Ja, eine Zeitlang glaubte man, es sei in den
Schützengräben von unbekannten Soldaten gedichtet
worden. Es wurde von allen Zeitungen nachgedruckt,
in Volksversammlungen voller Begeisterung vorge-
tragen, mehrfach vertont und muß deshalb als ein
wichtiges Dokument der Zeit betrachtet werden.
Auch den Führern des Volkes waren die Gefühle
nicht fremd, die jenes Lied aussprach. Der Kaiser
ließ Lissauers Haßgesang in der Armee verbreiten
und sprach den Wunsch aus, die Engländer möchten
im Felde einmal mit den Bayern zusammentreffen.
Was er damit sagen wollte, verstand in Deutschland
jedermann. Als dann der kaiserliche Wunsch in Er-
füllung ging, erließ der kernige Kronprinz Rupprecht
von Bayern am 27. Oktober folgenden Armeebefehl
an seine Truppen:
„Soldaten der XI. Armee!
Wir haben nun das Glück, auch die Engländer vor unserer
Front zu haben, die Truppen jenes Volkes, dessen Neid seit
Jahren an der Arbeit rvar, uns mit einem Ring von Feinden
zu umgeben, um uns zu erdrosseln. Ihm haben wir diesen
blutigen, ungeheuren Krieg vor allem zu verdanken. Darum,
wenn es jetzt gegen diesen Feind geht, übt Vergeltung wider
die feindliche Hinterlist, für so viele schwere Opfer, zeigt ihnen,
daß die Deutschen nicht so leicht aus der Weltgeschichte zu
streichen sind, zeigt ihnen das durch deutsche Hiebe von ganz
besonderer Art. Hier ist der Gegner, der der Widerherstel-
lung des Friedens am meisten im Wege steht. Drauf!
Rupprecht!"
Auch das war deutlich und verständlich fürjeden, der es
nur einigermaßen verstand, zwischen den Zeilen zu lesen.
In den letzten Oktobertagen befanden sich die
deutschen Truppen auf dem flandrischen Kriegsschau-
platze, in den Argonnen und bei Lille in einer er-
folgreichen Angriffsbewegung. An anderen Stellen
der ungeheueren Kampflinie beschränkten sie sich dar-
auf, ihre Stellungen gegen feindliche Vorstöße zu
verteidigen. Am 28. beteiligten sich wieder englische
Kriegsschiffe, 16 an der Zahl, am Kampfe. Aber die
Deutschen drangen trotzdem immer weiter vor, nahmen
am 30. ein paar hundert Engländer gefangen, erstürm-
ten am letzten Oktobertage Ramscappelle und Biae-
schoote, Zanvoorde, Schloß Hollebeke und Wambeek.
Bei Lille wurden am 29. mehrere befestigte Stel-
hingen des Feindes mit 4 Geschützen erobert, 16 eng-
lische Offiziere und 300 Mann gefangengenommen.
Angriffe wurden abgewiesen bei Arras (26.), bei
Verdun (28., 29. und 31.), wo der Gegenangriff dazu
führte, daß die deutschen Truppen bis in die feind-
liche Hauptstellung vorstießen und sie nahmen, ebenso
bei Toul (31.). An demselben Tage erstürmten die
Deutschen Vailly, machten 1500 Gefangene und er-
beuteten 2 Maschinengewehre. Bei allen diesen
Kämpfen hoben die Berichte der deutschen Obersten
Heeresleitung die schweren Verluste hervor, die Fran-
zosen und Engländer erlitten hatten.
Anfang November zerstörten die Belgier die
Schleusen des Wer-Dper-Kanals und setzten so die
Gegend südlich von Nieuport unter Wasser. Sie taten
damit dasselbe, was ihre Väter in den Zeiten der
niederländtsch-spanischen Kämpfe getan hatten, und
für den Augenblick ward ihnen das entfesselte Element
ein wertvoller Bundesgenosse. Denn am 3. November
mußte das deutsche Hauptquartier melden:
„Die Überschwemmungen südlich Nieuport schließen jede
Operation in dieser Gegend aus. Die Lcindereien sind für
lange Zeit vernichtet. Das Wasser steht zum Teil über
mannshoch. Unsere Truppen sind aus dem überschwemmten
Gebiet ohne Verlust an Mann, Pferden, Geschützen und Fahr-
zeugen herausgezogen."
