Volltext: Der Weltbrand Band 1 (1; 1915)

Die an der Pilica und Radomka stehenden deutschen Kräfte 
waren ernstlich gefährdet. Von Iwangorod her entwickelte 
der Feind in Richtung auf die Lysa Gora immer stärkere 
Kräfte. Bei Przemysl und am San stand der Kampf. Unter 
diesen Umständen mußte das verbündete Heer den schweren, 
aber der Lage nach gebotenen Entschluß fassen, die ganze Ope- 
ration an der Weichsel und am San, die bei der fast drei- 
fachen Überlegenheit des Feindes keine Aussicht auf einen 
entscheidenden Erfolg mehr bot, abzubrechen; es galt, sich 
zunächst die Freiheit des Handelns wieder zu sichern und 
demnächst eine völlig neue Operation einzuleiten. Die ge- 
samten zwischen Przemysl—Warschau stehenden Kräfte wurden 
vom Feinde losgelöst und bis Ende Oktober in Richtung auf 
die Karpathen und in die Linie Krakau—Czenstochau—Sie- 
rads zurückgenommen, nachdem zuvor sämtliche Bahnanlagen, 
Straßen- und Telegraphenverbindungen nachhaltigst zerstört 
worden waren. Dieses Zerstörungswerk wurde so gründlich 
ausgeführt, daß die feindlichen Massen nur sehr langsam zu 
folgen vermochten und sich die ganze Bewegung der Ver- 
bündeten, nachdem einmal die Loslösung gelungen war, plan- 
mäßig vollziehen konnte. 
Die Russen drangen nur mit Teilen in Galizien ein, ihre 
Hauptkräfte folgten im Weichselbogen in südwestlicher und 
südlicher Richtung, schwächere Kräfte rückten von Narew beider- 
seits der Weichsel in westlicher Richtung auf Thorn vor. 
Das Ziel der weiteren Operation der Verbündeten mußte 
es sein, die Kraft der großen Offensive der russischen Massen 
unter allen Umständen zu brechen. Dies konnte trotz der 
großen zahlenmäßigen Überlegenheit des Feindes nur durch 
den Angriff erreicht werden; eine starre Verteidigung konnte 
nur Zeitgewinn bringen, mußte aber von den gewaltigen feind- 
lichen Massen über kurz oder lang erdrückt werden. Der Ope- 
rationsplan der Verbündeten war folgender: Die Entscheidung 
sollte in Polen und Galizien durch Angriff gegen die im 
Weichselbogen und östlich Krakau vorrückenden russischen Haupt- 
kräfte gesucht werden, während auf den Flügeln in Ostgalizien 
und Ostpreußen die Verbündeten sich gegen die gegenüber- 
stehenden erheblichen feindlichen Kräfte defensiv verhalten 
sollten. Für die Entscheidung in Polen galt es, alle an an- 
derer Stelle irgend entbehrlichen Kräfte zusammenzufassen. 
Das äußerst langsame Folgen der Russen gab die Zeit zu der 
notwendigen neuen Versammlung der Kräfte. In Galizien 
standen starke Kräfte der österreichisch-ungarischen Armee. 
In Südpolen wurde in der Gegend von Krakau und der 
oberschlesischen Grenze eine starke, aus österreichisch-ungarischen 
und deutschen Truppen bestehende Gruppe gebildet; eine zweite 
starke, nur aus deutschen Truppen gebildete Gruppe unter 
Befehl des Generals V.Mackensen wurde teils durch Fußmarsch, 
teils durch Bahntransport an der Grenze zwischen Wreschen 
und Thorn versammelt. Ihre Aufgabe war es, die unmittel- 
bar südlich der Weichsel zwischen dieser und dem Ner-Warthe- 
Abschnitt vordringenden schwächeren russischen Kräfte zu schla- 
gen, um dann von Norden her gegen die rechte Flanke der 
russischen Hauptkräfte vorzugehen, deren Fesselung Aufgabe 
der südlichen Gruppe war. Eine schwächere Gruppe war zum 
Schutze Westpreußens nördlich der Weichsel in der Gegend 
Strasburg-Soldau versammelt. 
