Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

Menschheit in ihren wertvollsten Errungenschaften. Sie droht, 
den geistigen und materiellen Fortschritt, der den Stolz 
Europas zu Beginn des 20. Jahrhunderts bildete, in Trümmer 
zu legen. Deutschland und seine Verbündeten, Osterreich- 
Ungarn, Bulgarien und die Türkei, haben in diesem Kampfe 
ihre unüberwindliche Kraft erwiesen. Sie haben über ihre 
an Zahl und Kriegsmaterial überlegenen Gegner gewaltige 
Erfolge errungen. Unerschütterlich halten ihre Linien den 
immer wiederholten Angriffen der Heere ihrer Feinde stand. 
Der jüngste Ansturm im Balkan ist schnell und siegreich nieder- 
geworfen worden, die letzten Ereignisse beweisen, daß auch 
eine weitere Fortdauer des Krieges ihre Widerstandskraft 
nicht zu brechen vermag, daß vielmehr die gesamte Lage zu der 
Erwartung weiterer Erfolge berechtigt. Zur Verteidigung ihres 
Daseins und ihrer nationalen Entwicklungsfreiheit wurden 
die vier verbündeten Mächte gezwungen, zu den Waffen zu 
greifen. Auch die Ruhmestaten ihrer Heere haben daran 
nichts geändert. Stets haben sie an der Überzeugung fest- 
gehalten, daß ihre eigenen Rechte und begründeten Ansprüche 
in keinem Widerspruch zu den Rechten der anderen Nationen 
stehen. Sie gehen nicht darauf aus, ihre Gegner zu zer- 
schmettern oder zu vernichten. Getragen von dem Bewußtsein 
ihrer militärischen und wirtschaftlichen Kraft und bereit, den 
ihnen aufgezwungenen Kampf nötigenfalls bis zum Äußersten 
fortzusetzen, zugleich aber von dein Wunsche beseelt, weiteres 
Blutvergießen zu verhüten und den Greueln des Krieges ein 
Ende zu machen, schlagen die vier verbündeten Mächte vor, als- 
bald in Friedensverhandlungen einzutreten. Die Vorschläge, 
die sie zu diesen Verhandlungen mitbringen werden und die 
darauf gerichtet sind, Dasein, Ehre und Entwicklungsfreiheit 
ihrer Völker zu sichern, bilden nach ihrer Uberzeugung eine 
geeignete Grundlage für die Herstellung eines dauerhaften 
Friedens. Wenn trotz dieses Anerbietens zu Frieden und Ver- 
söhnung der Kampf fortdauern sollte, so sind die vier ver- 
bündeten Mächte entschlossen, ihn bis zum siegreichen Ende 
zu führen. Sie lehnen aber feierlich jede Verantwortung dafür 
vor der Menschheit und der Geschichte ab." 
Die Ubergabe der Note erfolgte zugleich im Namen 
der drei Mächte, die mit Deutschland im Bunde 
waren. Eine Abschrift davon wurde auch an den 
Papst Venedikt XV. gesandt. In dem Schreiben der 
deutschen Regierung an den Kardinal Staatssekretär 
Gasparri hieß es am Schluß: „Seine Heiligkeit hat 
vom ersten Tage seines Pontifikats an den zahllosen 
Opfern dieses Krieges seine teilnehmende Fürsorge 
im reichsten Maße angedeihen lassen. Schwere Wunden 
sind durch ihn gelindert, die Geschicke Tausender von 
der Katastrophe Betroffener erträglich gestaltet worden. 
Im Geiste seines hohen Amtes hat Seine Heiligkeit 
auch jede Gelegenheit wahrgenommen, um im In- 
teresse der leidenden Menschheit auf die Beendigung 
des blutigen Ringens hinzuwirken. Die Kaiserliche 
Regierung glaubt sich daher der Hoffnung hingeben 
zu dürfen, daß die Initiative der vier Mächte einen 
wohlwollenden Widerhall bei Seiner Heiligkeit finden 
werde und daß ihr Friedenswort auf die wertvolle 
Unterstützung des Apostolischen Stuhles rechnen darf." 
