Volltext: Der Weltbrand Band 2 (2; 1917)

Stadt eine Ausschreitung gegen die Italiener gemeldet 
worden. In Italien herrschte die Gasse, in Deutschland 
die Staatsgewalt, und außerdem liegt es nicht im 
deutschenVolkscharakter, sich an Wehrlosen zu vergreifen, 
ihnen ihr Hab und Gut zu stehlen oder zu verwüsten. 
Einen „triumphalen Aufstieg Italiens" sollte der 
Krieg bringen, so hatten die Schwätzer des „Eiornale 
d'Jtalia" und anderer führende Zeitungen geweissagt 
und in ihrer bombastischen Weise ausgerufen, er werde 
das Königreich mit „Licht, Hymnen, Blumen und 
Bannern" überschütten. Der Anfang des Krieges 
ließ aber nicht gerade daraus schließen, daß die Zukunft 
besonders viel Licht, Hymnen, Blumen und Banner 
bringen werde, eher andere, weniger erfreuliche Dinge- 
Der Charakter des Krieges. — Die Art der Kriegführung. 
Italien in den Weltkrieg eintrat, waren seit 
-<4-seinem Anfang fast zehn Monate abgelaufen. 
Die deutsche Regierung hatte mit einer ungefähr 
zehnmonatlichen Dauer gerechnet, die englische kaum 
mit der Hälfte dieser Zeit, und gewichtige Größen der 
Finanzwelt hatten sogar im August prophezeit, er 
werde im Oktober zu Ende sein. Denn ein Krieg, der 
die Kämpfenden zusammen täglich über 200 Millionen 
Mark kostete, könne nicht länger als drei Monate 
dauern. Aber alle Welt hatte sich getäuscht über 
die Leistungsfähigkeit der Völker, besonders der beiden 
verbündeten Kaiserreiche. Deutschland hatte schon 
llVs Milliarden Mark, Österreich-Ungarn sieben Mil- 
liarden Mark durch Kriegsanleihen aufgebracht, und 
ihre Feinde, wenigstens die feindlichen Regierungen, 
wußten es ganz genau, daß die beiden, wenn Not 
an den Mann ging, noch einmal dasselbe und noch 
mehr aufbringen konnten. Frankreichs Leistungen 
traten im Vergleich damit ganz in den Hintergrund, 
Rußland war bereits mit seinen Mitteln zu Ende und 
lebte schon seit Januar im Zustande des halb verhüllten 
Staatsbankerotts. Staunenswertes dagegen leistete 
England, denn es mußte nicht nur Riesensummen 
für Munition und für die Bezahlung seiner immer 
wachsenden Söldnermassen ausgeben, sondern es 
mußte zugleich der Geldgeber sein für alle Völker, 
die an seiner Seite fochten, mußte Japan, Rußland. 
Frankreich, Serbien und zuletzt auch Italien mit 
kolossalen Riesensummen unterstützen, während Deutsch- 
land nur die Türkei mit Geld zu versorgen hatte. 
Die Riesensummen, die der Weltkrieg kostete, das 
Riesenheer, das er ins Feld führte, die Riesenopfer 
an Gütern und Menschenleben, die er verschlang, 
machten ihn zu einer Erscheinung, die vorher kein 
Mensch für möglich gehalten hätte. 
Aber auch die Art und Weise, auf die er geführt 
wurde, die Gesinnung der Völker, die durch ihn zu- 
tage trat, hatte niemand für möglich gehalten. Er 
bedeutete, kurz gesagt, einen Rückfall in die Barbarei 
vergangener Jahrhunderte und stellte der aus ihre 
Kulturhöhe so stolzen Menschheit des 20. Jahrhunderts 
ein grauenvolles moralisches Armutszeugnis aus. 
Vor dem Kriege waren — nicht nur in Deutsch- 
land — sonst sehr ernst zu nehmende Leute der 
Meinung, es werde in Zukunft wahrscheinlich über- 
Haupt keine Kriege mehr geben, wenigstens nicht 
unter den europäischen Kulturvölkern. Die einen 
erwarteten das Aufhören des Blutvergießens von 
den Einflüssen des Christentums, die anderen von 
der zunehmenden Macht der Arbeiterparteien, die 
dritten von der Einsicht der Regierenden, die vierten 
davon, daß die Fortschritte der Technik das Krieg- 
führen unmöglich machen würden, weil die Verluste der 
Kämpfenden dadurch zu ungeheuerliche sein müßten. 
Die beiden schnell aufeinanderfolgenden grauenvollen 
Valkankriege machten diese Friedensfreunde Zwar 
stutzig, aber sie beruhigten sich bei dem Gedanken, 
daß die Balkanvölker doch nur halb kultiviert seien, 
und wie der Moslem nach Mekka blickt, so blickten 
sie begeistert nach dem Haag, wo das berühmte 
Schiedsgericht seinen Sitz hatte, und waren stolz 
darauf, Mitglieder einer internationalen Friedens- 
liga zu sein. 
Neben diesen gab es andere, die zwar nicht an 
das Aufhören der Kriege glaubten, aber ihre Kraft 
daran setzten, etwa kommende Kriege menschlicher zu 
gestalten. Die Staaten sollten sich verpflichten, ihre 
Gefangenen anständig zu behandeln, die Arzte, Pfleger, 
Pflegerinnen und Lazarette sollten unverletzlich sein, 
die Waffen der Kriegführenden sollten dem Gebote 
der Menschlichkeit entsprechen, den Feind nur un- 
schädlich machen, nicht grausam verstümmeln, das 
Piratenwesen zur See sollte verschwinden. Diese und 
ähnliche Forderungen zu völkerrechtlich anerkannten 
zu machen, das waren ihre Ziele, und die meisten 
waren wirklich in das von den Kulturstaaten angeblich 
anerkannte Völkerrecht übergegangen. Da kam der 
Krieg und geigte, daß keine geistige oder politische 
oder wirtschaftliche Macht stark genug ist. den Völker- 
frieden zu gewährleisten, und daß trotz aller Regeln 
und Abmachungen und Gesetze des Völkerrechtes 
auch heute noch ein Krieg großer Kulturvölker mit 
derselben Roheit und Unmenschlichkeit geführt werden 
kann wie in den Tagen, da die Kroaten Tillys und 
die Schweden Baners auf deutschem Boden hausten. 
In der Anfangszeit des Krieges entleibte sich in 
Rom ein Professor des Völkerrechtes. Mit blutigem 
Witz bemerkte hierzu ein Wiener Blatt das Ver- 
halten des Mannes sei ganz begreiflich, denn was 
wollte er eigentlich noch auf der Welt? Das Fach, 
das er vertrete, gebe es überhaupt nicht mehr. Dafür 
hätten Deutschlands und Österreich-Ungarns Feinde 
gesorgt. Das war natürlich übertrieben, aber so ähn- 
lieh lagen die Dinge in der Tat, und so mußten sie 
liegen, weil die Dreiverbandsmächte und ihre Tra- 
bauten den Krieg als einen Vernichtungskrieg führten. 
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