Die Neutralen. — Italiens Treubruch.
•TN er Krieg zu Wasser und zu Lande und in der
^/Luft verlief mit jedem Monat, der ins Land
zog, ungünstiger für den Dreiverband. Anfang Mai
waren die Nüssen aus Ostpreu-
ßen herausgeschlagen. Ein deut-
sches Herr bedrohte Warschau,
ein anderes stand in den Ostsee-
Provinzen, ganz Westpolen war
in deutschem Besitz, die russische
Schlachtfront in Ealizien geriet
bedenklich ins Wanken, die Oster-
reicher und Ungarn im Bunde
mit den deutschen Truppen waren
überall im Vorteile, und der Zu-
sammenbruchdesrussischenHaupt-
Heeres war vorauszusehen. Von
der russischen Dampfwalze war
in der Dreiverbandspresse schon
gar nicht mehr die Rede.
Westen war alles unverändert.
Belgien und die reichen fran-
zösischen Industriegebiete waren
fest in deutscher Hand, alle „großen
Offensiven" gescheitert, ungeheure
Opfer an Menschenleben umsonst
gebracht. Hie und da waren
die Franzosen ein paar tausend Schritte vorwärts
gekommen, dafür waren die Deutschen an anderen
Stellen noch
weit mehr
vorgerückt;
im ganzen
zeigt sich
die deutsche
Front trotz
der wütend-
sten Anstür-
me völlig
unerschüt-
tert. Die
Engländer
berechneten
schon da-
mals ihre
Verluste im
Landkriege
auf rund
200000
Mann und
gegen10000
Offiziere —
Verluste, wie sie vor Beginn des Krieges kein Eng-
länder sich hätte träumen lassen, und wie sie die Briten
überhaupt noch niemals erlitten hatten. Zur See
glückte nichts. Die deutsche Unterseeboot-Gefahr wurde
immer drohender, die Zeppelin-Gefahr immer un-
wmm
fei
Viltor Emanuel ITT., ftöntg von Italien
Antonio Salandra,
italienischer Ministerpräsident und Minister des Innern
so schlecht, wie sie nur stehen konnten, und ein schwerer
Schiffsverlust folgte dem andern. Die betrogenen,
in den Krieg hineingehetzten Völker des Dreiver-
bandes wußten ja von dem allen
nicht viel, denn die Zeitungen
durften nur Günstiges bringen,
und sogar die Verwundeten
wurden in Rußland und Frank-
reich von den Ihren abgesperrt,
damit nicht die Kunde der Wahr-
heit ins Volk dringe. Die lei-
tenden Männer aber, die alles
wußten, konnten sich nicht dar-
über täuschen, daß ihre Sache
sehr übel stand, und daß die
Aussicht aus den Sieg dahin-
schwand wie Märzschnee vor der
Sonne. Darum strengten sie
nun alle Kräfte und wandten
alle Mittel an, um noch andere
Völker in den Krieg gegen Deutsch-
land und Österreich-Ungarn hin-
einzutreiben, und das Ringen
um die Neutralen, das schon
mit dem ersten Tage des Krieges
eingesetzt hatte, wurde unter den?
Drucke der Not zu einem wahrhaft verzweifelten.
Einige neutrale Länder wurden allerdings kaum
noch um-
warben.
Sie hatten
sich von An-
fang an so
spröde ge-
zeigt, daß
dorteineBe-
arbeitung
der öffent-
lichen Mei-
nung nicht
lohnend er-
schien. So
wenig wie
die Versuche
erneuert
wurden, den
lieben Bun-
desbruder in
Ostasien zu
Truppenscn-
düngen zu
bewegen, so wenig wurden ernste Versuche unter-
nommen, die skandinavischen Reiche aus ihrer Zu-
rückHaltung herauszulocken. In Schweden war die
Stimmung geradezu deutschfreundlich und rufsen-
feindlich; in Dänemark und Norwegen war sie
Varon Sidney Sonnino,
italienischer Minister der Auswärtigen Angelegenheiten.
behaglicher. An den Dardanellen standen die Dinge das nur zum Teil, doch ließen alle drei Länder
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