Verschiedene Militärschriftsteller haben die Vermu-
tung ausgesprochen, die Überschwemmung sei auf
Rat oder vielmehr auf Befehl der Engländer erfolgt,
und das hat in der Tat viel Wahrscheinlichkeit für
sich. Das ganze furchtbare, blutige Ringen um das
letzte Stück belgischer Erde geschah nur im Interesse
Englands, das hier den Zugang zu Dünkirchen und
Calais verteidigte. Den Belgiern selbst konnte nichts
daran liegen, die letzten 40 oder 50 Quadratkilometer
ihres Bodens, die sich noch nicht in deutschem Besitz
befanden, mit dem Blute Tausender zu überströmen
und dazu noch das fruchtbare Land auf Jahre hinaus
zu verwüsten. Übrigens stellte es sich sehr bald heraus,
daß die Überschwemmung den kriegerischen Unter-
nehmungen der Verbündeten ebenso hinderlich oder
noch hinderlicher war als denen des Feindes.
Die Berichte über die Vorgänge der nächsten Tage
lauteten also:
3. November:
„Unsere Angriffe auf Dpres schreiten vorwärts. Uber
2300 Mann, meist Engländer, wurden zu Gefangenen gemacht
und mehrere Maschinengewehre erbeutet. In der Gegend
westlich Roye fanden erbitterte, für beide Seiten verlustreiche
Kämpfe statt, die aber keine Veränderung der dortigen Lage
brachten. Wir verloren dabei in einem Dorfgefecht einige
hundert Mann als Vermißte und zwei Geschütze.
Von gutem Erfolg waren unsere Angriffe an der Aisne
östlich Soissons. Unsere Truppen nahmen trotz heftigen
Widerstandes mehrere stark befestigte Stellungen im Sturm,
setzten sich in Besitz von Chavonnes und Soupier, machten
über 1000 Franzosen zu Gefangenen und eroberten drei Ge-
schütze und vier Maschinengewehre.
Neben der Kathedrale von Soissons brachten die Fran-
zosen eine schwere Batterie in Stellung, deren Beobachter auf
dem Kathedraleturm erkannt wurde. Die Folgen eines solchen
Verfahrens, in dem ein System erblickt werden muß, liegen
auf der Hand.
Zwischen Verdun und Toul wurden verschiedene Angriffe
der Franzosen abgewiesen. Die Franzosen trugen teilweise
deutsche Mäntel und Helme. In den Vogesen in der Gegend
von Markirch wurde ein Angriff der Franzosen abgeschlagen.
Unsere Truppen gingen hier zum Gegenangriff über."
4. November:
„Unsere Angriffe auf Upern nördlich Arras und östlich Sois-
sons schreiten langsam, aber erfolgreich fort. Südlich Verdun
und in den Vogesen wurden französische Angriffe abgewiesen."
5. November:
„Gestern unternahmen Belgier, unterstützt von Engländern
und Franzosen, einen heftigen Ausfall über Nieuport zwischen
dem Meere und dem Überschwemmungsgebiet. Sie wurden
mühelos abgewiesen. Bei Vpern und südwestlich Lille sowie
Berry-au-Bac in den Argonnen und in den Vogesen schreiten
unsere Angriffe vorwärts."
6. November:
„Unsere Offensive nordwestlich und südwestlich Upres machte
gute Fortschritte. Auch bei La Basse nördlich Arras und in
den Argonnen wurde Boden gewonnen. Unter schweren Ver-
lüften für die Franzosen eroberten unsere Truppen einen
Stützpunkt in Bois Brule südwestlich von St. Mihiel."
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