Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

und stark sehen. In dem Schmerze, unter so peinlichen Um- 
ständen von meinem geliebten Vater getrennt zu werden, habe 
ich als einzigen Trost die Erfüllung seines geheiligten Amtes, 
und ich weide mit allen Kräften danach streben, es nach den 
Leitsätzen auszuüben, die seine Regierungszeit so glänzend 
gestaltet haben. Ich werde es unter Beihilfe des Volkes tun, 
auf dessen Liebe sich die griechische Dynastie stützt. Ich habe 
die Überzeugung, daß das Volk, indem es dem Willen meines 
Vaters folgt, dazu beitragen wird, daß wir gemeinsam unser 
geliebtes Vaterland aus der Lage befreien können, in der es 
sich befindet." 
Damit war man freilich in Paris und London 
nicht zufrieden, denn man hatte dort nicht einen 
Personenwechsel, sondern eine Änderung der griechi- 
schen Politik bezweckt. Der junge König sollte nicht 
sein Augenmerk darauf richten, sein Land aus der 
Lage zu befreien, in der es sich befand, sondern den 
Krieg an die Mittelmächte erklären. Aber das war 
vorderhand nicht zu erreichen. 
Die innerpolitischen Verhältnisse Dentschl 
große Krieg wirkt umgestaltend ein auf das 
^)jtaatliche Gefüge uud das gesellschaftliche Leben 
der Völker, die ihn führen. Er stärkt entweder die 
den Staat beherrschenden Gewalten oder er schwächt 
und untergräbt ihr Ansehen. Unter Umständen führt 
er sogar zu ihrem Sturz. Er beseitigt Widerstände, 
er führt Änderungen im Staatsleben herbei, die vor- 
her ganz undurchführbar erschienen. Er läßt viele 
einzelne Menschen, manchmal ganze Volksschichten 
emporsteigen, andere hinabgleiten. Leute, die früher 
reich waren, verarmen durch ihn, andere werden 
durch ihn reich. Jedes Volk hat sein Gesicht ver- 
ändert, wenn die Sturzwelle eines großen Krieges 
darüber hingegangen ist, und manchmal ist es kaum 
wiederzuerkennen. Das war schon in früheren Zeiten 
so, als noch geworbene Heere die Kriege der Fürsten 
führten. Wieviel mehr mußte sich eine derartige 
Wirkung zeigen bei Völkern, von denen ein Siebentel 
der gesamten Einwohnerschaft, Frauen und Kinder 
und Greise eingerechnet, sich Jahre hindurch beim 
Heeresdienste befand! In der Tat hat der 
Krieg auf die innerpolitischen Verhältnisse der krieg- 
führenden Länder, insbesondere auf die politischen 
Parteien und ihre Stellung im Staate, höchst nach- 
drücklich eingewirkt. In Rußland führte er eine voll- 
kommene staatliche Umwälzung herbei. In Deutsch- 
land und Osterreich-Ungarn war davon zwar nicht 
die Rede, aber auch hier waren seine Einwirkungen 
auf das innerpolitische Leben so gewaltig, daß schon 
sehr bald der Gang des Krieges dadurch beeinflußt 
wurde. Deshalb gehört eine Schilderung dieser Vor- 
gänge in die Chronik des Weltkrieges hinein, wenn 
sie auch, während der Krieg noch tobt, nur in Um- 
rissen geschildert werden können und dürfen. 
Fassen wir zunächst Deutschland ins Auge. Hier 
war das wichtigste innerpolitische Ereignis im An- 
fang des Krieges die überwältigende Einmütigkeit, 
die alle Parteien in der denkwürdigen Reichstags- 
sitzung vom 4. August 1914 an den Tag legten. Ein- 
stimmig wurden von allen Parteien die Mittel zur 
Kriegführung bewilligt. Nach der Thronrede im 
Weißen Saal hatte der Kaiser zu den Abgeordneten 
gesagt: „Sie haben gelesen, meine Herren, was ich 
zu meinem Volk vom Balkon des Schlosses aus ge- 
sagt habe. Ich wiederhole: Ich kenne keine Parteien 
mehr, ich kenne nur Deutsche. Zum Zeichen dessen, 
daß Sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschiede, 
ids während der drei ersten Kriegsjahre. 
ohne Standes- und Konfessionsunterschiede, mit mir 
durch dick und dünn, durch Not und Tod zu gehen, 
fordere ich die Vorstände der Parteien auf, vorzutreten 
und mir dies in die Hand zu geloben." 
Das war geschehen. Alle Parteien waren der 
kaiserlichen Aufforderung gefolgt. Auch die Sozial- 
demokratie hatte sich dem nicht entzogen. Auch sie 
gab ohne weiteres ihre Zustimmung zu den Kriegs- 
krediten. Es war selbstverständlich, daß sie dabei 
betonte, der Krieg sei eine Folge des jetzt herrschenden 
politischen und gesellschaftlichen Systems. Ihre Hal- 
tung war für viele Leute in Deutschland, besonders 
auch für die regierenden, eine ungeheure Überraschung. 
Sie hätte es gar nicht zu sein brauchen, denn die 
Erklärung dafür lag sehr nahe. Dem Schreiber dieser 
Zeilen sagte im August 1914 ein sozialdemokratischer 
Abgeordneter, der jetzt unter der Zahl der „Unab- 
hängigen" glänzt: „Hätte die Regierung Frankreich 
allein den Krieg erklärt, so würden wir die Kriegs- 
kredite nicht bewilligt haben, aber gegen Rußland 
bewilligen wir alles." Das war in der Tat des 
Rätsels Lösung. So dachten, wenn nicht alle, so doch 
viele in der Partei. Die Sozialdemokratie wußte, 
was sie zu erwarten hatte, wenn Rußland das Uber- 
gewicht in Europa bekam, und das bestimmte ihre 
Haltung. Dasselbe ist von der Haltung der Polen 
zu sagen. Sie trug für beide Parteien die besten 
Früchte. 
„Burgfriede" war das Schlagwort und die 
Losung des Tages. Und die Partei, die dem 
Vaterlande die Mittel zur Kriegführung wie jede 
andere gegeben hatte, wurde nun auch wie jede 
andere in diesen Burgfrieden mit einbezogen. Die 
Parteien kamen überein, Wahlkämpfe während des 
Krieges nicht mehr zu führen. Wurde in einem 
Wahlkreis durch den Tod eines Abgeordneten eine 
neue Wahl nötig, so sollte er der Partei zufallen, 
die ihn bisher innegehabt hatte. Der Reichsverband 
zur Bekämpfung der Sozialdemokratie stellte seine 
Tätigkeit für die Dauer des Krieges ein, und sein 
Personal trat in den Dienst des Roten Kreuzes. 
Das preußische Kriegsministerium hob das Verbot 
des Haltens und VerbreUens sozialdemokratischer 
Schriften in den Kasernen und sonstigen Dienstlokalen 
auf, bemerkte allerdings dazu, „daß die Aufhebung in 
der Erwartung geschieht, daß die Veröffentlichung 
von Artikeln unterbleibt, die geeignet sind, den ein- 
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