Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

Deutsches U=23oot, bei starkem Weststurm (Windstärke 9) in der Nähe von Helgoland über Wasser fahrend. 
(Hofphot. F. Schensky, Helgoland.) 
erschlich sei und suchte seine gefährdete Stellung durch 
um so kräftigere Anlehnung an die Linke und das 
Zentrum zu stärken. Im Reichstage stützte er sich 
damit auf die Mehrheit, aber im preußischen Abge- 
ordnetenhause hatte er die Mehrheit gegen sich. Diese 
Mehrheit war aber nicht unzerstörbar. Sie war ge- 
gründet auf das preußische Dreiklassenwahlrecht und 
seine Wahlkreiseinteilung und fiel dahin, wenn das 
Wahlrecht geändert wurde. Seit Jahrzehnten wurde 
es' von den Parteien der Linken aufs heftigste be- 
kämpft, und es war auch ohne Frage ungerecht, denn 
es stufte den politischen Einfluß der Staatsbürger 
nach der Größe ihres Geldsackes ab. Zu seiner Entschul- 
digung muß man ja nun freilich sagen, daß Preußen 
unter diesem Wahlrecht mächtig stark und blühend 
geworden ist und daß kein Mensch in Preußen, ab- 
gesehen von der Militärpflicht, weniger persönliche 
Freiheit genoß, als die Bewohner Englands und jeder 
viel mehr wirkliche persönliche Freiheit, als die Bürger 
des freien Amerika. Aber reformbedürftig war es 
ohne Zweifel. Das wurde sogar von den Konser- 
vativen anerkannt, nur leider hatten sie vor dem 
Kriege versäumt, für eine Reform zu sorgen, die zeit- 
gemäß gewesen wäre und sie doch nicht ihres starken 
Einflusses beraubt hätte. 
In einer durchgreifenden Änderung des Wahl- 
rechtes sah nun Bethmann das Mittel, wodurch der 
Konservativen Einfluß in Preußen, der gegen ihn 
und seine Politik gerichtet war, gebrochen und zu- 
gleich die Parteien der Linken noch fester an ihn 
gekettet werden konnten. Auch soll ihm keineswegs 
der gute Glaube dafür abgesprochen werden, daß er 
von der Notwendigkeit einer Umgestaltung des Staats- 
lebens 'wirklich überzeugt war. Konservative Bedenken 
drückten diesen Kanzler nicht, denn er lebte nicht wie 
Bismarck oder Bülow in den Überlieferungen des 
norddeutschen Adels, sondern, wie bekannt, in ganz 
anderen Überlieferungen. Nach seiner Meinung war 
die Demokratisierung der Welt nicht aufzuhalten und 
der Staatsmann war der klügste und weiseste, der 
sich dieser heranrollenden Flut nicht entgegenstemmte, 
vielmehr es verstand, sein Schiff von ihr treiben zu 
lassen. So erschien denn am 7. April 1917, von 
Bethmann veranlaßt und gegengezeichnet, eine Ver- 
Ordnung des Kaisers, die sogenannte „Osterbotschaft", 
die dem preußischen Volke eine vollkommene Änderung 
seines Wahlrechts verhieß. Man mag darüber denken, 
wie man will, soviel steht fest: Außer dem Ent- 
lassungsgesuch Bismarcks und dem Mobilmachungs- 
befehl im Jahre 1914 hatte der Monarch niemals 
ein Schriftstück von solcher Bedeutsamkeit unterzeichnet. 
Es hatte folgenden Wortlaut: 
Seine Majestät der Kaiser und König hat an den Reichs- 
kanzler und Präsidenten des Staatsministeriums vr. v. Beth- 
mann-Hollweg folgenden Erlaß gerichtet: 
„Noch niemals hat sich das deutsche Volk so fest gezeigt, 
wie in diesem Kriege. Das Bewußtsein, daß sich das Vater-
	        
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