Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

sie alles getan haben. Sie haben durch Taten ihre Anhäng- 
lichkeit an den Frieden nachgewiesen. Diese Anhänglichkeit ist 
jetzt ebenso fest wie im Jahre 1914. Nachdem Deutschland 
seine Verpflichtungen verletzt Hat, kann der von ihm gebrochene 
Friede nicht auf sein Wort gegründet werden. Eine Anregung 
ohne Bedingungen für Eröffnung der Verhandlungen ist kein 
Friedensangebot. Dieser angebliche Vorschlag, der jeden greif- 
baren Inhaltes und jeder Genauigkeit entbehrend durch die 
kaiserliche Negierung in Umlauf gesetzt wurde, erscheint weniger 
als ein Friedensangebot denn als ein Kriegsmanöver. 
Er beruht auf der systematischen Verkennung des Charak- 
ters des Streites in der Vergangenheit, in der Gegenwart 
und in der Zukunft. 
Für die Vergangenheit übersieht die deutsche Note die 
Tatsachen, die Daten und die Zahlen, die feststellen, daß der 
Krieg gewollt, hervorgerufen und verwirklicht worden ist durch 
Deutschland und Österreich-Ungarn. Im Haag war es ein 
deutscher Vertreter, der jeden Vorschlag der Abrüstung ab- 
lehnte; im Juli 1914 war es Österreich-Ungarn, das, nach- 
dem es an Serbien ein beispielloses Ultimatum gerichtet hatte, 
diesem den Krieg erklärte, trotz der sofort erlangten Genug- 
tuung. Die Mittelmächte haben darauf alle Versuche zurück- 
gewiesen, die von der Entente gemacht wurden, um dem ört- 
lichen Streite eine friedliche Lösung zu verschaffen. Das Kon- 
ferenzangebot Englands, der französische Vorschlag eines inter- 
nationalen Ausschusses, die Bitte des Kaisers von Rußland 
an den Deutschen Kaiser um ein Schiedsgericht, das zwischen 
Nußland und Österreich-Ungarn am Vorabend des Konfliktes 
zustande gekommene Einvernehmen (entente) — alle diese An¬ 
strengungen sind von Deutschland ohne Antwort und ohne 
Folge gelassen worden. 
Belgien wurde durch ein Reich überfallen, das seine Neu- 
tralität gewährleistet hatte und das sich nicht scheute, selbst 
zu erklären, daß Verträge „Fetzen Papier" wären und daß 
„Not kein Gebot" kennt. Für die Gegenwart stützt sich das 
Anerbieten Deutschlands auf eine ausschließlich europäische 
„Kriegskarte", die nur den äußeren und vorübergehenden 
Schein der Lage und nicht die wirkliche Stärke der Gegner 
ausdrückt. Ein"Friede, der unter solchen Voraussetzungen ge- 
schlössen wird, würde einzig den Angreifern zum Vorteil ge- 
reichen, die geglaubt hatten, ihr Ziel in zwei Monaten er- 
reichen zu können und nun nach zwei Jahren bemerkten, daß 
sie es niemals erreichen werden. Für die Zukunft verlangen 
die durch die Kriegserklärung Deutschlands verursachten 
Verwüstungen, die zahlreichen Attentate, die Deutschland und 
seine Verbündeten gegen die Kriegführenden und gegen die 
Neutralen verübt haben, Sühne, Wiedergutmachungen und 
Bürgschaften (sanctions, reparations, garanties). 
Deutschland weicht listig dem einen wie dem anderen aus. 
In Wirklichkeit ist die durch die Zentralmächte gemachte Er- 
öffnung weiter nichts als ein wohlberechneter Versuch, auf 
die Entwicklung des Krieges einzuwirken und zum Schlüsse 
einen deutschen Frieden aufzunötigen. Sie beabsichtigt, die 
öffentliche Meinung in den verbündeten Ländern zu ver- 
wirren. Diese Meinung hat aber trotz aller Opfer schon mit 
bewundernswerter Festigkeit geantwortet und die Hohlheit 
der feindlichen Erklärung ins Licht gestellt. Sie will die 
öffentliche Meinung Deutschlands und seiner Verbündeten 
stärken, die schwer geprüft sind, schon durch ihre Verluste, 
zermürbt durch die wirtschaftliche Not und zusammengebrochen 
unter der äußersten Anstrengung, die von ihren Völkern ver- 
langt wird. Sie sucht die öffentliche Meinung der neutralen 
Länder zu täuschen und einzuschüchtern, die sich schon seit 
langem über die ursprüngliche Verantwortlichkeit ein Urteil 
gebildet hat, die sich über die gegenwärtige Verantwortung 
klar ist und die zu hell sieht, um die Pläne Deutschlands zu 
begünstigen, indem sie die Verteidigung der menschlichen Frei- 
heiten preisgibt. Sie versucht endlich, vor den Augen der 
Welt im voraus die neuen Verbrechen des Unterseebootkrieges, 
die Verschleppung von Arbeitern und die gewaltsame Aus- 
Hebung von Staatsangehörigen gegen ihr eigenes Land, sowie 
die Verletzung der Neutralität zu rechtfertigen. 
In voller Erkenntnis der Schwere, aber auch der Not- 
wendigkeiten der Stunde lehnen es die verbündeten Regie- 
rungen, die unter sich eng verbunden und in voller Uber- 
einstimmung mit ihren Völkern sind, ab, sich mit einem Vor- 
schlage ohne Aufrichtigkeit und ohne Bedeutung zu befassen. 
