Volltext: Der Weltbrand Band 1 (1; 1915)

Preis behaupten, um der Masse seiner Armee die Durchführung 
des Rückzugs auf Suwalki und Augustow zu ermöglichen. 
Der Feind, der hier seine besten — sibirische — Truppen 
entfaltet hatte, die unter einer energischen Führung mit an- 
erkennenswerter Energie fochten, fühlte sich so stark, daß er an 
einzelnen Stellen aus den Engen der masurischen Seen zum 
Angriffe vorgegangen war und befestigte Stellungen bezogen 
hatte, die mehrere Kilometer über den Lycker See in Westlicher 
Richtung vorgeschoben waren. Die deutschen Truppen hatten 
diese Stellungen am 12. Februar genommen; der Feind war 
auf die Seen-Engen zurückgegangen. Er hielt nunmehr einer- 
seits das Gelände, das sich zwischen dem Laszmiadensee und 
dem Dorfe Wosziellen erstreckt, und andererseits die Engen 
zwischen Wosziellen und dem Lycker See. 
Für die deutsche Führung kam es darauf an, den Zugang 
zur Stadt Lyck von Norden her zu öffnen. Die Besitznahme 
des Dorfes Wosziellen mußte dabei von ausschlaggebender 
Bedeutung sein. Die zu diesem Angriff ausersehene Truppe 
bestand aus Landwehr und dem Füsilierregiment Nr. 33, 
während die Truppen der Generale von Falck und von Buttlar 
die Engen selbst angriffen. Diese Kämpfe um Lyck spielten 
sich vor den Augen des Allerhöchsten Kriegsherrn ab. Seine 
Majestät der Kaiser war am 13. Februar in Lötzen eingetroffen, 
um zunächst jene Stellungen zu besichtigen, die seine Truppen 
— vorwiegend Landsturm und Landwehr — in ununter- 
brochenen drei Monate langen Kämpfen erfolgreich verteidigt 
hatten. Am Nachmittag traf Seine Majestät dann auf der 
Höhe westlich des Dorfes Grabnik ein, an dessen Ostausgang 
die deutschen Geschütze donnerten, während die Infanterie bei 
lebhaftem Gewehr- und Maschinengewehrfeuer in fortschrei- 
tenden Angriffen gegen Wosziellen lag. Mit gespannter Auf- 
merksamkeit verfolgte der Allerhöchste Kriegsherr, an dessen 
Aufstellungsorte die Kaiserstandarte gehißt war, die einzelnen 
Phasen des Kampfes bis zur einbrechenden Dunkelheit. Leichter 
Regen rieselte vom Himmel — die strenge Kälte der letzten 
Tage hatte sich in Tauwetter verwandelt —, als der Feuer- 
tampf allmählich einschlief. Nur um die Enge von Wosziellen 
wurde noch weitergekämpft und diese am Abend vom Füsilier- 
regiment Nr. 33 erstürmt. 
Kurz vor der Abfahrt nach Lötzen, wo der Hofzug des 
Kaisers stand, konnte die Meldung von diesem Erfolge, der 
mit der Gefangennahme von 300 Russen geendet hatte, über- 
bracht werden. Indessen verkündeten die Feuerbrände am 
nächtlichen Himmel, daß die Russen rückgängige Bewegungen 
eingeleitet hatten, bei denen sie bekanntlich die Ortschaften, 
die sie hinter sich lassen, der Flamme übergeben. Am Morgen 
des 14. Februar wurde der Kampf um die See-Engen bei Lyck 
so lange fortgesetzt, bis diese vom Feinde geräumt wurden. 
Seine Majestät hatte schon am Morgen, diesmal östlich Grabnik, 
Aufstellung genommen. Auf Russisch sprach er Gefangene an 
und erkundigte sich nach deren näherer Heimat. Auf die Meldung, 
daß Lyck genommen sei. eilte der Kaiser nach dieser Stadt vor, 
in welche gerade die siegreichen Truppen (hanseatische und 
mecklenburgische Landwehr sowie die 33 er Füsiliere) von Westen 
her einmarschierten. Während diese Truppen an ihrem Kaiser 
vorbeizogen, betraten auch von Süden her deutsche Soldaten 
die befreite Stadt. Es waren die Truppen der Generale von 
Falck und von Buttlar. Die Stadt Lyck war mit durchziehenden 
und sich sammelnden Truppen aller Waffen angefüllt, deutsche 
Soldaten noch im Begriff, die Häuser nach versprengten Russen 
abzusuchen und schwarz-weiß-rote Fahnen zum Zeichen des 
Sieges auszuhängen, als auf dem Marktplatze Seine Majestät 
eintraf, um dessen Person sich die Truppen formierten. Als 
der Kaiser den Kraftwagen verließ, wurde er mit drei 
donnernden Hurras begrüßt. Die Soldaten umringten und 
innjubelten ihn und stimmten dann die Lieder „Heil Dir im 
^>iegerkranz" und „Deutschland, Deutschland über alles" an. 
Es war eine tiefergreifende, welthistorische Szene. Die Größe 
des Augenblicks kam allen zum Bewußtsein, die Truppe schien 
alle ausgehaltenen Strapazen gänzlich vergessen haben. 
