Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

nicht die Rede. Nur etliche tausend Mann konnten 
nach Frankreich geschickt werden, um den gesunkenen 
Mut der Franzosen durch ihr Erscheinen neu zu be- 
leben. Mit dem Schiffsbau ging es noch langsamer. 
Zunächst konnte man sich in Washington nicht schlüssig 
machen, welche Art von Schiffen und in welchen 
Massen — unter einigen Tausend im Jahr tat es die 
amerikanische Phantasie nicht — man herstellen sollte. 
Die Stahlkönige drangen auf Stahlschiffe, die Holz- 
könige auf Holzschisfe. Die Frage war nach dem 
ersten halben Jahr des Krieges noch nicht entschieden. 
So bestand die Kriegsleistung für die Freunde in 
Europa vornehmlich in dem, was Amerika auch schon 
vor seinem Eintritt in den Krieg geleistet hatte, in 
beträchtlichen Vorschüssen an Geld und in der Lieferung 
von Kriegsbedarf. Am 2. Juni erhielt Frankreich 
zum zweiten Male 100 Millionen Dollars. Am 9. 
wurde den Engländern eine Anleihe von 25 Millionen, 
den Serben eine von 3 Millionen gewährt. Am 
19. Juni vermehrte sich Englands Schuld um weitere 
35 Millionen. Am 2. Juli borgte das stolze Volk 
der Briten beim großen Bruder jenseits des Meeres 
wieder 25 Millionen und am 6. Juli 100 Millionen 
Dollars. Auch der italienische Bettler erhielt am 6. Juli 
die Summe von 60 Millionen, und am 7. Juli wurden 
an Frankreich 100 Millionen gegeben, womit die 
Schuld der europäischen Westmächte an die Ver- 
einigten Staaten bereits auf 1303 Millionen Dollars 
stieg, ungerechnet die mehr als 4Milliarden Dollars, 
die ihnen schon von amerikanischen Banken und 
großen Geldmännern zugeflossen waren, um derent- 
willen ja Amerika eigentlich in den Krieg eingetreten 
war. Am 23. Juli steigerte sich Frankreichs Schuld 
um weitere 60 Millionen Dollars, und sogar den 
Russen wurde wieder ein stattliches Darlehen gewährt. 
Sie erhielten 75 Millionen, allerdings zu sehr drücken- 
den Bedingungen, wie denn überhaupt die gerissenen 
Geschäftsleute der Neuen Welt ihren Schuldnern das 
Leben nicht gerade leicht machten, sondern sich tüchtige 
Gebühren und Spesen von ihnen zahlen ließen. Vor- 
läufig war durch das Eingreifen Amerikas in der 
Lage seiner Verbündeten überhaupt nichts gebessert. 
Die Lieferung von Kriegsmaterial hatte sogar, da 
das kriegführende Amerika sich selbst zuerst versorgen 
mußte, erheblich abgenommen. 
Die wesentlichste Unterstützung, die Amerika vor- 
läufig seinen Verbündeten gewährte, bestand in Wor- 
ten. Wilson ward nicht müde, in immer neuen 
Noten und Ansprachen die Welt zu versichern, daß 
Deutschland aas Gründen der Menschlichkeit nieder- 
gerungen werden müsse. So richtete er am 2. Juni 
eine Note an die russische Regierung. Darin wurde 
wieder behauptet, der Kamps gegen Deutschland sei 
ein Kampf für die Freiheit aller Völker. „Amerika", 
hieß es, „kämpft für keinen Vorteil und kein selbst- 
süchtiges Ziel, sondern für die Befreiung aller Völker 
von den Angriffen einer autokratischen Macht.— Eine 
Regierung nach der anderen ist durch ihren (der 
herrschenden Klasse in Deutschland) Einfluß, ohne 
daß ihr Land offen erobert wurde, in ein Netz von 
Intrigen verstrikt worden, die gegen nichts geringeres 
als den Frieden und die Freiheit der Welt gerichtet 
sind. Die Maschen dieses Netzes müssen zerrissen 
werden. Aber es kann das nicht geschehen, wenn 
nicht das Unrecht, das bereits getan wurde, un- 
geschehen gemacht wird, und es müssen entsprechende 
Maßregeln dagegen getroffen werden, daß es jemals 
wieder gewebt oder ausgebessert wird." Daher müsse, 
so redete der Präsident weiter, der 3tatu8 quo ante, 
den die deutsche Regierung erstrebe, weil sie sich zum 
Sieg zu schwach fühle, nicht wieder hergestellt werden. 
Unter dem Status quo ante sei zu verstehen die 
Macht der Kaiserlich deutschen Regierung innerhalb 
des Reiches und deren Oberherrschaft und Ein- 
flüsse außerhalb des Reiches, die weite Gebiete um- 
faßt hätten. Dagegen müsse eine vollkommene Sicher- 
heit erreicht werden. „Wirkliche Wiedergutmachungen 
müßten stattfinden, und die notwendig sind, müssen ge- 
macht werden, aber sie müssen einen Grundsatz ver- 
folgen, und dieser Grundsatz ist klar. Kein Volk 
darf unter eine Herrschaft gezwungen werden, unter 
der es nicht zu leben wünscht. Kein Gebiet darf 
den Besitzer wechseln, außer zu dem Zweck, um den- 
jenigen, die es bewohnen, eine gute Möglichkeit zum 
Leben und zur Freiheit zu sichern. Entschädigungen 
dürfen nur insoweit verlangt werden, als sie die 
Bezahlung für begangenes offenbares Unrecht bilden. 
Keine Wiederherstellung einer Macht darf erfolgen, 
außer einer solchen, die zum Ziele hat, den Frieden 
der Welt und das zukünftige Wohlergehen und das 
Glück ihres Volkes zu sichern, und dann müssen die 
freien Völker der Welt zu einem Abkommen ge- 
langen, zu einer von der Natur gegebenen prakti- 
schen Zusammenarbeit, die ihre Kraft tatsächlich ver- 
einigen wird, um den Frieden und die Gerechtigkeit 
bei den Verhandlungen der Nationen zu sichern. Die 
Verbrüderung der Menschheit darf nicht länger eine 
schöne, aber leere Phrase sein. Es muß ihr eine 
Grundlage von Kraft und Wirklichkeit gegeben wer- 
den. Die Nationen müssen ihr gemeinsames Leben 
einrichten und eine werktätige Gemeinschaft einrichten, 
um dieses Leben gegen die Angriffe einer autokra- 
tischen und selbstgefälligen Macht zu sichern usw." 
Am Schluß erklärte der Präsident: „Wenn wir zu- 
sammenhalten, ist der Sieg gewiß und die Freiheit, 
die den Sieg sichern wird. Wir können uns dann 
großmütig erweisen. Aber wir dürfen uns weder 
dann, noch jetzt schwach zeigen und keine einzige Bürg- 
schaft der Gerechtigkeit und Sicherheit preisgeben." 
Ganz kurz nach seiner Neuwahl wurde Wilson von 
dem Botschafter Gerard, der eigens zu diesem Zwecke nach 
Amerika reiste, davon überzeugt, daß ein Sieg Deutsch- 
lands über England nicht nur möglich, sondern sogar 
recht wahrscheinlich wäre. Daraufhin warf er jede Maske 
ab, denn das durfte seiner Meinung nach auf keinen 
Fall eintreten, und nahm den ungehemmten l^-Boot- 
krieg zum Vorwand seiner Kriegserklärung. Von 
diesem Vorwand war nun nicht mehr die Rede. Jetzt 
786
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.