Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

Ehre, die für Rußland begonnen habe". Die anderen 
Botschafter redeten im gleichen Sinne. Alle drei 
sprachen die Erwartung aus, das neugeborene Nuß- 
land werde sich als treuer und opferbereiter Bundes- 
genösse erweisen, damit der Sieg über Deutschland, 
ein Sieg der großen Grundsätze der Gerechtigkeit, 
Freiheit, Gleichheit und des Rechtes errungen werden 
könne. Das versprach Miljukow im Namen der neuen 
russischen Regierung. 
Wie wenig einheitlich und fest aber diese Regierung 
war und wie schwankend der Grund, auf dem sie 
stand, hatte sich inzwischen schon gezeigt. Miljukow 
und Genossen wollten ein verfassungsmäßiges Zaren- 
tum, Kerenski und Genossen wollten die Republik. 
Deshalb drangen sie darauf und setzten es auch durch, 
daß die Übertragung der Krone an den Großfürsten 
Michael Alexandrowitsch, zu dessen Gunsten Nikolaus 
abgedankt hatte, nicht stattfand. Der Großfürst wurde 
vielmehr gezwungen, am 19. März folgende Kund- 
gebung zu erlassen: 
„Durch meines Bruders Willen wurde mir eine schwere 
Aufgabe auferlegt, indem mir während eines Krieges ohne 
Beispiel und unter inneren Unruhen der kaiserliche Thron 
übertragen wurde. 
Beseelt von dem gleichen Gedanken, der das ganze Volk 
erfüllt, daß das Wohl des Vaterlandes allem vorangehe, habe 
ich den festen Entschluß gefaßt, die höchste Macht nur unter 
der Bedingung anzunehmen, daß dies der Wille des Volkes 
ist, indem das Volk durch ein Plebiszit, ausgedrückt durch seine 
Repräsentanten in einer konstituierenden Versammlung, die 
Regierungsform und die neue Verfassung des russischen Staates 
festsetzen muß. 
Indem ich den Segen des Höchsten herabflehe, stelle ich 
also allen russischen Mitbürgern anheim, sich der Regierung 
unterzuordnen, die auf Initiative der Duma gebildet worden 
und mit aller Macht und Autorität ausgerüstet ist, bis die 
durch eine allgemeine, direkte, gleiche und geheime Abstimmung 
gewählte konstituierende Versammlung durch ihren Beschluß 
über die Regierungsform den Volkswillen ausgedrückt hat." 
Dieser Vorgang zeigte zur Genüge, daß die neue 
Regierung einander widerstrebende Kräfte in sich barg, 
und es war vorauszusehen, daß der linke Flügel all- 
mählich die Herrschaft an sich reißen werde, wie es 
bisher bei allen Revolutionen der Fall gewesen war. 
Er stützte sich auf die Arbeitermassen Petersburgs 
und der anderen großen Städte. In ihnen allen 
war die Revolution entweder, wie in Moskau, gleich- 
zeitig mit den Petersburger Unruhen oder sofort 
nach der großen Nachricht aus der Hauptstadt aus- 
gebrochen, und überall hatte sich das Militär der 
Bewegung angeschlossen. Die Bauernschaft des weiten 
Reiches, an Zahl den städtischen Arbeitern ungeheuer 
überlegen, verharrte in dumpfem Schweigen. Sie 
war ohne Einigung, ohne Führer, ohne rechtes Be- 
greifen der Dinge, die in den Städten vor sich gingen. 
