Volltext: Der Weltbrand Band 1 (1; 1915)

nicht von ihm aus. Mit großer Schlauheit haben 
vielmehr die französischen und russischen Diplomaten 
den Minister Grey in ihre Netze gelockt. Sie kann- 
ten seinen Deutschenhaß und seine Deutschenfurcht, 
und an diesen beiden Hörnern zogen sie ihn, wo- 
hin sie wollten. Es hat wohl nie eine schwierigere 
Aufgabe gegeben als die, einen englischen Minister 
zum Vorspänner Rußlands zu machen. Denn die 
Interessen der beiden Niesenmächte sind einander 
überall entgegengesetzt. Die Herren Jswolsky und 
Delcasse haben das Kunststück fertiggebracht, aller- 
dings nur deshalb, weil noch nie ein so unfähiger 
Mensch einen englischen Ministersessel innegehabt hat 
wie Sir Edward Grey, und weil dieser Mann es 
wußte: die Furcht vor Deutschlands wachsender 
Macht und der Neid auf seine immer steigenden 
wirtschaftlichen Erfolge ist im englischen Volke so 
groß, daß ihm jede Politik recht ist, die dem Neben- 
buhler auf dem Weltmarkte Abbruch tut, ihn mit 
Gottes Hilfe vielleicht sogar vernichtet. 
Die Ereignisse im Wes 
ach der Eroberung Antwerpens folgten die Sieger 
dem fliehenden Belgierheere mit großer Schnellig- 
keit nach, besetzten am 13. Oktober Gent, am 14. Brügge 
und langten am 15. in Ostende an. Ohne Kampf 
räumten die englischen Hilfstruppen der Belgier die 
Stadt. Aber als sich nun die deutsche Heeresmacht 
auf Dünkirchen in Bewegung setzte, stieß sie bei Nieu- 
port auf feindliche Kräfte und wurde am Iserkanal 
in ihrem Vordringen aufgehalten. Der deutsche Vor- 
inarsch kam zum Stehen, so wie er in Frankreich längst 
zum Stehen gekommen war. Auch hier in Flandern 
wurde der Krieg zu einem Befestigungskampfe. Die 
Heere lagen in tiefen und kunstvoll ausgebauten 
Schützengräben einander gegenüber und suchten sich in 
immer erneutem Ringen aus ihren Stellungen heraus- 
zudräugen. Dabei suchte und fand Beselers Armee den 
Zusammenschluß mit dem rechten Flügel des deutschen 
Hauptheeres in Frankreich. Vom Kanal bis Beifort 
standen nun Franzosen, Engländer und Belgier in Ver¬ 
teidigungsstellung, die Deutschen ihnen gegenüber in der 
Linie Nieuport-Upern-Lille-Noyon-Reims-Verdun- 
Belfort. Es war eine Kampffront von rund 700 Kilo- 
metern, auf der mehrere Millionen Menschen in fast 
täglichen Gefechten einmal hier, einmal da miteinander 
kämpften und Vorstöße unternahmen, um die feind- 
lichen Linien zu durchbrechen. Aber keiner der beiden 
Parteien gelang ein Durchbruch. Die Deutschen hatten 
fast immer die Oberhand, sie drangen beständig vor, 
und selten einmal wurde ihnen ein Stück des Kampf- 
geländes durch den feindlichen Gegenangriff wieder 
entrissen. Aber weder im Argonnerwalde noch bei 
Verdun noch am Userkanal, wo am heftigsten ge- 
kämpft wurde, waren sie imstande, eine Entscheidung 
herbeizuführen. Wahrhaftig bewundernswert war 
die Zähigkeit, mit der die Franzosen sich verteidigten. 
Sie wollte um so mehr besagen, als sie dem franzö- 
fischen Volkscharakter gar nicht eigen ist. Auch die 
Reste des belgischen Heeres schlugen sich mit der ehren- 
wertesten Tapferkeit, und sogar der König der Belgier, 
der sich bisher reichlich weit hinter der Front bewegt 
hatte, zeigte jetzt persönlichen Mut und nahm 
teil an den Kämpfen und Leiden seiner Truppen. 
Was endlich England betrifft, so waren seiner Re- 
gierung durch Antwerpens Fall die Augen geöffnet 
x bis Ende November. 
worden über die große Gefahr, in die sie sich und ihr 
Land gestürzt hatte. Sie sührte deshalb jetzt den Krieg 
mit allem Ernste und warf so viele Truppen nach 
dem Festlande herüber, wie sie auftreiben konnte. 
Dem vom Burenkriege her bekannten General French 
wurde der Oberbefehl über das britische Feldheer 
übertragen, an die Spitze der Landesverteidigung war 
Lord Kitchener gestellt worden, der fähigste und tat- 
kräftigste, aber auch brutalste Offizier, den England 
zur Zeit besaß. Der Lord hatte längst erkannt, daß 
die Landstreitkräfte seines Vaterlandes ganz unzu- 
reichend waren und war deshalb schon seit Jahren 
für die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht ein- 
getreten. Aber er hatte dabei im Volke keine Gegen- 
liebe gefunden, denn der Durchschnittsengländer ist 
Krämer, nicht Krieger. Ihre Haut mögen andere für 
ihn zu Markte tragen, die er mit seinem guten Gelde 
besoldet. Sie mögen sich auch von den militärischen 
Vorgesetzten schurigeln und drillen lassen, was zu er- 
tragen eines „honorablen" Mannes unwürdig ist. Auch 
jetzt traf Kitchener auf den lebhaftesten Widerstand 
von allen Seiten, als er seinen Plan wieder vorbrachte. 
Volksversammlungen wurden dagegen abgehalten, und 
einer der Arbeiterführer erklärte geradezu: Führe 
man die allgemeine Wehrpflicht ein, so werde ein 
großer Teil der Arbeiterjugend nach Nordamerika aus- 
wandern. Man könne sie deswegen nicht einmal tadeln, 
denn dann sei Nordamerika eben noch das einzige Land, 
wo die Freiheit herrsche. Auch in den Zeitungen ent- 
stand ein großer Lärm, und so konnte es die Re- 
gierung, die mit dem Oberbefehlshaber übereinstimmte, 
nicht wagen, dem Parlamente ein Gesetz über die Ein- 
führung der allgemeinen Wehrpflicht vorzutragen. 
Leider wurde also der Welt das Schauspiel versagt, 
daß dieselbe Regierung, die dem „Militarismus" den 
Tod geschworen hatte, im eigenen Lande ihm die 
Türen öffnete. An ihr lag das nicht, aber das Volk 
war nicht dafür zu haben. Sie blieb auf die An- 
Werbung von Söldnern angewiesen. Aber trotzdem 
sie Kinos und Theater dazu benutzte und alle Mauern 
und Straßenecken mit Plakaten bekleben ließ, um Old- 
Englands Jugend zum Dienste im Heere des Königs 
einzuladen, so blieb doch die Zahl derer, die sich zum 
Dienste meldeten, weit hinter dem Bedarfe zurück. 
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