Volltext: Der Weltbrand Band 2 (2; 1917)

Widerhall fand in den Herzen der meisten Italiener. 
Die freche Begehrlichkeit nach fremdem Gut trägt ja 
dieses Volk von altersher im Blute. Auch Selbst- 
überHebung und Hochmut waren von jeher Züge des 
italienischen Volkscharakters gewesen. Das Volk, dessen 
größter Teil nicht lesen und schreiben konnte und in 
Armut und Schmutz dahinlebte, glaubte den Deutschen 
um zwanzig Jahrhunderte in der Kultur voraus zu 
sein, wie sein hervorragender Staatsmann Salandra 
sagte, weil seine Ahnen vor zweitausend Jahren schon 
eine Kultur gehabt hatten. Der eigentliche Fluch 
Italiens aber war Rom. Jetzt zeigte es sich, wie ge- 
fährlich es war für das heißblütige, eitle und phan- 
tastische Volk, eine solche Hauptstadt zu besitzen. Der 
Fürst Colonna, der Bürgermeister Roms, erklärte in 
seiner schwülstigen Senatsrede am 21. Mai, man habe 
ihn zum Sprecher gewählt, „um im Senat den Wider- 
hall der Stimme Roms zu hören, der großen Mutter, 
des strahlenden Zielpunktes der nationalen Epopöe 
Italiens, des Denkmals der Größe und des Ruhmes, 
des Ansporns heiligen Heldentums und größter Kühn- 
heit. Von Rom stammt das Licht, welches durch 
die Jahrhunderte hin die Welt erleuchtet." Ganz 
ähnliche Gedanken zeigten sich in einer Rede, die 
Salandra später hielt und worin er sagte: „Da ich vom 
Kapital aus spreche, so fühle ich mich als einfacher 
Bürger weit vornehmer als das Haupt des Hauses 
Habsburg-Lothringen." Der tosende Beifall, der solchen 
Worten folgte, zeigte am besten, wie sehr diese über- 
spannten Menschen damit ihren Landsleuten aus dem 
Herzen redeten. Das Volk war verblendet von dem 
Glänze, der von der ehemals weltbeherrschenden Stadt 
ausging, die Italiener fühlten sich als die Erben der 
alten Römer, träumten von einem großen Imperium, 
wollten erst die Herren der Adria, dann des Mittel- 
meeres werden. Dabei stand ihnen Österreich-Ungarn 
im Wege — die Gelegenheit, es beiseite zu schieben, 
schien günstig — alter Volkshaß kam dazu — und 
so hatten die Kriegshetzer leichtes Spiel, das Volk 
mit sich fortzureißen. 
Der greise Kaiser Franz Joseph antwortete auf die 
frivole Kriegserklärung mit einem Aufruf an seine 
Völker, wie er würdiger, wahrhafter und kräftiger nicht 
gedacht werden konnte. Er hatte folgenden Wortlaut: 
An meine Völker! 
Der König von Italien hat Mir den Krieg erklärt. 
Em Treubruch, dessen gleichen die Geschichte nicht kennt, 
ist von dem Königreich Italien an seinen beiden Verbündeten 
begangen worden. 
Nach einem Bündnis von mehr als dreißigjähriger Dauer, 
währenddessen es seinen territorialen Besitz mehren und sich 
zu ungeahnter Blüte entfalten konnte, hat uns Italien in der 
Stunde der Gefahr verlassen und ist mit fliegenden Fahnen 
in das Lager unserer Feinde übergegangen. 
Wir haben Italien nicht bedroht, sein Ansehen nicht ge- 
schmälert, seine Ehre und seine Interessen nicht angetastet, wir 
haben unseren Vündnispflichten stets getreu entsprochen und 
ihm unseren Schirm gewährt, als es ins Feld zog, wir haben 
mehr getan: Als Italien seine begehrlichen Blicke über unsere 
Grenzen sandte, waren wir, um das Bündnisverhältnis und 
den Frieden zu erhalten, zu großen und schmerzlichen Opfern 
entschlossen, zu Opfern, die Unserem väterlichen Herzen be- 
sonders nahegingen. 
Aber Italiens Begehrlichkeit, das den Moment nützen zu 
sollen glaubte, war nicht zu stillen, und so muß sich das Schicksal 
vollziehen. 
