Volltext: Der Weltbrand Band 2 (2; 1917)

verlor, und hatte es nicht gewagt, bis Ende Januar 
einen neuen Entsatzversuch zu unternehmen. 
Verfolgen wir zunächst den Verlauf der Kämpfe 
in Mesopotamien bis zur Mitte des Jahres. Hier 
spielten sich Ereignisse ab, die in der ganzen Welt 
das größte Aufsehen erregten und die nach mensch- 
lichem Ermessen das Ansehen und die Stellung Eng- 
lands im Orient für alle Zukunft beeinflussen werden. 
Der englische Hochmut empfand die Niederlage vor 
Bagdad um so mehr als eine unerträgliche Demütigung, 
als die gesamte Presse Großbritanniens dem Volke 
die nahe Eroberung der Stadt als ganz sicher hin- 
gestellt hatte. Wie fest die Engländer überzeugt waren, 
die Kalifenstadt in ihren Besitz zu bringen, wird dadurch 
bezeugt, daß die beiden Töchter des Generals Towns- 
hend, der das englische Heer befehligte, ihrem Vater 
gefolgt waren, um das Schauspiel des Einzuges in 
Bagdad zu genießen. Nun saß der General in Kut- 
el-Amara fest, und noch schlimmer als seine Nieder- 
läge erschien den Engländern der Gedanke, er könne 
mit seinen Truppen in die Hände der verachteten Tür- 
ken fallen. Laut und gebieterisch forderte die öffentliche 
Meinung, es müsse ihm schneller und ausreichender 
Ersatz gebracht werden. Aber Kut-el-Amara lag 
600 km von der Meeresküste entfernt, und die Be- 
schaffenheit des Landes setzte dem Nachschieben von 
Truppen und Munition die größten Schwierigkeiten 
entgegen, abgesehen davon, daß die Türken und die 
ihnen verbündeten Eingeborenen die englische Nach- 
schublinie fortwährend schwer belästigten. Daher konnte 
der General Aylmer monatelang nur wenig unter- 
nehmen. Er stieß am 2. und 8. Februar gegen die 
Türken vor, wurde aber beide Male abgewiesen.-Dann 
verharrte er einen vollen Monat über in Untätigkeit 
und war erst am 8. März zu einem neuen größeren 
Angriff fähig. Er hatte anfänglich Erfolg, seine Truppen 
drangen in die Schützengräben der Türken ein, aber 
ein starker Gegenangriff warf sie wieder hinaus. Sie 
ließen 2000 Tote auf dem Kampfplatze zurück. Vis 
Ende März konnte er keinen weiteren Angriff wagen. 
In England war man wütend über dieses Zaudern, 
wofür der General wahrlich seine guten Gründe hatte, 
und die Heeresleitung sah sich gezwungen, ihn des 
Oberbefehls zu entheben. An feine Stelle trat der 
General Gorringe, der den Ruf eines gewaltigen 
Draufgängers besaß. Damit war nach der Meinung 
der Londoner Blätter der Feldzug so gut wie ge- 
wonnen. Aber Gorringe mußte sehr bald einsehen, 
daß auch er nicht mehr vermochte, als sein vielge- 
scholtener Vorgänger. Er griff zwar am 5. und 6. April 
4 km östlich des Hauptabschnittes von Felahie die 
Türken heftig an, aber seine Sturmtruppen holten 
sich nur blutige Köpfe, und am 9. erlitt er eine schwere 
Niederlage bei Felahie. Unter ungeheuren blutigen 
Opfern drangen die Engländer zwar in die türkischen 
Gräben ein, wurden aber dann zurückgetrieben und 
verloren dabei noch über 3000 Mann an Toten. Am 
22. April versuchte Gorringe sein Heil zum dritten 
Male bei Felahie aus dem linken Tigrisufer, aber 
wieder siegten die Türken, und die fliehenden Eng- 
länder ließen 2000 Tote auf dem Schlachtfelde zu- 
rück und 1000 Gefangene in türkischer Hand. Towns- 
hend, der sich mit rühmlicher Ausdauer verteidigt 
hatte, sah sich nun aus Mangel an Lebensmitteln 
und Schießbedarf zur Ubergabe gezwungen. Es waren 
ihm noch 13000 Mann geblieben von den 20000, 
die er am Anfang der Belagerung gehabt hatte, als 
er am 29. April Kut-el-Amara den Türken überlieferte 
und sich mit der Besatzung gefangen gab. 
Am 10. April war der Generalfeldmarschall von 
der Goltz, der Neuschöpfer des türkischen Heeres, im 
Hauptquartier vor Kut-el-Amara an Flecktyphus ge- 
storben. Er hatte den nahen Sieg vor Augen gesehen, 
aber er durfte ihn nicht mehr erleben. Er hatte den 
ganzen Feldzug strategisch vorbereitet und die Eng- 
länder bei Ktesiphon geschlagen. 
Der Fall von Kut-el-Amara wurde selbst im eng- 
lischen Unterhaus als eine sehr schwere Niederlage 
zugegeben, und die englischen Zeitungsschreiber hatten 
die größte Mühe, ihr Volk über die Bedeutung 
des türkischen Sieges hinwegzulügen. Es gelang all- 
mählich, aber die Tatsache wurde damit nicht aus 
der Welt geschafft, daß der englische Vormarsch in 
Mesopotamien zu Ende war, und daß England ein 
neues großes Heer ausrüsten und an die Jrakfront 
schicken mußte, wenn es hier irgendwelche Erfolge 
erzielen wollte. Da das geraume Zeit erforderte und 
die Türken sich zu großen Unternehmungen nicht 
mehr entschließen konnten, wohl auch zu schwach dazu 
waren, so kam es auf diesem Kriegsschauplatz bis zur 
Jahresmitte nicht mehr zu erwähnenswerten Kämpfen. 
Auch auf allen anderen Kriegsschauplätzen fochten 
die Engländer, wo sie den Türken gegenüber standen, 
ausgesprochen unglücklich und erlitten eine Nieder- 
läge nach der anderen, so vor allen Dingen in Arabien 
und Ägypten. Am 12. und am 19. März wurden 
sie an der Iemenfront zum Rückzug gezwungen, als 
sie versuchten, nördlich von Aden vorzustoßen. Am 
22. April errangen die Türken einen Sieg aus dem 
Punkt, auf den die Engländer mit besonderer Ve- 
sorgnis hinblickten, nämlich in der Gegend des Suez- 
kanals bei Katia. Ostlich vom Suezkanal wurden 
vier englische Schwadronen total aufgerieben, sodann 
eine stärkere englische Heeresabteilung aus ihrer be- 
festigten Stellung hinausgeworfen, zum Teil zur Flucht 
gezwungen, zum Teil niedergemacht oder gefangen. 
Am 15. Mai begann ein englischer Feldzug gegen 
den Sultan von Darfur. Von Naama aus rückte 
der Oberst Kelly auf Abiad vor, um Fascher, die 
Hauptstadt des Sultans, anzugreifen. Nach englischen 
Meldungen sollten am 22. und 23. Mai siegreiche 
Kämpfe gegen den Sultan geliefert worden sein, aber 
dann schwiegen auf einmal die englischen Zeitungen 
von der ganzen Sache, und von einer erfolgreichen 
Durchführung des Angriffes ward bis Ende Juni 
nichts gemeldet. 
Waren somit die Türken im Kampf mit den Eng- 
ländern überall im Vorteil, so schnitten sie in ihren 
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