Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

sei erwähnt, welch eine erfreuliche Wirkung der Krieg 
auf die Welsen ausübte. Am 6. Oktober 1916, dem 
Tage, an dem sich die Einverleibung Hannovers in 
Preußen zum fünfzigsten Male jährte, erließen sie 
eine Kundgebung, in der u.a.gesagt wurde: 
„Das eine dürfen wir mit freudigem Stolze bekennen, daß 
das Gemeinschaftsgefühl wie des gesamten deutschen, so auch 
des hannoverschen Volkes unter dem gemeinsamen Erleben 
des furchtbarsten Kampfes, den je ein großes Volk um seine 
Existenz hat führen müssen, alte Gegensätze gemildert und 
den bedauerlichen Riß, der bislang infolge der verschieden- 
artigen Stellung zu den Ereignissen des Jahres 1866 unser 
Volk — Söhne eines Landes, eines Stammes! — in zwei 
einander schroff gegenüberstehende Lager spaltete, zu über- 
brücken begonnen hat. Man hat einander besser verstehen ge- 
lernt, und während unsere, der deutsch-hannoverschen Partei 
bis dahin ablehnend, oder gar feindlich gegenüberstehenden 
Landsleute die kerndeutsche und von hehrstem Idealismus be- 
seelte Gesinnung der Deutsch-Hannoveraner gern und freudig 
anerkennen, wollen wir unsererseits allen denen unserer Volks- 
genossen, die wir bislang als unsere politischen Gegner zu be- 
trachten pflegten, ebenso rückhaltlos die Anerkennung zollen, 
daß auch sie dem deutschen und dem hannoverschen Vaterlande 
nach bestem Wissen und Gewissen zu dienen bestrebt sind." 
Das war eine Sprache, die der großen Zeit würdig 
war. Diese Männer hatten in den letzten fünfzig 
Jahren im schärfsten Gegensatz zur preußischen Re- 
gierung gestanden und zu denen, die diese Regierung 
als die rechtmäßige anerkannten. Aber sie hatten 
im Kriege etwas gelernt, nämlich daß des großen 
deutschen Vaterlandes Wohl über alles ginge und 
daß jedem die Hand gereicht werden konnte und 
mußte, der dafür arbeitete. Ganz anders die neue 
sozialdemokratische Fraktion. Der kam es nur darauf 
an, ihre Sondermeinung zur Geltung zu bringen 
und so schimpfte sie unentwegt auf alles, was nicht 
der Fahne des großen Haase und des noch größeren 
Ledebour folgte. Als im Dezember 1916 die Re- 
gierungen der Mittelmächte ihr wohlgemeintes Frie- 
densangebot ausgehen ließen, hätte man meinen 
sollen, die guten Leute würden vor Entzücken strahlen, 
denn es geschah ja gerade das, was sie haben wollten 
Statt dessen erbosten sie sich heftig darüber, daß sie 
nicht gefragt worden seien und jammerten in einer 
Kundgebung an das Volk über die Eigenmächtigkeit 
der Regierung, die über die Köpfe der Volksvertreter 
hinweg so wichtige Entscheidungen treffe, eine 
Klage, die doch nur im Munde einer vergewaltigten 
Partei hätte Sinn haben können. Die Blätter der 
Konservativen und Nationalliberalen beschwerten sich 
nun freilich weniger darüber, daß sie nicht zuvor um 
ihre Zustimmung gefragt worden waren, als darüber, 
daß die Negierung ein Friedensangebot überhaupt 
hatte ergehen lassen. Denn sie hielten solch ein weit- 
gehendes Entgegenkommen gegen die Feinde für 
schädlich und dem Frieden nicht dienlich, wie es denn 
auch mit Hohn zurückgewiesen wurde und die Eng- 
länder und ihre Trabanten in dem Wahne bestärkte, 
Deutschland stehe hart vor dem Ende seiner Kraft. 
