Volltext: Der Weltbrand Band 2 (2; 1917)

Hände der englischen Behörde liefern würde. Christensen 
aber erklärte, ein mündliches Ehrenwort genüge ihm 
nicht, er verlange ein schriftliches Versprechen. Findlay 
war, so unglaublich es klingt, dumm genug, ihm eine 
schriftliche Bescheinigung auszuhändigen, die folgenden 
Wortlaut hatte: „Im Namen der britischen Regierung 
verspreche ich folgendes: Falls auf Grund von Mit- 
teilungen, die Adler Christensen macht, Sir Roger 
Casement, mit oder ohne seine Gefährten, in meine 
Hände geliefert wird, soll der genannte Adler Chri- 
stensen von der britischen Regierung die Summe von 
fünftausend Pfund Sterling erhalten, zahlbar nach 
seinem Wunsche. Adler Christensen soll außerdem 
persönliche 
Straffreiheitge¬ 
nießen und auf 
Wunsch freie 
Überfahrt nach 
den Vereinig- 
ten Staaten 
erhalten. M.De 
C.Findlay.Sei- 
ner britischen 
Majestät Ge¬ 
sandter." Dieser 
Brief wurde 
von deutschen 
und österreichi- 
schen Zeitungen 
faksimiliert ab- 
gedruckt. Am 
16. Februar 
erklärte die 
„Norddeutsche 
Allgemeine Zei- 
tung", Sir Ro- 
ger Casement 
habe dem deut- 
schen Auswär- 
tigen Amte die Originale der auf diesen Anschlag bezüg- 
lichen Dokumente vorgelegt und es sei an der Richtig- 
keit der ungeheuerlichen Anschuldigungen nicht zu 
zweifeln. Die englische Regierung hüllte sich in tiefes 
Schweigen, berief aber nach einiger Zeit ihren Ge- 
sandten von Christiania in aller Stille ab. Ob die 
Regierung des neutralen Landes, das zum Schauplatz 
des gemeinen Verbrechens gemacht werden sollte, ins- 
geheim in London Vorstellungen erhoben hat, ist nicht 
bekannt geworden. Die norwegische Presse scheint die 
Weisung erhalten zu haben, die ganze Angelegenheit 
totzuschweigen, denn sie brachte nur eine kurze Notiz 
darüber und verstummte dann plötzlich. 
Von der russischen hohen Gesellschaft wußte ja die 
Welt längst, daß sie Bestechung und Meuchelmord 
anzuwenden pflegt, um unliebsame Personen aus dem 
Wege zu räumen. Aber daß die Regierung Seiner 
britischen Majestät sich auf ganz demselben Wege er- 
tappen ließ, überraschte in Deutschland, Osterreich und 
Ungarn und in den neutralen Ländern doch einiger- 
maßen. Der Anschlag auf Sir Roger Casement schien 
auch kein Ausnahmefall zu sein. Am 14. Februar 
wurde in Sofia auf einem von Künstlern veranstal- 
teten Maskenballe ein Bombenattentat verübt, dem 
zwei Mitglieder der höchsten bulgarischen Kreise zum 
Opfer fielen. Die Untersuchung ergab, daß der Mord- 
anschlug dem König Ferdinand gegolten hatte, und 
dabei wurde der englische Gesandte Bar-Jronside 
derartig belastet und bloßgestellt, daß er plötzlich ab- 
reiste. Es war wahrhaftig kein Wunder, daß viele 
Leute in Deutschland und Osterreich-Ungarn die Todes- 
und Krankheitsfälle wichtiger, dem Dreiverband un- 
bequemer Persönlichkeiten nunmehr auf Londoner oder 
Petersburger 
Anschlag zu- 
rückführten. 
Solche Fälle 
hatten sich in 
wunderbarer 
Häufigkeit er- 
eignet. Noch 
kurz vorKriegs- 
beginn war in 
Paris der So- 
zialistenführer 
Jaures erschos- 
senworden.der 
einzige Mann, 
dem es viel- 
leicht noch hätte 
gelingen kön- 
nen,Frankreich 
vor dem Ein- 
tritt in den un- 
sinnigen Krieg 
zu bewahren. 
Am 10. Okto- 
ber starb König 
Carol von Ru- 
mänien, von dem England nichts Gutes erwartete. 
Am 20.Oktober folgte ihm sein Freund und frühe- 
rer Berater, der durchaus russenfeindliche Demeter 
Sturdza, im Tode nach. Am 16. Oktober starb der 
italienische Minister des Auswärtigen Marchese de 
San Giuliano, der Mann, der die festeste Seele des 
Dreibundes in seinem Vaterlande gewesen war. Am 
13. März wurde ganz plötzlich der frühere russische 
Ministerpräsideut Graf Witte vom Tode hinweg- 
gerafft, der Mann, den die Kriegspartei in Rußland 
am meisten fürchten mußte. Am 8. Mai erkrankte 
König Konstantin von Griechenland schwer und jeder 
erinnerte sich, daß er kurz vorher sein Land vor dem 
Eingreifen in das Dardanellen-Abenteuer Englands 
und Rußlands bewahrt hatte. Diese Liste ließe sich 
noch um einige weniger bedeutende Namen vermehren. 
Die betreffenden waren ja zumeist alte oder wenig- 
stens bejahrte Männer, aber ausnahmslos sehr rüstige 
Leute, und nach den Enthüllungen Casements gehörte 
eine große Harmlosigkeit des Gemütes dazu, in allen 
Bayrischer Landsturm im Sanitätsdienst. Nach einer Zeichnung des auf dem westlichen 
Kriegsschauplatz befindlichen Sonderzeichners der „Illustrirten Zeitung" Fritz Grotemeyer. 
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