heitlichen Geist des Herres zu beeinträchtigen. Sollte
dies nicht zutreffen, so ist jedes Generalkommando
befugt, das Verbot wieder in Kraft zu setzen." In
Rücksicht auf die Arbeiter wurde auch eine große
Amnestie erlassen für alle, die wegen Majestätsbe-
leidigung, Widerstands gegen die Staatsgewalt, Ver-
letzung der öffentlichen Ordnung, Vergehens gegen
das Preßgesetz mit Geld- oder Freiheitsstrafen bis zu
zwei Jahren, wegen Eigentumsvergehens mit Geld-
oder Freiheitsstrafen bis zu drei Monaten bestraft
waren. Dasselbe gilt für den großen Straferlaß für
militärische Vergehen, der den Mannschaften und den
unteren Militälbeamten zugute kam. Beide Erlasse
fanden umgehend bei den übrigen Bundesstaaten
Nachahmung. Den Polen kam die Regierung ent-
gegen durch die Besetzung des erzbischöflichen Stuhls
in Gnesen durch einen der ihren, l>r. Likowski, der
am 8. September nach fast achtjähriger Verwaltung
der Erzdiözese während der Stuhlerledigung die
königliche Anerkennung als Nachfolger des heiligen
Adalbert erhielt. Das entsprach zugleich dem Wunsche
des Zentrums. In dem allen zeigte sich das eifrige
Bestreben der Regierung, die Parteigegensätze aus-
zugleichen, zu vermitteln und zu versöhnen. Die
Liebenswürdigkeiten der leitenden Männer gegen
die Parteien, die bisher bei der Regierung nicht eben
in dem Geruch gestanden hatten, sichere Stützen der
staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung zu sein,
gingen manchmal etwas weit. So, wenn z. B. der
Stellvertreter des Reichskanzlers beim Tode des so-
zialdemokratischen Abgeordneten Frank dem Reichstag
folgendes Schreiben zugehen ließ:
„Im Kampfe um Deutschlands Verteidigung ist als erstes
Mitglied des Reichstags der Abgeordnete Dr. Ludwig Frank
auf dem Felde der Ehre gefallen. Er hat damit die Ge-
sinnung, die er durch seinen Eintritt als Kriegsfreiwilliger
bekundet hat, mit dem Tode besiegelt. Ich habe die Ehre,
im Namen des Reichskanzlers dem Reichstag den Ausdruck
des aufrichtigen Mitgefühls auszusprechen und bitte, diesen
Ausdruck ihm zu übermitteln."
Es wirkte doch etwas befremdend, daß die Reichs-
regierung, an deren Stillschweigen ja bei diesem
Anlaß niemand Anstoß gefunden hätte, aufrichtiges
Beileid gerade beim Tode eines Mannes aussprach,
der einer der klügsten und begabtesten Demagogen
Deutschlands war und bei längerem Leben eben
dieser Regierung sicherlich so unbequem geworden
wäre wie einstmals Bebel und gewiß viel unbequemer
als die kleinen, wenig begabten Rufer im Streite,
die sich bald darauf gegen sie erhoben, ihre Kriegs-
forderungen ablehnten und der Einigkeit der Volks-
Vertretung ein Ende machten.
Das trat früher ein, als nach der Erklärung der
Sozialdemokratie vom 4. August 1914 hätte erwartet
werden dürfen. Zwar am 2. Dezember, als der
Reichstag zu seiner zweiten Kriegssitzung zusammen-
trat, wurden die neugeforderten Kriegskredite von
fünf Milliarden noch einmal von der ganzen Partei
bewilligt, aber als im März weitere Kredite von
zehn Milliarden gefordert wurden, stimmten schon
zwei Sozialdemokraten des äußersten linken Flügels
der Partei dagegen. Die heilige Einheit war also
zu Ende, und der Ton, den die sozialdemokratischen
Redner anschlugen, die ätzende Schärfe der Kritik,
mit der sie alles Übergossen, was ihnen in Staat
und Heer und Kriegführung nicht paßte, eröffneten
die erbaulichsten Aussichten auf die Zukunft. Der
Abgeordnete Ledebour ging so weit, die strengen Maß-
regeln, die das Generalkommando von Elsaß-Loth-
ringen gegen französische Umtriebe ergriffen hatte,
als Hochverrat zu bezeichnen, denn dadurch werde
die Bevölkerung gegen das deutsche Wesen aufsässig
gemacht und Frankreich in die Arme getrieben. Die
Partei ließ darauf erklären, er habe das nicht in
ihrem Auftrage gesagt, sondern trage die Verant-
wortung für seine Worte allein. Das mochte richtig
sein, jedenfalls aber zeigte es, daß in der Partei
scharfe grundsätzliche Gegensätze bestanden und daß
die vielgerühmte Parteidisziplin nicht stark genug
war, dem, was der Parteivorstand wollte, bei allen
Mitgliedern der Partei unbedingte Geltung zu ver-
schasfen. Es gab „Unbedingte", die vor nichts zurück-
schraken, auch nicht vor einer Verweigerung der Kriegs-
kredite, und „Gemäßigte". Diese wollten im Grunde
auch nicht viel anderes, aber sie blieben sich doch noch
der ungeheuren und furchtbaren Verantwortung be-
wüßt, die sie auf sich genommen hätten, wenn sie
als zahlenmäßig stärkste Partei des Reichstages die
Kriegskredite verweigerten. Zu den „Unbedingten"
gesellte sich derselbe Haase, der am 4. August 1914
als Vorsitzender der Partei die Rede gehalten hatte,
durch die sich die Sozialdemokratie bereit erklärte,
dem Staate zu geben, was er in der Stunde der
Not forderte. Im Verein mit zwei führenden Gei-
stern seiner Partei, Kautsky und Bernstein, veröffent-
lichte er am 19. Juni 1913 in der „Leipziger
Volkszeitung" einen Aufruf, der überschrieben war
„Das Gebot der Stunde". Darin wiesen die drei
Sozialdemokraten auf eine Rede des Grafen Wedel-
Piesdorf hin, die er als Präsident des preußischen
Herrenhauses am 15. März gehalten und worin er
erklärt hatte: „Wenn wir nichts weiter wollten, als
den Angriff der Feinde abschlagen, so glaube ich,
würde es nicht allzu schwer sein, den Frieden in
kurzer Frist zu erlangen (worin er sich übrigens
grimmig täuschte, da Englands und Frankreichs
Sieges- und Vernichtungswillen noch ungebrochen
war). Damit aber kann sich Deutschland nicht be-
friedigt erklären. Nach den ungeheueren Opfern, die
wir gebracht haben, an Menschen sowohl wie an
Hab und Gut, müssen wir mehr fordern. Wir können
das Schwert erst wieder in die Scheide stecken, wenn
Deutschland eine Sicherheit erlangt hat dagegen, daß
in ähnlicher Weise wie diesmal die Nachbarn über
uns herfallen." Auch der Vertreter der Konservativen,
Graf Westarp, und der Vertreter der Nationalliberalen,
Schiffer, hätten sich im Reichstag am 29. Mai für
Annexionen ausgesprochen. Ferner hätten 6 große
Wirtschaftsvereinigungen, darunter der Zentralverband
deutscher Industrieller und der Bund der Landwirte,
761
tOfi