Uberhaupt machte sich bei den rechtsstehenden Par- 
teien ein immer größerer Widerwillen bemerkbar gegen 
die Politik des Kanzlers von Bethmann-Hollweg. 
Sie beschuldigten ihn der Parteilichkeit für die links- 
stehenden Parteien. Der Kanzler hatte von Anfang 
des Krieges an der gesamten Presse jede Erörterung 
der Kriegsziele aufs strengste untersagt, was von 
seinem Standpunkt aus eigentlich eine große Torheit 
war, denn da er selbst keine hatte, so hätte er sie 
aus der Presse aufnehmen können. Er begründete 
sein Verbot damit, daß solche Erörterungen den Vurg- 
frieden gefährden könnten, den sich alle Parteien 
gegenseitig gelobt hatten. Blätter aller Richtungen, 
die sich gegen dieses Verbot versündigten, wurden 
unnachsichtlich auf Tage oder Wochen verboten, das 
„Berliner Tageblatt" ebenso wie die „Kreuzzeitung" 
oder die „Deutsche Tageszeitung". Das erregte natür- 
lich den Arger aller Betroffenen, und je länger der 
Krieg dauerte, um so schwerer war die Maßregel 
durchzuführen, denn man kann einem Volke, das 
eine freie Presse und eine mit gesetzgeberischen Rechten 
ausgestattete Volksvertretung besitzt, wohl auf Mo- 
nate, nicht aber auf Jahre hinaus den Mund über 
seine wichtigsten Lebensfragen verbieten. Die Be- 
schwerden über die strenge Handhabung der Zensur 
und ihre Übergriffe mehrten sich. Alle Parteien 
führten darüber im Reichstage die bittersten Klagen. 
Ganz besonders aber fühlten sich die Kreise verletzt 
und erbittert, deren Kriegsziel ein siegreicher Friede 
war und die demnach Kriegsentschädigungen und 
Abtretung feindlichen Gebietes zur Sicherung der 
Reichsgrenzen erstrebten. Am schärfsten wurden diese 
Ziele vertreten und verfochten von den Mitgliedern 
des Alldeutschen Verbandes, der zwar keine selbst- 
ständige politische Partei war und sein wollte, aber 
seine Anhänger unter den Konservativen aller Schat- 
tierungen und Nationalliberalen besaß. Die All- 
deutschen wurden in der Tat von Bethmann mit 
größter Abneigung betrachtet und auffallend schlecht 
behandelt. Wurde doch sogar ihr Vorsitzender, der 
Rechtsanwalt Heinrich Claß in Mainz, eine Zeitlang 
unter Postsperre gestellt, als wäre er landesverräte- 
rischer Umtriebe verdächtig, und die Schriften des 
Alldeutschen Verbandes wurden von der Postbesör- 
derung ausgeschlossen. Alle Lebensäußerungen der 
Alldeutschen verfolgte Bethmann mit größtem Eifer. 
Während die Sozialdemokratie in alle Welt hinaus- 
trompeten durfte, daß jede Eroberung feindlichen Ee- 
bietes, jede Forderung einer Kriegsentschädigung bei 
dem kommenden Frieden verpönt sein müsse, durften 
die Gegner dieser Meinung ihre Stimme nirgendwo 
laut werden lassen. Dazu bestimmten ihn vor allem 
zwei Gründe. Erstens hielt er seit 4. August 1914 
die Sozialdemokratie Scheidemannscher Richtung für 
eine Partei, mit der man regieren könne und mit 
der man auch regieren müsse, denn sie sei die Herrin 
der Arbeitermassen, ohne deren guten Willen der 
Krieg nicht durchzuhalten sei. Deshalb empfand er 
es peinlich, wenn die Sozialdemokratie und ihre Ziele 
öffentlich bekämpft wurden. Aber seine Abneigung 
gegen die Alldeutschen hatte noch einen anderen Grund 
und lag viel tiefer. Sie lag darin, daß er möglichste 
Rücksichten auf Wilson nahm, dessen Zusammenhang 
mit England er nicht im mindesten durchschaute, und 
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