Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

vor allem, daß er an einen wirklich entscheidenden 
Sieg über England nicht glaubte und immer und immer 
wieder aus eine Versöhnung hinarbeitete. Die hielt 
er auch dann noch für möglich, als England, mit 
allen seinen bisherigen Überlieferungen brechend, die 
Wehrpflicht einführte, ein Volksheer schuf, mit einigen 
Millionen Soldaten auf dem Festlande erschien und 
dadurch an den Tag legte, wie es diesen Krieg auf- 
faßte und daß es nicht eher die Waffen niederlegen 
wolle, als bis es selbst oder sein Feind am Boden 
lag. Man darf wohl sagen, der deutsche Reichskanzler 
hatte den furchtbaren Ernst dieses Krieges überhaupt 
nicht begriffen. Deshalb waren ihm die Leute, die 
ihn begriffen hatten und eine völlige Niederzwingung 
Englands mit allen, auch den schärfsten Mitteln ver- 
langten, höchst unbequem. Sie störten ihm seine 
Kreise, und er machte aus seiner Abneigung gegen 
sie auch gar kein Hehl. Sie dagegen verfolgten seine 
Tätigkeit mit immer steigendem Argwohn und kamen 
allmählich zu der Meinung, er sei der Mann, der unter 
allen Gewalten der Erde Deutschland am meisten 
schade und es am Sieg hindere. Daß kein rücksichts- 
loserer Gebrauch von der Luftwaffe gemacht worden 
war zu der Zeit, als England noch nicht zur Ab- 
wehr der Zeppeline gerüstet war, machten sie ihm 
zum Vorwurf. Ob mit Recht oder mit Unrecht, wird 
sich erst nach Ende des Krieges feststellen lassen. Vor 
allem aber legten sie ihm zur Last, daß er die ge- 
waltigste Waffe, die Deutschland besaß, das Untersee- 
boot, nicht zur vollen Auswirkung kommen lasse. 
Am 8. Februar 1916 hatte die deutsche Regierung 
angekündigt, daß sie jedes bewaffnete feindliche Handels- 
schiff ohne weiteres als Kriegsschiff ansehen und ohne 
Warnung versenken lassen werde. Aber die Drohung, 
die durchaus berechtigt war, kam in Rücksicht auf 
Amerika nicht zur Ausführung, und am 15. März 
legte der Großadmiral von Tirpitz sein Amt nieder, 
natürlich aus „Gesundheitsrücksichten", und man kann 
ihm schon glauben, daß ihm die fortwährende Hem- 
mung, die seine Tätigkeit erfuhr, ein Gallenleiden 
zugezogen hat. Die „Times" nannte seinen Rücktritt 
das „wichtigste und interessanteste Ereignis der inneren 
Politik Deutschlands seit Kriegsausbruch." Die ameri- 
kanischen Zeitungen erklärten hochbefriedigt, daß in 
ihm eine Quelle der Verstimmung zwischen Deutsch- 
land und Amerika beseitigt worden sei. Allgemein 
war die Auffassung jenseits des Meeres, daß Tirpitz 
als ein Opfer gefallen sei, dem erhabenen Präsidenten 
in Washington zu einem süßen Geruch. Auch die 
sozialdemokratischen Blätter in Deutschland äußerten 
ihr Wohlgefallen an seiner Verabschiedung, besonders 
natürlich die vom linken Flügel. Wie das Ereignis 
im übrigen Deutschland aufgenommen wurde, ist 
schwer zu schildern. Die Trauer darüber, daß der 
Mitschöpfer der deutschen Flotte von seinem Werke 
zurücktrat, war allgemein, und in weiten Kreisen 
gesellte sich der Trauer eine Erbitterung hinzu, die an 
die Tage der Entlassung Bismarcks erinnerte. Einige 
führende Zeitungen erklärten, sie fühlten sich jetzt 
nicht in der Lage, den Rücktritt zu besprechen, dazu 
müsse man das Ende des Krieges abwarten. Aber 
nicht nur der Sturz des hervorragenden Mannes be- 
wegte die Gemüter, sondern ebenso oder fast noch 
mehr die Besorgnis, daß nun die Unterseewaffe in 
Rücksicht auf Amerika nicht mit der erforderlichen 
Kraft und Rücksichtslosigkeit zur Anwendung kommen 
werde. Denn Tirpitz hatte zwar vor dem Kriege 
auf die Unterseeboote wenig Gewicht gelegt, aber im 
Kriege hatte er, seit Weddigens gewaltigem Erfolge, 
schnell und vollkommen begriffen, was diese Waffe 
wert war, hatte den Vau neuer und verbesserter 
Tauchboote mit aller Kraft gefördert und immer ver- 
langt, daß sie ohne Rücksichtnahme auf die söge- 
nannten Neutralen verwendet werden. 
