit hinaus als 
erledigt gelten konnte. Wenigen Männern ist daher 
England so zu Dank verpflichtet wie den beiden, 
die das durch ihre Siege ermöglicht hatten, Hinden- 
bürg und Ludend orff. 
Die deutschen Kolonien vom Ansang des Krieges bis Ende des Jahres 1917. 
^>as Schicksal der deutschen Kolonien wurde auf 
^/den europäischen Schlachtfeldern entschieden. 
Wenn es hier den Deutschen gelang, den Krieg zu 
ihrem Vorteil zu beenden, so fielen sie nach dem Ab- 
schliche des Völkerringens ganz von selbst wieder an 
ihren rechtmäßigen Herrn zurück. Daß sie während 
des Krieges verlorengehen mußten, daran zweifelte 
in Deutschland kein vernünftiger Mensch. Die deutsche 
Regierung hatte allerdings der englischen den Vor- 
schlag gemacht, im Kriegsfalle Afrika zu neutralisieren, 
damit die schwarze Rasse und die Heidenschaft nicht 
aus nächster Nähe das Schauspiel genössen, wie sich 
die weiße Rasse und sogenannte Christenheit unter- 
einander zerfleischten. Der Vorschlag bewies das 
gute Gemüt, den wackeren, anständigen Charakter 
der Männer, die Wilhelms II. Berater waren, aber 
auch ihre unglaubliche, wahrhaft ungeheuerliche poli- 
tische Unfähigkeit. Die Bücher der Geschichte waren 
diesen Herrschaften offenbar Bücher mit sieben Siegeln, 
denn auf ihren Blättern stand geschrieben, daß Eng- 
land nacheinander die Portugiesen, Holländer, Fran- 
zosen in fremden Erdteilen bekriegt, aufs gewalttätigste 
und roheste behandelt und aus ihren Kolonialbe- 
sitzen verdrängt und nie danach gefragt hatte, ob 
das dem Ansehen oder dem Christentum der weißen 
Rasse schicklich sei oder nicht. Den Engländern war 
es nützlich, und alles andere war ihnen vollkommen 
gleichgültig. Wie sollte es auf den Einfall kommen, 
Deutschland gegenüber anders zu verfahren? 
Es kam auch in der Tat nicht auf diesen 
Einfall und bediente sich sogar der Dienste einer 
andern, nämlich der gelben Rasse, um Deutschland 
aus allen seinen Kolonien zu vertreiben. Den Ja- 
panern überließen die Engländer die Eroberung von 
Tsingtau, wie bereits erzählt worden ist, und stellten 
dazu nur eine kleine Hilfsmannschaft, damit sie sagen 
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