Sie versichern noch einmal, daß ein Friede nicht möglich ist, 
solange sie nicht die Gewähr haben für Wiederherstellung 
(Separation) der verletzten Rechte und Freiheiten, für die An- 
erkennuug des Grundgesetzes der Nationalitäten und der freien 
Existenz der kleinen Staaten, solange sie nicht sicher sind einer 
Regelung, die geeignet ist, endgültig die Ursachen zu beseitigen, 
die seit langem die Völker bedroht haben, und die einzig 
wirklichen Bürgschaften für die Sicherung der Welt zu geben. 
Die verbündeten Mächte halten darauf, zum Schluß die 
folgenden Betrachtungen anzustellen, die die eigentümliche 
Lage hervorheben sollen, in der sich Belgien nach 2^ jährigem 
Kriege befindet; kraft der durch die fünf Großmächte Europas, 
unter denen sich auch Deutschland befand, unterzeichneten Ver- 
träge erfreute sich Belgien vor dem Kriege einer besonderen 
Satzung, die sein Gebiet unverletzlich machte und es selbst unter 
den Schutz dieser Großmächte bei europäischen Konflikten stellte. 
Gleichwohl hat Belgien in Mißachtung dieser Verträge den 
ersten Angriff Deutschlands über sich ergehen lassen müssen. 
Deshalb hält es die belgische Regierung für notwendig, genau 
den Zweck auseinanderzusetzen, weshalb Belgien niemals auf- 
gehört hat, in den Kampf an der Seite der Ententemächte 
für die Sache des Rechts und der Gerechtigkeit einzutreten. 
Belgien hat immer peinlich die Pflichten beobachtet, die ihm 
seine Neutralität auferlegte. Es hat zu den Waffen gegriffen, 
um seine Unabhängigkeit und seine Neutralität zu verteidigen, 
die durch Deutschland verletzt worden sind, und unt seinen 
internationalen Verpflichtungen treu zu bleiben. Am 4. August 
hat der Reichskanzler im Reichstage anerkannt, daß dieser An- 
griff ein Unrecht gegen das Völkerrecht sei und hat sich im 
Namen Deuschlands verpflichtet, es wieder gutzumachen. Seit 
2V2 Jahren hat sich diese Ungerechtigkeit grausam verschärft 
durch die Kriegsmaßnahmen und eine Besetzung, welche die 
Hilfsmittel des Landes erschöpft, seine Industrien zugrunde 
richtet, seine Städte und Dörfer zerstört und die Nieder- 
metzelungen, die Hinrichtungen und die Einkerkerungen häuft. 
Und in dem Augenblick, in dem Deutschland zur Welt von 
Frieden und von Menschlichkeit spricht, führt es belgische Bürger 
zu Tausenden weg und bringt sie in Sklaverei. Belgien hat 
vor dem Kriege nur darnach gestrebt, in gutem Einvernehmen 
mit allen seinen Nachbarn zu leben. Sein König und seine 
Regierung haben nur ein Ziel: Die Wiederherstellung des 
Friedens und des Rechtes. Aber sie wollen nur einen Frieden, 
der ihrem Lande berechtigte Wiedergutmachungen (Reparations), 
Garantien und Sicherheiten für die Zukunft verbürgen würde." 
Zugleich mit der Veröffentlichung seines Friedens- 
angebotes hatte der Kaiser am 12. Dezember fol- 
genden Tagesbefehl an seine Heere erlassen: 
„Soldaten! In dem Gefühl des Sieges, den Ihr durch 
Eure Tapferkeit errungen habt, haben Ich und die Herrscher 
der treuverbündeten Staaten dem Feinde ein Friedensangebot 
gemacht. Ob das damit verbundene Ziel erreicht wird, bleibt 
dahingestellt. Ihr habt weiterhin mit Gottes Hilfe dem Feinde 
standzuhalten und ihn zu schlagen. Diese Ordre richtet sich 
auch an Meine Marine, die alle ihre Kräfte treu und wirkungs- 
voll eingesetzt hat in dem gemeinsamen Kampfe." 
Am 5.Januar 1917 redete er seine Soldaten 
folgendermaßen an: 
An Mein Heer und Meine Marine. 
„Im Verein mit den Mir verbündeten Herrschern hatte Ich 
unseren Feinden vorgeschlagen, alsbald in Friedensverhand- 
lungen einzutreten. Die Feinde haben Meinen Vorschlag ab- 
gelehnt. Ihr Machthunger will Deutschlands Vernichtung. 
Der Krieg nimmt seinen Fortgang! 
Vor Gott und der Menschheit fällt den feindlichen Regie- 
rungen allein die schwere Verantwortung für alle weiteren 
furchtbaren Opfer zu, die Mein Wille Euch hat ersparen wollen. 
In der gerechten Empörung über der Feinde anmaßenden 
Frevel, in dem Willen, unsere heiligsten Güter zu verteidigen 
und dem Vaterlande eine glückliche Zukunft zu sichern, werdet 
Ihr zu Stahl werden. 
Unsere Feinde haben die von Mir angebotene Verständi- 
gung nicht gewollt. Mit Gottes Hilfe werden unsere Waffen 
sie dazu zwingen!" 
In ganz Deutschland fanden seine Worte den 
freudigsten Widerhall. Das Volk las aus den 
kaiserlichen Worten heraus, daß der Krieg mit aller 
Rücksichtslosigkeit geführt werden sollte und daß die 
Neichsregierung mit allen Machtmitteln, die ihr zu 
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