Hinter den Reihen der um ihren Kaiser gescharten Sol- 
daten standen Hunderte von russischen Gefangenen mit ihren 
phantastischen, vielgestalteten Kopfbedeckungen und ebenso ver- 
jchiedenen Gesichtszügen, die Völkerstämme ganz Asiens reprä- 
sentierend. Der Kaiser kommandierte nun „Stillgestanden" 
und hielt eine kurze, markige Ansprache an seine lautlos ihn 
umstehenden Soldaten. Hinter dem Kaiser ragte als Ruine 
die ziegelrote, im Ordensstil erbaute Kirche auf, deren mächtiger 
Kirchturm völlig ausgebrannt und deren Dachstuhl zerstört war. 
Die Häuserreihen rechts und links Seiner Majestät waren bis 
auf die Grundmauern niedergebrannt, verkohlende Balken 
ragten gen Himmel. Inmitten dieses Bildes der Zerstörung 
war nur eines erhalten geblieben: das Kriegerdenkmal für 
die Gefallenen des Feldzuges 1870/71, geschmückt mit dem 
Friedensengel und dem Eisernen Kreuz. 
Nachdem der Kaiser seine Ansprache beendet hatte, zog er 
noch verschiedene mit dem Eisernen Kreuz erster Klasse ge- 
schmückte Offiziere ins Gespräch. Dann richtete er anerkennende 
Worte an das Füsilierregiment Nr. 33, ein ostpreußisches Re¬ 
giment, das sich in diesem Kriege ganz besonders ausgezeichnet 
und auch schon große Verluste ertragen hat. Zwischen den 
Häuserreihen der zerschossenen Stadt mit ihren ausgeplünderten 
Läden hindurcheilend, fuhr dann Seine Majestät noch nach 
Sybba weiter, wo er Teile seines pommerischen Grenadier- 
regiments begrüßte, auf welche Ansprache der Kommandeur 
Graf Rantzau dankend erwiderte. Die verfolgenden Truppen 
gelangten an diesem Tage noch über Lyck hinaus. Am 15. Fe- 
bruar war kein Russe mehr auf deutschem Boden. Ostpreußen 
war vom Feinde befreit. 
Die Masurenschlacht rvar eines der größten Er- 
eignisse des bisherigen Krieges und wurde auch über- 
all als solches empfunden. „Es steht schlecht auf dem 
östlichen Kriegsschauplatz", erklärte in England die 
„Daily News", und die „Times" fand nur Trost in 
dem Gedanken, daß Hindenburg mit seinem Kriegs- 
plan sich nicht als selbständiger Kopf, sondern als 
ein Nachahmer Napoleons I. erwiesen habe. Selbst 
Pariser Blätter brachten einen Teil der Wahrheit und 
priesen die großen Fähigkeiten des deutschen Feld- 
Herrn. „Giornale d'Jtalia" nannte die Schlacht schlecht- 
hin „ein Ereignis ohne Beispiel in der Geschichte", 
und ähnlich drückte sich die Presse der anderen neu- 
tralen Länder aus. Selbst der russische Eeneralstab 
hat sich genötigt gesehen, die furchtbare Niederlage 
wenigstens teilweise zuzugeben. Die Wahrheit konnte 
er seinem Volke freilich nicht sagen, denn wie hätte 
Petersburg aufgeschrien, wenn es erfahren hätte, daß 
zwei Armeekorps vernichtet, zwei Armeekorps gefangen 
waren, 300 Geschütze, mehrere hundert Maschinen- 
gewehre, 150 gefüllte Munitionswagen und unermeß- 
liches Kriegsmaterial aller Art in die Hände der Deut- 
schen gefallen waren. Diese Zahlen stellten sich acht 
Tage nach der Schlacht heraus, denn eher war die 
Verfolgung nicht beendet. Die Größe der russischen 
Niederlage war besonders veranschaulicht durch die 
Liste der gefangenen Generale, die von der deutschen 
Heeresleitung veröffentlicht wurde. Vom 20. Armee- 
korps waren gefangen der Kommandierende General, 
der Kommandeur der Artillerie, die Kommandeure 
der 28. und 29. Jnfanterie-Division und der 1. In- 
fanterie-Brigade der 29. Jnfanterie-Division. Vom 
3. Armeekorps kamen in deutsche Gefangenschaft der 
Kommandeur der 27. Jnfanterie-Division und dazu 
noch fünf andere Kommandeure. 
Vor dem Eindrucke der Masurenschlacht verblaßte 
alles, was sonst während des Februar auf dem öst- 
lichen Schauplatze geleistet wurde. Das war an sich 
gar nicht wenig. So wurden bei dem Angriff auf 
Bolimow den Russen 26 Offiziere und 6000 Gefangene 
abgenommen. Am 22. wurde ein russischer Vorstoß 
von Grodno zurückgeschlagen und am 24. die befestigte 
Stadt Prasznysz nach einem schweren Kampfe von 
ojtpreußischen Reservetruppen erstürmt. Dabei wurden 
10000 Gefangene, 20 Geschütze, viele Maschinen- 
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