Das hatte sehr bedeutende Folgen, denn nun be-
gannen die Mohammedaner am Kaukasus sich zu
erheben. Bis zum 10. Dezember waren schon fünfzig-
tausend Bewaffnete zu den Türken übergegangen.
Die Meldung klang gar nicht unglaubhaft, denn es
war ja bekannt, daß die freiheitsstolzen Bergstämme
das russische Joch nur mit knirschendem Grimme er-
trugen. Der Häuptling der persischen Kurden schloß
sich gleichfalls mit seinem ganzen Stamme den
Glaubensgenossen an, und mit Hilfe persischer Stämme
errangen die Türken am 28. Dezember einen Sieg
bei llrmia und einen zweiten bei Miandado, nach-
dem schon vorher kleinere Gefechte am Urmiasee für
sie günstig ausgefallen waren.
Auf den europäischen Krieg wirkte das alles vor
der Hand in keiner Weise ein. Wenn aber die Türken
fortfuhren, in dieser Weise vorzudringen, so konnte
Rußland seine Massen auf den polnischen und gali-
zischen Kampfplätzen nicht in demselben Umfange wie
bisher durch immer neuen Nachschub frischer Mann-
schaften ergänzen. Eine nicht geringe Entlastung für
die beiden kämpfenden Zentralmächte bedeutete also
der Siegeszug der Türken im Kaukasus, und er
wurde deshalb von ihnen mit großer Genugtuung
begrüßt. Der deutsche Kaiser richtete an den Sultan
Mehmed V. am 16. November ein Telegramm, in
dem er ihm seine Freude aussprach, drei Prinzen
der kaiserlichen ottomanischen Familie in seinem
Hauptquartier zu sehen, und in dem er erklärte: „Er
habe volles Vertrauen auf den Erfolg unserer Armeen,
die sich vereinigt haben, um mit gleichem Ziele für
Recht, Freiheit und Gerechtigkeit zu kämpfen." Der
Sultan erwiderte: „Er habe die feste Zuversicht, daß
mit Hilfe des Allmächtigen diesem Siege bald größere
Siege unserer verbündeten Armeen auf drei
Kontinenten und auf allen Meeren folgen würden."
Daraus muß gefolgert werden, daß die beiden Kaiser-
mächte ein förmliches Bündnis mit der Türkei ge-
schlössen hatten, was amtlich noch nicht bekannt ge-
geben worden war.
Eine noch wichtigere Rolle als gegen Rußland
konnte die Türkei gegen England spielen, denn sie
war imstande, eine Lebensader des britischen Welt-
reiches zu bedrohen. Französische Intelligenz und
Geldbeiträge aller Länder, vor allem der ägyptischen
Regierung, hatten einst den Suezkanal geschaffen,
der den Handelsweg zwischen Europa, Indien und
ganz Ostasien um die Hälfte verkürzt, aber durch
Klugheit, Gaunerei und Gewalttat hatte sich England
in seinen Alleinbesitz zu setzen versucht und das Land,
das er durchzog, in seine Gewalt gebracht. Die Eng-
länder hatten erkannt, daß für ihren Welthandel und
ihre Weltstellung dieser Punkt so wichtig oder noch
wichtiger war als Gibraltar, und deshalb waren sie
fest entschlossen, unter allen Umständen die Herrschaft
darüber aufrecht zu erhalten. Sie ließen dem Khe-
diven eine Scheinherrschaft, in Wahrheit war Ägypten
eine englische Provinz, und die Briten herrschten dort
mit derselben Brutalität wie in Indien. Nun hatte
sich der derzeitige Khedive schon vor dem Kriege nach
Konstantinopel begeben und war durch nichts zurück-
zulocken, weder durch Drohungen, noch durch Ver-
sprechungen. Kaum hatte der Sultan die Gläubigen
zum Kampfe aufgerufen, so erklärte er von seinem
sicheren Zufluchtsorte aus, auch Ägypten befinde sich
im Kriegszustande mit England. Sofort eröffnete
England den Mächten, es habe Ägypten dem briti-
schen Weltreiche einverleibt. Souverän des Landes
sei nicht mehr der Sultan, sondern König Georg V.
Ein ägyptischer Prinz Hussein-Kiamil wurde zum
Khedive ernannt, durch ihn wollte England das
ägyptische Volk im Zaume halten, aber das Volk
kümmerte sich nicht um ihn, und nach einiger Zeit
erschien ein Fetwa des Scheich ül Islam, in dem er
als Glaubensverräter gebrandmarkt und geächtet
wurde. Nur mit eiserner Strenge konnte der englische
General MaXwell die Empörung der Massen nieder-
halten. Einkerkerungen und Hinrichtungen jagten
einander.
Es war klar: rückte ein türkisches Heer in Ägypten
ein, so fiel ihm alles Volk zu.
Diese Gefahr lag sehr nahe und verursachte den
Engländern schwere Sorgen. Zwar die ersten Ein-
fälle schwacher türkischer Heereshausen am 4. No-
vember hatten wenig zu besagen, aber es war doch
bedenklich, daß sich ihnen dreitausend Beduinen an-
geschlossen hatten. Die Stämme des Wüstengebietes
wandten sich gegen England. Am 5. November ver¬
trieben sie englische Truppen aus Beir Saba auf der
Sinaihalbinsel.
Am 7. November kam die Kunde, daß der Scheich
der Senussi seine Streiter nach Ägypten senden
werde, damit sie dort gegen die Ungläubigen
kämpften. Eigentlich hätte dem kriegerischen Stamme
nähergelegen, die Fahne des Propheten über Tri-
polis zu entfalten, aber der Kalif hatte befohlen,
von einem Kampfe gegen die Italiener abzusehen.
Uberall gingen die türkischen Truppen in Ägypten
mit der größten Kühnheit vor, brachten den Eng-
ländern verschiedene Schlappen bei und erreichten am
22. November sogar den Kanal. Aber sie waren
noch nicht im Stande, den Engländern die Wasser-
straße zu entreißen. Das war erst dann möglich,
wenn ein großes türkisches Heer in Ägypten erschien,
und es mußte noch Monate dauern, bis das mög-
lich war. Soviel war aber schon jetzt zu sagen, daß
die türkischen Truppen an Angriffslust uud Tapfer-
keit die englischen, die in Ägypten standen, weit über-
trafen. Old England kam darob in große Besorgnis.
Da es Inder nicht herbeiziehen konnte, weil ihnen
nicht zu trauen war, so kam es auf den Einfall,
portugiesische Truppen dort kämpfen zu lassen. Die
Republik Portugal befand sich ja vollständig in eng-
lischer Schuldknechtschaft, und darum hatte die Lon-
doner Regierung schon lange darauf hingedrängt,
daß die Portugiesen in Belgien oder Frankreich ihr
Blut für das englische Gold verspritzen sollten, aber
ein großer Teil des Volkes und der Armee war da¬
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