Gegen Mitte November waren die an der ostpreußischen 
Grenze, im Weichselbogen und in Galizien versammelten rus- 
sischen Streitkräfte etwa folgendermaßen verteilt: 
8. und 9. Armeekorps — die 10. Armee — standen an der ost- 
preußischen Grenze zwischen Schierwindt und Biala, schwächere 
Kräfte, 3. und 4. Armeekorps, mit einigen Kavalleriedivisionen, 
rückten zwischen der ostpreußischen Südgrenze und der Weichsel 
gegen Mlawa und Thorn vor, südlich der Weichsel standen, 
gegen Thorn beobachtend, zwischen Wloclawek und Dombie 
2. und 3. Armeekorps; diese beiderseits der Weichsel vorgegan- 
genen Kräfte gehörten zur ersten russischen Armee. Anschließend 
an diese hatten die russischen Hauptkräfte, und zwar die 2., 
5., 4. und 9. Armee — etwa 25 Armeekorps — mit zahlreichen 
Kavalleriedivisionen die Linie Uniewo—Zdunska—Wola— 
Nowo-Radomsk-Gegend nördlich Krakau erreicht und begannen 
mit den nördlichen beiden Armeen nach einem längeren Halt 
an der Warthe diesen Abschnitt zu überschreiten. Südlich der 
Weichsel in Galizien gingen die übrigen russischen Armeen vor. 
Sämtliche im Innern noch verfügbaren Kräfte, vor allem die 
sibirischen und kaukasischen Korps, waren herangezogen, so daß 
die Gesamtstärke der zu der großen Offensive gegen Deutsch- 
land und österreichisch Schlesien bestimmten russischen Streit- 
kräfte auf annähernd 45 Armeekorps mit zahlreichen Reserve- 
divisionen geschätzt werden kann. 
Mitte November begannen die Russen auf der ganzen 
Linie ihre groß angelegte Offensive; Angriffe gegen die ost- 
preußische Grenze, insbesondere bei Stallupönen, Eydtkuhnen 
und Soldau, wurden indes nach sehr heftigen Kämpfen ab- 
gewiesen. Der russischen Offensive in Polen kam der etwa 
gleichzeitig einsetzende Angriff der Deutschen zuvor. Am 13. 
und 14. November wurde ein russisches Armeekorps bei Wlo- 
clawec geschlagen und ihm zahlreiche Gefangene abgenommen. 
Zwei weitere zu Hilfe eilende Korps erlitten am 15. bei Kutno 
eine entscheidende Niederlage. 28000 Gefangene wurden ge- 
macht und zahlreiche Geschütze und Maschinengewehre erbeutet. 
Während schwächere deutsche Kräfte unter General v. Morgen 
die Verfolgung dieser in östlicher Richtung ausweichenden 
Kräfte übernahm, schwenkte die Masse der Armee Mackensen 
nach Süden ein und ging beiderseits Lenczyoa über den Ner- 
Abschnitt vor, nachdem es zuvor gelungen war. ein bei Dombie 
stehendes russisches Korps zu schlagen. Infolge dieser Be- 
drohung ihrer rechten Flanke waren die Russen gezwungen, 
ihren rechten Flügel (die 2. Armee) in die Linie Strykow— 
Kasimierz—Zdunska—Wola, Front nach Nordwesten, zurück- 
zuschwenken; in diese Linie wurde nach und nach auch noch 
die Masse der von Süden herangeholten 5. Armee gezogen, 
so daß nunmehr in der Mitte der russischen Linie eine erheb- 
liche Lücke zwischen der 5. und 4. Armee entstand. 
Den über den Ner-Abschnitt in der allgemeinen Richtung 
Lodz unaufhaltsam vordringenden Deutschen gelang es, schon 
am 17. November den wichtigen Straßenknotenpunkt Zgierdz 
zu nehmen; am 18. wurde hex feindliche rechte Flügel von 
Strykow bis gegen die Straße Brzeziny—Lodz zurückgeworfen. 