Dem mächtigen Feinde im Norden haben in zehnmonat- 
lichem gigantischem Ringen und in treuester Waffenbrüder- 
schaft mit dem Heere Meines erlauchten Verbündeten Meine 
Armeen siegreich standgehalten. 
Der neue heimtückische Feind im Süden ist ihnen kein 
neuer Gegner. 
Die großen Erinnerungen an Navara, Mortara, Custozza 
und Lissa, die den Stolz meiner Jugend bilden, und der Geist 
Nadetzkys, Erzherzog Albrechts und Tegethoffs, der in Meiner 
Land- und Seemacht fortlebt, bürgen Mir dafür, daß wir auch 
gegen Süden hin die Grenzen der Monarchie erfolgreich ver- 
teidigen werden. 
Ich grüße meine kampfbewährten, siegerprobten Truppen. 
Ich vertraue auf sie und ihre Führer. 
Ich vertraue auf Meine Völker, deren beispiellosem Opfer- 
mute Mein innigster väterlicher Dank gebührt. 
Den Allmächtigen bitte Ich, daß er unsere Fahnen segne 
uud unsere gerechte Sacke in seine gnädige Obhut nehme. 
Franz Joseph m. p. 
Stürgkh m. p. 
In der ganzen Monarchie fanden diese Worte 
begeisterten Widerhall. Die Empörung über den 
schnöden Verrat des bisherigen Bundesgenossen 
flammte in allen Völkern Österreich-Ungarns hoch 
empor, nirgends mächtiger als in Tirol, das sich un- 
mittelbar bedroht sah. Eine ungeheure Menge von 
Freiwilligen meldete sich dort zur Fahne, darunter 
viele tausend Männer von über 50 Jahren. Die 
alten Schützen brannten darauf, ihre nie fehlenden 
Stutzen statt auf harmlose Eemsböcke auf die zu 
richten, die nach Vrigantenweise ihr schönes Land 
überfallen und dem geliebten Kaiserstaat entreißen 
wollten. Welschtirol machte keine Ausnahme, und 
selbst im Trentino war der weitaus größte Teil der 
Bevölkerung gegen den Krieg. Die unerlösten Jta- 
liener wollten gar nicht erlöst werden. Sie befanden 
sich im österreichisch-ungarischen Staatsverbande wirt- 
schaftlich viel besser, als sie sich als Glieder des ita- 
lienischen Staates jemals befinden konnten. 
Was das deutsche Volk bei dem Treubruch Jta- 
liens empfand, und wie es über die unerhörte 
Schurkerei dachte, das sprach der Reichskanzler von 
Vethmann-Hollweg am 28. Mai im Reichstage aus, 
in einer wahrhaft gewaltigen Rede, deren erster Teil, 
der zugleich die eigentlichen Kriegsgründe Italiens 
grell beleuchtet, hier folgen mag: 
Meine Herren! Als ich vor acht Tftgen zu Ihnen sprach, 
bestand noch ein Schimmer von Hoffnung, daß das Losschlagen 
Italiens verhütet werden könnte. Die Hoffnung hat getrogen. 
Das deutsche Empfinden sträubte sich, an die Möglichkeit einer 
solchen Wendung zu glauben. Jetzt hat die italienische Regi- 
rung selbst ihren Treubruch mit blutigen Lettern unvergäng- 
lich in das Buch der Weltgeschichte eingeschrieben. (Bewegung 
und sehr richtig!) Ich glaube, es war Macchiavelli, der ein- 
mal gesagt hat: „jeder Krieg, der notwendig sei, sei auch ge- 
recht". War von diesem nüchternen realpolitischen Standpunkt 
aus, der von allen moralischen Reflexionen absieht, war auch 
nur so gesehen dieser Krieg notwendig? Ist er nicht vielmehr 
geradezu sinnlos? (Erneutes lebhaftes Sehr richtig!) Niemand 
bedroht Italien, weder Österreich-Ungarn noch Deutschland. 
Ob die Tripleentente es bei Lockungen hat bewenden lassen 
(Sehr gut! und Hört, hört!), das wird ja die Geschichte zeigen. 
(Lebhafte Zustimmung.) Ohne einen Tropfen Blut, ohne das 
Leben eines einzigen Italieners zu gefährden, konnte Italien 
die lange Liste der Konzessionen haben, die ich Ihnen neulich 
verlesen habe: Land in Tirol, am Isonzo, soweit die italie- 
nische Zunge klingt, Befriedigung der nationalen Wünsche in 
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