Volltext: Der Weltbrand Band 2 (2; 1917)

dem schweren Kampfe des 1. und 2. Novembers 
verlief der Vormittag des 3. ohne größere Kampf- 
Handlungen. Am Nachmittag nahmen die Italiener 
zwar ihre Angriffstätigkeit wieder auf, doch 
konnten sie nirgendwo Raum gewinnen. Am 4. 
richteten sie ihre Hauptanstrengungen gegen die 
österreichisch-ungarischen Stellungen am südlichen 
Teile der Karsthochfläche. Der Raum um Jamiano 
war der Brennpunkt des Kampfes. Sie hatten aber 
mit keinem ihrer Angriffe Erfolg. Der letzte schwerste, 
den sie noch am späten Abend unternahmen, brach 
unter besonders beträchtlichen Verlusten zusammen. 
In den nächsten Tagen konnten die Österreicher mel- 
den, daß der große Angriff der Italiener vorüber 
und völlig mißlungen sei und daß sie furchtbare Verluste 
erlitten hätten. Die Ruhe hielt nun den ganzen 
Monat über an und dauerte auch im Dezember noch 
fort. An dem oder jenem Tage warfen die Oster- 
reicher und Ungarn Bomben aus die oder jene Stadt 
und eroberten da oder dort einen Graben, oder die 
Italiener setzten wieder eine ihrer blödsinnigen 
Schießereien, denen dann kein Angriff folgte, in 
Szene. Von Bedeutung geschah nichts mehr im 
Felde bis zum Ende des Jahres. 
Von allergrößter Bedeutung dagegen war ein 
Ereignis, das sich nicht im Felde, sondern in einem 
stillen Zimmer des Schlosses Schönbrunn vollzog. 
Dort entschlief am 21. November abends 8 Uhr der 
greise Kaiser Franz Joseph. Eine achtundsechzigjährige 
Regierung ging damit zu Ende. Ein Mann schied 
aus dem Leben, der trotz seiner glänzenden und 
hohen Stellung wenig Glück, aber unendlich 
vieles und tiefes Leid erlebt hatte. Viele Träume 
waren ihm zerronnen, und seine nächsten Angehörigen 
hatten Mörderhände ihm entrissen. Er war einsam 
geworden, der Nestor unter den Herrschern Europas. 
Die Liebe seines Volkes war in seinem letzten Jahr- 
zehnt fast sein einziges Glück gewesen. Die besaß 
er allerdings in einem Maße wie selten ein Fürst. 
Hatte es doch vor dem Kriege geheißen: Osterreich 
werde eigentlich nur noch durch die Person dieses 
Mannes zusammengehalten, sänke er dahin, so werde 
das Reich zerfallen. Das war nun allerdings glücklicher- 
weise ein Irrtum gewesen, Österreichs Zukunft stand nicht 
auf zwei Augen, aber die Kunde seines Todes erschütterte 
das Volk, trotzdem daß der Krieg schon soviel Er- 
schütterndes gebracht hatte, aufs tiefste. Die alten 
Leute im Lande waren ja Kinder gewesen, als er 
den Thron bestiegen und dann mit seiner strahlend 
schönen jungen Gemahlin seine Kronländer durchreist 
hatte. Es erschien vielen unfaßbar, daß es keinen 
Kaiser Franz mehr in der Wiener Stadt geben sollte, 
und wehmütig sang ein österreichischer Dichter seinen 
Landsleuten aus den Herzen: „Das Lied von Franz 
dem Kaiser, das ist nun aus". 
Der Thronfolger Erzherzog Karl Franz Joseph trat 
die Regierung an unter dem Namen Karl I. Er stand 
im 29. Lebensjahre, war vor dem Kriege fast un- 
bekannt gewesen, da er nicht zum Throne berufen schien, 
hatte sich aber im Felde wohl bewährt. Nachdem 
Italien in den Krieg eingetreten war, hatte er den 
Befehl in Südtirol geführt und im Frühjahr 1916 
mit seinem Heere Asiago und Arsiero erobert. Dann 
hatte er ein Kommando an der Ostfront und endlich 
eins an der siebenbürgischen Front übernommen. Er 
besaß soldatische Neigungen und Fähigkeiten. Daß 
er sich Karl I. nannte, sollte eine Erinnerung sein 
an den hervorragendsten Feldherrn, den das Haus 
Habsburg-Lothringen bisher hervorgebracht hatte, 
den Sieger von Aspern. Bald zeigte es sich, daß 
in Osterreich ein anderer Wind wehte als bisher. 
Das Ministerium Kuerber trat zurück und machte 
einem Ministerium Spitzmüller Platz. Das war um so 
auffallender, als Koerber erst einige Wochen vorher 
dem Grasen Stürgkh im Amte gefolgt war, den ein 
fanatischer, halb geisteskranker Mensch in einem Wiener 
Speiselokal ermordet hatte. Nicht lange, so traten 
auch Veränderungen in den hohen und höchsten 
Kommandostellen des Heeres ein. Ein neuer Herr 
war zur Macht gelangt und schien entschlossen zu 
sein, diese Macht nach seinem Sinne rücksichtslos 
zu gebrauchen. 
Die Kämpfe mit Rußland vom 1. September bis Ansang November 1916. 
Errichtung des Königreichs Polen. 
^Ve Nähe des Winters und der Eintritt Rumäniens 
^/in den Krieg veranlaßten die Russen im Septem- 
ber zu ganz besonders gewaltigen Kraftanstrengun- 
gen. Wieder einmal wurden ungeheure Massen in 
den Kampf geworfen, und wieder wurden sie nutz- 
los geopfert, denn zumeist endeten die russischen An- 
griffe mit einem vollen Mißerfolg. Wo sie aber unter 
dem Einsatz aller Kräfte vorwärts kamen, da waren 
die geringen Vorteile kaum der Rede wert. Die 
russische Heeresleitung hatte sich die Eroberung von 
Kowel, Wladimir-Wolynskij und Lemberg zum Ziele 
gesteckt, aber von dem allen wurde nichts erreicht. 
Der Monat begann mit einer großen Offensive der 
Russen auf der ganzen Front. Nachdem Hinden- 
bürg zum Oberbefehlshaber aller deutschen Heere er- 
nannt worden war, unterschieden die deutschen Heeres- 
berichte die beiden Fronten des Prinzen Leopold 
von Bayern und des Erzherzogs Karl. Wir be- 
trachten zunächst die Kämpfe, die auf der Front des 
Prinzen Leopold von Bayern geführt wurden. 
Nachdem schon am 31. August ein starker russischer 
Angriff in der Gegend von Luzk stattgefunden hatte, 
setzten die Russen am 1. September ihre Anstrengungen 
südwestlich der Festung fort. Mit vielfach über- 
legenen Massen griffen sie die unter dem Befehl des 
Generals Litzmann stehenden deutschen Truppen an, 
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