Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

tüchtigen und hochentwickelten Volk das Vertrauen entgegen- 
bringe, das es verdient. 
Ich beauftrage Sie, diesen Erlaß alsbald bekannt zu geben. 
Großes Hauptquartier, den 7. April 1917. 
Wilhelm l. R. 
von Bethmann-Hollweg 
Der Erlaß war Vethmanns Werk, wie es ja der 
Kaiser selbst darin ausspricht. Hatte aber der Kanzler 
gemeint, die Parteien der Linken dadurch zu befriedigen 
oder gar in helles Entzücken zu versetzen, so sah er sich 
bald aufs unangenehmste enttäuscht. Denn die Blätter 
von der Art des „Berliner Tageblattes", noch mehr 
die ausgesprochen sozialdemokratischen Zeitungen, er- 
klärten zwar huldvoll, für den Anfang sei der Erlaß 
ja eine ganz wackere und vielversprechende Leistung, 
aber genügend sei das darin Gebotene noch lange 
nicht. Er stelle ja wohl die Aufhebung des Klassen- 
Wahlrechts in Aussicht, verspreche auch unmittelbare 
und geheime Wahl der Abgeordneten, aber von 
einem allgemeinen gleichen Wahlrecht sei ja doch 
nicht in ihm die Rede, und das allein entspreche der 
Würde des preußischen Volkes. Das Geschrei in der 
demokratischen Presse wurde lauter und drohender 
als vor dem Erlaß und zwang den Kanzler, dessen 
Seele dagegen nicht gefestigt war, wenige Monate 
später zu noch weit größerer Nachgiebigkeit. 
Vorderhand erhielt nun auch das Zentrum, die 
andere Partei, mit der er regieren wollte, sein kleines 
Geschenk, und die lieben Polen wurden auch nicht 
vergessen. Am 19. April wurde dem deutschen Volke 
mitgeteilt: 
„Der Bundesrat ist in seiner Sitzung vom 19. April 1917 
dem Beschluß des Reichstages, das Gesetz betreffend den Orden 
der Gesellschaft Jesu vom 4. Juli 1872 aufzuheben, beigetreten. 
In der gleichen Sitzung hat der Bundesrat dem Beschluß 
des Reichstages, den § 12 des Reichs-Vereinsgesetzes vom 
19. April 1908 (Sprachen-Paragraph) zu beseitigen, seine Zu- 
stimmung erteilt." 
Die Aufhebung des Sprachen-Paragraphen kam 
den Polen zugute, die nun ihre öffentlichen Ver- 
sammlungen ohne weitere Erlaubnis in ihrer Sprache 
abhalten durften. Denn, „von beklagenswerten Aus- 
nahmen abgesehen", hatten ja auch die Staatsbürger 
nichtdeutscher Zunge „Vertrauen und opferwillige 
Hingabe an das Reich bewiesen", wie die „Nord- 
deutsche Allgemeine Zeitung" ebenso schön wie richtig 
sagte. Die vollkommene Aufhebung des Jesuiten- 
Gesetzes — eine teilweise war schon früher erfolgt — 
war eine Gefälligkeit gegen das Zentrum, das von 
jeher dieses Gesetz aufs wütendste bekämpft hatte. 
Es hatte auch 1913 unter Mitwirkung der Sozial- 
demokraten, Polen, Dänen, Elsässer, die grundsätzlich 
gegen jedes Ausnahmegesetz stimmten, einen Beschluß 
seiner Aufhebung herbeigeführt, aber der Bundesrat 
hatte ihm nicht zugestimmt. Jetzt, vier Jahre später, 
gab er mit einem Male seine Zustimmung, und das 
geschah in demselben Jahre, in dem sich das pro- 
testantische Deutschland rüstete, die vierhundertjährige 
Jubelfeier der deutschen Reformation zu begehen. 