Der Papst hatte sich in der Tat, das muß auch von 
protestantischer Seite rückhaltlos anerkannt werden, 
in diesem Kriege wirkliche Verdienste um die Mensch- 
lichkeit erworben. Seine mehrfachen Ermahnungen 
zum Frieden waren freilich ebenso im Sturme der 
Zeit verhallt, wie die Reden der anderen zum Frieden 
mahnenden Menschenfreunde, aber durch Verhand- 
lungen mit verschiedenen Mächten hatte er in zahl- 
reichen Fällen eine Besserung des Loses der Gefangenen 
erreicht und wohl auch sonst noch mancherlei durch- 
gesetzt, was erst später bekannt werden wird. Seine 
Stellung war eine sehr schwierige, denn auch nur die 
geringste Parteinahme für den einen Teil der Krieg- 
führenden gegen den anderen hätte seiner Kirche 
unermeßlichen Schaden bringen können, stand doch 
auf der einen Seite die apostolische Majestät in Wien, 
auf der anderen Seite der König des klerikal regierten 
Belgiens, das noch immer zum großen Teil bigott 
katholische Italien und das wenigstens dem Namen 
nach noch katholische Frankreich. Hätte er eine der 
beiden Mächtegruppen begünstigt, so wäre bei der 
hochgespannten nationalen Erregung der Völker in 
der anderen ein Massenabfall von der katholischen 
Kirche zu befürchten gewesen. An Versuchungen, dem 
Volke, dem er entsprossen war und in dessen Mitte 
er lebte, seine Unterstützung zu leihen, hatte es dem 
Papst nicht gefehlt. Im Mai 1915, als der auf- 
gehetzte römische Pöbel höherer und niederer Sorte 
die eigene Regierung zum Treubruch zwang, war 
seine Lage geradezu gefährlich gewesen. Aber mit 
derselben Klugheit und Gewandtheit, die schon so 
viele seiner Vorgänger aus dem Stuhl Petri aus- 
gezeichnet hatten, war er durch alle Schwierigkeiten 
hindurchgesteuert und hatte sich ein immer steigendes 
Ansehen zu schaffen gewußt. Man kann jetzt schon 
sagen, daß vielleicht keine Macht mit einem solchen 
Gewinn aus dem Weltkriege hervorgehen wird, wie 
der römische Stuhl. 
Es versteht sich von selbst, daß das Friedens- 
angebot der Mittelmächte den Beistand des Papstes 
fand. Auch einige kleine Neutrale freuten sich darüber. 
Ferner hatte es das Gute, daß den Volksmassen in 
Deutschland und Oesterreich-Ungarn der Friedens- 
wille ihrer Regierungen, an dem freilich kein ver- 
nünftiger Mensch hätte zweifeln sollen, wieder sehr 
nachdrücklich zu Gemüte geführt wurde. Aber im 
übrigen zeigte es sich, daß die Zeit zum Frieden 
noch nicht erfüllt war. Den Leitern der Entente 
fehlte in Wahrheit der moralische Mut, Frieden zu 
machen, wie der Kaiser in seinem Briefe an den 
Reichskanzler richtig bemerkt hatte. Sie wußten aller- 
dings auch ganz genau, was ihrer wartete, wenn 
der Krieg sieglos für sie zu Ende ging. Die Völker 
aber, auf die wohl die Friedensbotschaft vor allen 
Dingen berechnet war, erfuhren sie durch eine Presse, 
die sie ihnen als einen Schachzug deutscher Hinterlist 
übermittelte. Die Deutschen meinen es damit nicht 
ehrlich, hieß es in allen Zeitungen der Ententeländer, 
sie wollen damit nur die Völker gegen ihre Regie- 
rungen aufhetzen, damit sie nachher um so leichteres 
Spiel haben. Besonders die englischen Zeitungen 
schäumten vor Wut über die deutsche Unehrlichkeit 
und ergingen sich in den wildesten Schmähungen. 
Die „Daily Mail" schrieb: „Bethmann hat nicht 
mehr Recht auf eine Antwort, als wenn er als be- 
waffneter Einbrecher in ein Privathaus eingedrungen 
wäre. Die Alliierten wissen, daß ein Frieden mit 
einer Nation von Tigern, Mördern und Staats¬ 
männern, die alle Verträge als Fetzen Papier be- 
trachten, nicht des Papiers und der Tinte wert wäre". 
Natürlich redeten die englischen, französischen und 
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