Nationalliberale, Konservative und Zentrum reich- 
ten Anträge an den Reichstag ein, worin sie for- 
derten, der Reichstag wolle beschließen, den Reichs- 
kanzler zu ersuchen, daß er sich durch keine Ab- 
machung mit anderen Mächten in der Anwendung 
dieser Waffe beschränken lasse. Diese Erörterungen 
gingen Bethmann-Hollweg außerordentlich gegen den 
Strich, und durch Verhandlungen mit den Partei- 
führern brachte er es dahin, daß von einer Bespre- 
chung über die Anträge im Reichstage abgesehen wurde. 
Das Mißtrauen gegen seine Schwäche nahm aber 
bei den rechtsstehenden Parteien, denen er von jeher 
zu weich, zu unentschlossen und haltlos gewesen war, 
immer mehr zu und erreichte eine Höhe, die kaum 
noch überboten werden konnte. Im Reichstag und 
in ihren Zeitungen trat das deutlich zutage. Am 
schärfsten kam die Stimmung seiner Gegner zum 
Ausdruck in einem Beschluß des Alldeutschen Ver- 
bandes vom 17. Januar 1917, der Bethmann unver¬ 
hohlen zum Rücktritt aufforderte und ihm seine Sün- 
den gegen das Wohl des Reiches und feine vollkommene 
Unfähigkeit zur Leitung der Kanzlergeschäfte in den 
schärfsten Worten vorwarf. Die überaus charakte- 
ristische Kundgebung hatte folgenden Wortlaut: 
1. Der Geschäftsführende Ausschuß des Alldeutschen Ver- 
bandes weiß sich mit dem gesamten deutschen Volke einig in 
dem bedingungslosen Vertrauen zu der Obersten Heeresleitung, 
deren militärische Leistungen er mit dankbarer Bewunderung 
begleitet. Im Gegensatz hierzu muß der Geschäftsführende 
Ausschuß bekennen, daß er der politischen Leitung des Reiches 
nicht nur kein Vertrauen entgegenbringen kann, sondern über- 
zeugt ist, daß das Vaterland mit seinen wesentlichen Einrich- 
tungen unheilbar schwer geschädigt werden muß, wenn die 
Reichsgeschäfte ihren jetzigen Leitern überlassen bleiben. Die 
fortgesetzten Fehlgriffe und Mißerfolge der deutschen aus- 
wärtigen Politik vor dem Kriege, das Verhalten der ver- 
antwortlichen Reichsleiter bei Ausbruch des Krieges und ihre 
Gesamtpolitik während des Daseinskampfes des deutschen 
Volkes — all diese der Geschichte angehörenden Tatsachen 
führen uns zu der Erkenntnis, daß ungeachtet aller Opfer an 
Blut und Gut und allen militärischen Erfolgen zum Trotz der 
Krieg für unser Volk politisch verloren gehen muß, wenn die 
für die bisherige Politik Verantwortlichen länger im Amte 
belassen werden. 
Wer die Verfassungsänderung in Elsaß-Lothringen, wer 
die unselige Marokko-Politik mit ihrer Ermutigung des fran- 
zösischen Rachegedankens politisch zu verantworten hat — wer 
sich über die Absichten der englischen Politik vollkommen 
täuschen und in Verständigungsverhandlungen einlassen konnte, 
die zu einer Beeinträchtigung unserer Seestreitkräfte führten — 
wer bei Kriegsausbruch das verhängnisvolle, unbegreiflich 
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