Auf sie brauchte vorderhand die wenigste Rücksicht ge- 
nommen zu werden. Alles aber kam auf die Haltung 
des Feldheeres an. Noch vor seiner Abdankung hatte 
der Zar den Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch 
zum Höchstkommandierenden des russischen Heeres 
ernannt. Der Großfürst hatte sich sofort der vor- 
läufigen Regierung angeschlossen und war ihrer 
Weisung gefolgt. Da aber Kerenski drohte, er werde 
aus der Regierung austreten, wenn der Großfürst die 
Kommandogewalt behalte, so wurde er am 24.März 
schon wieder abgesetzt. Er fügte sich. Am 27. März 
sandte er der Regierung ein Telegramm, worin er 
beteuerte, er stehe ganz auf dem Grundsatz, der in 
der Abdankungsurkunde des Großfürsten Michael 
Alexandrowitsch ausgesprochen sei, nach der eine kon- 
stituierende Versammlung die Regierungsform Ruß- 
lands zu bestimmen habe. Gleichzeitig erklärte er, 
daß er fest entschlossen sei, die vorläufige Regierung 
in jeder Weise zu unterstützen. Das Telegramm 
war mitunterzeichnet von den Großfürsten Nikolai 
Michailowitsch, Alexander Michailowitsch, Boris 
Wladimirowitsch, Serius Michailowitsch, Georg 
Michailowitsch, Demetrius Konstantinowitsch, den 
Prinzen Gabriel Konstantinowitsch und Gregor Kon- 
stantinowitsch und dem Herzog Alexander von Olden- 
bürg. Sogar auf ihre Apanagegüter verzichteten sie 
und erklärten sie für Staatseigentum. Das war echt 
russisch. An Stelle des früheren unermeßlichen Hoch- 
mutes war mit einem Male hündische Unterwürfig- 
keit getreten, die allerdings bei einigen der Unter- 
zeichner ganz sicher nicht echt war, sondern nur der 
augenblicklichen Notlage entsprang. Am 28. März 
leisteten alle Mitglieder des genannten Hauses 
Romanow der Regierung den Treueid. Auch die 
hohe Geistlichkeit zeigte weder Charakterstärke, noch 
Anhänglichkeit an ihr vorher sklavisch angebetetes 
Oberhaupt. Am 27. März erließ der Heilige Synod 
folgenden Aufruf: 
„Im Namen von Millionen auf den Schlachtfeldern ge- 
opferten Leben, im Namen von gleichen Opfern, die das Vater- 
land ohne Wanken gebracht hat, um sich eingedenk dieser 
Schlachtopfer bis aufs äußerste gegen unsere Feinde zu ver- 
leidigen, deren Tod wir unsere Freiheit danken, erklären wir, 
daß das Interesse an dem Wohl unseres Vaterlandes und 
unserer Familien uns verpflichtet, allen Widerspruch und 
Gegensatz in unserem Vaterlande außer acht zu lassen. Ver- 
einigt Euch in brüderlicher Liebe für das große Rußland! 
Gebt Euer völliges Vertrauen der vorläufigen Regierung! 
Weiht alle zusammen und jeder für sich alle Eure Kräfte, um 
das ewige Rußland auf den Weg der Freiheit, des Glückes 
und des Ruhmes zu führen." 
Nicht ganz so glatt ging die Sache bei den 
hohen militärischen Würdenträgern. Nur der General 
Alexjew schloß sich ohne weiteres der Revolution an, 
Ruski und Brussilow sprachen den Willen aus, ihren 
Fahneneid nicht zu brechen. Gurkow, Leschitzki und 
Scherbatoff wollten gleichfalls dem Zaren treu bleiben. 
Everth wollte dasselbe, erklärte aber zugleich, er be- 
grüße den Willen des Volkes und der Gesellschaft 
zu einem durchgreifenden Siege. Zunächst wurden 
Everth und Gurkow zur Verantwortung nach Peters- 
bürg befohlen. Die Sache scheint aber bis Ende März 
nicht zum Austrag gekommen zu sein. Ein Versuch, 
den Zaren zu befreien oder gegen die vorläufige 
Regierung vorzugehen, wurde von keinem der Heer- 
führer unternommen, konnte auch nicht unternommen 
werden, denn keiner war seiner Soldaten sicher und 
seiner Offiziere ebensowenig, denn sie fürchteten, das 
Schicksal ihrer Standesgenossen in Petersburg, Mos- 
kau und den anderen Großstädten zu erleiden, wenn 
sie sich gegen die vorläufige Regierung wendeten. 
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