In den weitesten Kreisen des protestantischen Volkes, 
nicht nur etwa in denen der Pastoren und des Evan¬ 
gelischen Bundes, erregte das die tiefste Verstimmung, 
und eine Reihe führender Blätter, so vor allem der 
„Reichsbote" und die „Tägliche Rundschau", brachten 
sie sehr scharf und bestimmt zum Ausdruck. 
Das Zentrum erwies sich nun wenigstens dank- 
bar für das Entgegenkommen des Kanzlers, denn 
als es im Mai zu heftigen Angriffen im Reichstag 
auf ihn kam, deckte es über ihn seinen Schild. Die 
Konservativen sowie die Sozialdemokraten hatten von 
ihm verlangt, daß er sich klipp und klar über die 
Kriegsziele ausspreche. Die einen verlangten einen 
Frieden mit Annexionen und Entschädigungen zur 
Sicherung des Reiches, die anderen einen voll- 
kommenen Verzichtfrieden, wobei sich der Abgeord- 
nete Scheidemann zu den Worten hinreißen ließ: 
„Uns trennt die Meinungsverschiedenheit im Innern 
über die Kriegsziele. Hält die Klammer nicht und 
bleibt der Keil, dann fahren wir auseinander, dann 
haben wir die Revolution". Als Bethmann eine 
Antwort erteilte, die beide Teile nicht befriedigte, gab 
der Abgeordnete Spahn eine Erklärung ab, die vom 
Zentrum, den Nationalliberalen, der fortschrittlichen 
Volkspartei und dem größeren Teile der deutschen 
Fraktion gebilligt war, und in der es hieß: 
„Wir sind in der Anschauung einig, daß zur Zeit im Reichs- 
tag eingehende Erörterungen über die Friedensziele des 
Deutschen Reiches den Interessen unseres Vaterlandes nicht 
dienlich sind. Die Sehnsucht des Volkes ist auf einen Frieden 
gerichtet, der dem Reiche sein Dasein, seine politische und wirt- 
schaftliche Stellung, seine Entwicklungsfreiheit sichert und die 
von England versuchte Abschnürung vom Weltmarkt dauernd 
verhindert. Auf das Vertrauen des deutschen Volkes kann 
nur eine Regierung rechnen, die diese Friedensziele erreicht. 
Wenn der Reichskanzler es ablehnt, Einzelheiten seiner Kriegs- 
ziele den Feinden preiszugeben, so billigen wir das." 
Dadurch wurde Bethmanns Stellung wieder ge- 
stärkt und gestützt. Die Erklärung war wohl auch 
zu diesem Zwecke gegeben. Die Parteien wollten 
nicht, daß ein Kanzlersturz in Deutschland erfolge. 
Sie wollten ferner eine weitere Reizung der Sozial- 
demokratie vermeiden, denn die Erklärung schloß mit 
den Worten: „Die Zurückhaltung war für den Reichs- 
kanzler heute geboten. Mehr als je ist in dieser 
Stunde unser Losungswort Zusammenschluß, nicht 
Spaltung." 
Man kann es in der Tat verstehen, daß sowohl 
die Regierung, wie verschiedene Parteien des Reichs- 
tages mit Sorge auf die Arbeitermassen hinblickten, 
als deren Vertreter die Sozialdemokraten beider 
Richtungen im Hause saßen und deren Führer zu 
sein sie sich rühmten. Mitte April war es in Berlin 
zu sehr bösen Dingen gekommen. Es wurden Flug- 
blätter unter den Arbeitern verteilt, die den wahn- 
sinnigen Gedanken aussprachen, die deutschen Ar» 
beiter könnten dem Kriege mit einem Schlage ein 
Ende machen, wenn sie die Arbeit für die Rüstungs- 
industrie niederlegten. Von wem dieser Aufruf aus- 
ging, war unschwer zu erraten. Der Chef des Kriegs- 
amtes, Generalleutnant Gröner, rief am 5.Mai im 
Reichstage einem der unabhängigen Sozialdemokraten 
zu: „Die Töpfe, in denen den Arbeitern solche Suppen 
776
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.