Volltext: Der Weltbrand Band 1 (1; 1915)

Die russischen Interessen in der Ostsee verlangen, daß Eng- 
land einen möglichst großen Teil der deutschen Flotte in der 
Nordsee festhält. Dadurch würde die erdrückende Übermacht 
der deutschen Flotte über die russische aufgehoben und viel- 
leicht eine russische Landung in Pommern möglich werden. 
Hierbei könnte die englische Negierung einen wesentlichen Dienst 
leisten, wenn sie vor Beginn der Kriegsoperationen eine so 
große Zahl von Handelsschiffen in die baltischen Häfen 
schickte, daß der Mangel an russischen Transport- 
schiffen ausgeglichen wird. 
Was die Lage im Mittelmeer anbe- 
trifft, so ist es für Nußland höchst 
wichtig, daß dort ein sicheres Über- 
gewicht der Streitkräfte der Entente 
über die austro-italienische Flotte 
hergestellt wird. Denn falls 
die österreichisch - italienischen 
Streitkräfte dieses Meer beHerr- 
schen, würden Angriffe der 
österreichichen Flotte im 
Schwarzen Meer möglich 
sein, was für Nußland ein 
gefährlicher Schlag wäre. Es 
muß angenommen werden, 
daß die austro-italienischen 
Streitkräfte den französischen 
überlegen sind. England 
müßte daher durch Belassung 
der notwendigen Zahl von 
Schiffen im Mittelmeer das 
Ubergewicht der Streitkräfte der 
Ententemächte mindestens so 
lange sichern, als die Entwick- 
lung der russischen Marine noch 
nicht so weit fortgeschritten ist, 
um die Lösung dieser Aufgabe 
selbst zu übernehmen. Russische 
Schiffe müßten mit Zustim- 
mung Englands als Basis im 
östlichen Mittel- 
meer die engli- 
schen Häfen be- 
nützen dürfen, 
ebenso wie die 
französische Ma- 
rinekonvention 
der russischen 
Flotte gestattet, 
sich im westlichen 
Mittelmeer auf 
die französischen 
Häfen zu ba- 
sieren. 
IX. 
Juli 1914. 
Gelegentlich 
meiner heutigen 
Unterhaltung 
mit Herrn Saso- 
now wandte sich 
das Gespräch 
auch dem Besuch 
des Herrn Poin- 
care zu. Der 
Ministerhob den 
friedfertigen 
Ton der gewech- 
selten Trink- 
sprüche hervor. 
Ich konnte nicht 
umhin, Herrn 
Sasonow dar- 
auf aufmerksam 
zu machen, daß 
nicht die bei derartigen Besuchen ausgetauschten Toaste, sondern 
die daran geknüpften Preßkommentare den Stoff zur Be- 
unruhigung geliefert hätten. Derartige Kommentare seien 
auch , diesmal nicht ausgeblieben, wobei sogar die Nachricht 
von dem angeblichen Abschluß einer russisch-englischen Marine- 
konvention verbreitet worden sei. Herr Sasonow griff diesen 
Ein Rasttag in Sillery in Frankreich. 
Appell der Etappentruppen 
Satz auf und meinte unwillig, eine solche Marinekonvention 
existiere nur „in der Idee des ,Berliner Tageblattes" und 
im Mond". 
Juli 1914. 
Euer pp. beehre ich mich beifolgend Abschrift eines Schrei- 
bens zu übersenden, das der Adjutant eines zurzeit hier 
weilenden russischen Großfürsten unter dem 25. d. M. 
von Petersburg aus an den Großfürsten ge- 
richtet hat und über dessen wesentlichen 
Inhalt ich bereits telegraphisch berichten 
durfte. Das Schreiben, von dem ich 
auf vertraulichem Wege Kenntnis 
erhielt, erweist meines gehorsamen 
Dafürhaltens, daß man schon 
seit dem 24. d. M. in Rußland 
zum Kriege entschlossen ist. 
Anlage. 
12./25. Juli, Petersburg. 
„In Petersburg waren 
große Unordnungen unter 
den Arbeitern, sie fielen son- 
derbar mit der Anwesenheit 
der Franzosen bei uns und 
mit dem österreichischen Ulti- 
matum an Serbien zusam- 
men. Gestern hörte ich von 
dem französischenMilitäragen- 
ten General de la Guiche, er 
habe gehört, daß Osterreich 
an den Arbeiterunruhen nicht 
unschuldig sei. Jetzt kommt aber 
alles rasch zu normalen Ver- 
Hältnissen. Und es scheint, daß, 
von den Franzosen ermutigt, 
unsere Regierung aufgehört hat, 
vor den Deutschen zu zittern. 
Es war längst Zeit! Es ist 
besser, sich ein- 
mal klar aus- 
zusprechen, als 
sich ewig hinter 
den „professio- 
nellen Lügen" 
der Diplomaten 
zu verbergen. 
Das Ultimatum 
Österreichs ist 
von unerhörter 
Frechheit, wie 
alle hiesigen Zei- 
tungen einmü- 
tig sagen. Eben 
habe ich die 
Abendzeitungen 
gelesen—gestern 
war Sitzung des 
Ministerrats; 
der Kriegsmini- 
ster hat sehr 
energisch gespro- 
chen und bestä- 
tigt. daß Ru߬ 
land zum Kriege 
bereit sei, und 
die übrigen Mi- 
nister haben sich 
voll angeschlos- 
sen; es wurde 
in entsprechen- 
dem Geist ein 
Bericht an den 
Kaiser fertigge- 
stellt, und die- 
ser Bericht wurde an demselben Tage bestätigt. Heute 
wurde im „Russischen Invaliden" eine vorläufige Mitteilung 
der Regierung veröffentlicht, daß „die Regierung sehr 
durch die eingetretenen Ereignisse und die Absendung des 
österreichischen Ultimatums an Serbien besorgt sei. Die 
Regierung verfolgt aufmerksam die Entwicklung der serbisch- 
in der Mitte Landsturmbataillon I München — auf dem Markt- 
platz in Cambrai. 
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