Volltext: Der Weltbrand Band 2 (2; 1917)

ohne die Furcht vor dem Tode oder einer elenden 
Behandlung wäre sein Heer zusammengebrochen. 
Seine Braven wären scharenweise zu den Feinden 
übergegangen und hätten sich von ihnen gefangen- 
nehmen lassen, wie das trotz aller großfürstlicher 
Lügenwarnungen sich bereits in vielen Fällen ereignete. 
Unverständlich ist es, daß der französische Generalissimus 
dem Beispiele des russischen folgte und die Deutschen 
amtlich mit den abscheulichsten Nachreden überschüttete. 
Ihm kann indessen noch ein gewisser guter Glaube 
zugebilligt werden, denn der Franzose sieht ja bekannt- 
lich die Dinge nicht wie sie sind, sondern wie er sie 
haben möchte und läßt sich dabei mehr von seiner 
zügellosen Phantasie als von seinem Verstände leiten. 
Dagegen ohne jeden Entschuldigungsgrund — man 
müßte denn den wahnsinnigen Haß als solchen gelten 
lassen — war der Angriff, den Lord Kitchener am 
27. April im englischen Oberhause auf das deutsche 
Heer unternahm. Die Unmenschlichkeiten der deutschen 
Behörden gegen englische Gefangene, erklärte er, 
ständen außer jedem Zweifel. Die Gefangenen würden 
nackt ausgezogen und in verschiedener Weise gemiß- 
handelt, in manchen Fällen kalten Blutes erschossen. 
Vielfach litten auch die Gefangenen Mangel an 
Nahrung usw. Das alles aber wurde noch weit in 
den Schatten gestellt durch die Veröffentlichungen 
einer Kommission, die von der englischen Regierung 
zur Untersuchung der deutschen Greuel in Belgien 
eingesetzt worden war und unter dem Vorsitz des 
früheren englischen Botschafters in Nordamerika tagte. 
Am 23. Mai veröffentlichte sie ihren Lügenbericht, 
nota bene, ohne auch nur einen einzigen Zeugen zu 
nennen. Wenn der Erzähler einer Schauergeschichte 
allzu unglaublich grausame Dinge berichtet, so kann 
es ihm begegnen, daß er. seine Zuhörer nicht zum 
Grausen bringt, sondern zum Lachen. Diese Wirkung 
mußte das englische Schriftstück auf jeden verständigen 
Menschen hervorbringen. Da sollten die Deutschen 
hunderte von Dörfern aus bloßem Mutwillen in 
Brand gesteckt und zahllose friedliche Menschen aus 
reiner Blutgier ermordet haben. Sie sollten gewohn- 
heitsmäßig Frauen, Mädchen, selbst kleine Kinder 
geschändet oder ihnen die Hände abgehackt oder sie 
gekreuzigt haben. Die abgehackten Köpfe ihrer Feinde 
pflegten sie unter Triumphgeheul durch die belgischen 
Städte zu tragen, und was des unglaublichen Blöd- 
sinnes noch mehr war. Die Deutschen standen nach 
diesem Berichte ungefähr auf der Kulturhöhe der 
Gurkhas und Senegalneger. Hierüber konnte man 
sich kaum noch entrüsten, man mußte vielmehr darüber 
lachen und das geschah in Deutschland, Österreich und 
Ungarn und auch in den neutralen Ländern. Aller- 
dings war das Lachen kein herzliches, sondern ein 
bitteres und verächtliches, und mit Recht wies die 
„Norddeutsche Allgemeine Zeitung" daraus hin, daß 
die Engländer durch dieses „traurige Machwerk" die 
Gemüter ihrer eigenen Kinder und ihres Volkes mit 
Perversitäten vergifteten. Die vergiftende Wirkung der 
schamlosen, über alles Maß hinausgehenden Ver- 
leumdungen und Verhetzungen ward ja auch überall 
sichtbar. Sie zeigte sich vor allen Dingen in den 
Deutschenhetzen des Pöbels, die in allen großen Städten 
Englands stattfanden, wobei besonders das deutsche 
Eigentum gründlich zerstört und beraubt wurde. 
Auch auf eine englische Kolonie sprang dieser Wahn- 
sinn über. In Johannesburg, der Hauptstadt von 
Englisch-Südafrika, fand eine schauderhafte Deutschen- 
hetze statt. Gegen das Kannibalenvolk der Deutschen 
erschien dem englischen Pöbel alles erlaubt. Der 
Mob von London und Liverpool hielt sich wahrschein- 
lich noch für sehr christlich und gesittet, weil er den 
Deutschen nur ihr Eigentum wegnahm und sie höchstens 
etwas mißhandelte, anstatt die Canaille einfach tot- 
Zuschlagen, wie es im heiligen Rußland geschah. Auch 
dort brach in Moskau eine Deutschenhetze aus, die 
von Mitgliedern der höheren Gesellschaftskreise ange- 
stiftet war, um die deutsche Geschäftskonkurrenz zu 
vernichten. Mehrere Tage lang raste die Volkswut 
gegen die Deutschen durch die Straßen der alten 
Zarenstadt. Deutsche Häuser wurden ausgeraubt, 
alles Mobiliar auf die Straße geworfen und dann 
fortgeschleppt, alle deutschen Geschäfte geplündert und 
zerstört, die Deutschen selbst, soweit sie sich nicht in 
Sicherheit gebracht hatten, greulich mißhandelt oder 
zu Tode gebracht. Der Einfachheit halber wandte 
sich das biedere Volk von Moskau auch gleich mit 
gegen die Juden und suchte sie in derselben Weise 
heim. Die Polizei sah im Anfang den wüsten Aus- 
schreitungen wohlgefällig zu, aber nach einigen Tagen 
war sie doch genötigt, einzugreifen und das wilde 
Treiben einzudämmen, denn der Pöbel wandte sich 
dann gegen die Reichen überhaupt und schonte auch 
die „echten russischen Leute" nicht. Berichte über 
diesen Vorgang gelangten, dank der russischen Zensur, 
nur sehr langsam und allmählich über die Grenze, 
während die englischen und die Mailänder Aus- 
schreitungen gegen die Deutschen, schon kurz nach- 
dem sie sich ereignet hatten, in allen Einzelheiten 
bekannt wurden. 
Es war kein Zufall, daß weder in Deutschland 
noch in Österreich-Ungarn Greueltaten an wehrlosen 
Angehörigen feindlicher Völker begangen wurden, 
während in allen Ländern, die gegen die beiden für 
Recht und Kultur ins Feld gezogen waren, die gräß- 
lichsten und nichtswürdigsten Ausländerhetzen tobten. 
Es erklärt sich das nicht aus den verschiedenen Tem- 
peramenten der Völker, sondern daraus, daß in Eng- 
land und Frankreich, in Rußland und Italien, sowie 
den kleinen mit ihnen verbündeten Ländern die 
Leidenschaften der Massen durch Regierung und Presse 
in der furchtbarsten Weise aufgepeitscht worden waren. 
Die regierenden Kreise der gegen Deutschland ver- 
bündeten Großstaaten hatten den Krieg gewollt und 
herbeigeführt und hatten dadurch unsägliches Elend 
über ihre Völker heraufbeschworen. Das schlimmste 
aber taten sie ihnen an, indem sie durch planmäßige 
Lügen und Verleumdungen ihre Gewissen verwirrten 
und ihre Seelen entsittlichten und verdarben. 
332
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.