Die um Lodz auf engem Räume vereinigte 2. und 5. russische 
Armee wurde in den nächsten Tagen von dem zunächst über 
Brzeziny in südlicher Richtung, dann über Tuszyn in süd¬ 
westlicher Richtung vordringenden linken deutschen Flügel zu- 
erst von Osten, dann auch von Südosten eingeschlossen, wäh- 
rend schwächere von Posen und Breslau herangezogene Teile 
und Kavallerie den Feind von Westen und Südwesten um¬ 
faßten. Fast schien es jetzt, als ob die Verbündeten das Ziel 
ihrer ursprünglich nur auf die Abwehr der feindlichen 
Offensive gerichteten Operationen trotz der großen Uberlegen- 
heit des Gegners höher stecken könnten, als ob die Vernich- 
tung des Feindes erreicht werden könne, — da trat uner- 
wartet ein Rückschlag ein; — es gelang den Russen, den um- 
klammerten Armeen im letzten Augenblick von Osten und Süden 
Hilfe zuzuführen. Teile der an der ostpreußischen Grenze be- 
findlichen russischen Kräfte sowie die nördlich der Weichsel 
zurückgehenden Korps der russischen 1. Armee waren teils 
durch Fußmarsch, teils durch Bahntransport über Warschau— 
Skierniewice in der Gegend westlich Skierniewice vereinigt. 
Diese Kräfte gingen jetzt im Verein mit stärkeren von Süden 
anrückenden Truppen (anscheinend Teile vom rechten Flügel 
der 4. Armee) gegen den Rücken der mit der Front nach Westen 
und Nordwesten im Kampfe stehenden deutschen Truppen vor, 
drohend, diese ihrerseits zu umklammern, nachdem sie die nach 
Osten und Südosten entsandten deutschen Sicherungstruppen 
zurückgeworfen hatten. Die Lage der Deutschen war ernst; 
von den in Richtung Lowicz vorgedrungenen Truppen des 
Generals v. Morgen war Hilfe nicht zu erwarten, da diese 
nach mehreren glücklichen Kämpfen westlich Lowicz auf stark 
überlegenen Feind gestoßen waren. Das Schicksal der von 
mehrfacher Überlegenheit umzingelten deutschen Truppen öst- 
lich Lodz ließ Ernstes befürchten. Allein die tapfere kleine 
deutsche Schar gab ihre Sache keineswegs verloren; eine kühne, 
in der Kriegsgeschichte bisher einzig dastehende Tat sollte 
sie retten; sie sprengte den eisernen Ring. In der Nacht vom 
24. zum 25. November schlugen sich die Truppen in der Rich- 
tung auf Brzeciny durch, wobei es ihnen gelang, den sie hier 
einschließenden Feind gefangen zu nehmen. Uber 12000 Ge- 
fangene und zahlreiche Geschütze und Maschinengewehre fielen 
ihnen in die Hände. Die eigenen Verluste waren Verhältnis- 
mäßig gering; fast sämtliche Verwundete konnten mitgeführt 
werden. Durch diese Heldentat, deren Gelingen neben der 
unvergleichlichen Tapferkeit der Truppen das bleibende Ver- 
dienst einer entschlossenen und tatkräftigen Führung ist, wurde 
die scheinbar verlorene Lage zu einer für die deutschen Waffen 
siegreichen. Es gelang den umklammert gewesenen Truppen, 
bis zum 26. November zwischen Lowicz und Lodz den An- 
schluß an den linken Flügel der Lodz von Norden umschließen- 
den Truppen des Generals v. Mackensen wiederzugewinnen. 
Die deutsche Front erstreckte sich jetzt von Szadek über 
Kazimierz — nördlich Lodz — Glowno bis in die Gegend 
nordwestlich Lowicz. Gegen diese Front richtete sich nunmehr 
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