Volltext: Der Weltbrand Band 1 (1; 1915)

Teil des Volkes. Die meisten wünschten, daß Italien 
neutral bleibe. Dafür entschied sich denn auch die 
Negierung und ließ sich weder durch das wütende 
Geschrei der Hetzblätter im eigenen Lande, noch durch 
die immer drohender lautende Sprache der Drei- 
Verbandspresse, noch durch das Drängen und Werben 
der englischen, französischen und russischen Diplomatie 
in das große Abenteuer einer Teilnahme am Kriege 
hineintreiben. Immer wieder betonte sie, daß Italien 
in der Neutralität verharren wollte, allerdings in 
einer bewaffneten Neutralität, damit das Land auf 
alle Möglichkeiten vorbereitet sei. 
An dieser Haltung Italiens änderte sich auch nichts, 
als am 16. Oktober der bisherige Leiter seiner aus- 
wältigen Politik Marchese di San Giuliano plötzlich 
starb. Er war ein überzeugter Anhänger des Drei- 
bundes gewesen, und so mochte denn sein Ableben 
den Diplomaten der Dreiverbandsmächte sehr gelegen 
kommen. Mit Hochdruck arbeiteten sie nun daran, 
Italien ihren Wünschen gefügig zu machen. Der Zar 
ließ der italienischen Regierung anbieten, er wolle 
ihr alle österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen 
italienischer Nationalität ausliefern, wenn sie sich ver- 
pflichtete, sie während der Kriegsdauer zu bewachen, 
so daß sie sich nicht zum österreichisch-ungarischen Heere 
zurückbegeben könnten. Aber auch diese dummschlaue 
Spekulation auf die italienischen Volksleidenschaften 
hatte keinen Erfolg. Der Ministerpräsident Salandra 
wies den Vorschlag höflich, aber kühl ab. Er ließ die 
russische Regierung wissen, daß er die sympathischen 
Absichten ihres Kaisers hochschätze. Aber in Italien 
sei jeder Fremde und jeder Einheimische frei und 
könnte nur dann überwacht werden, wenn er ein 
Verbrechen begangen habe. Es könne ihn also auch 
niemand hindern, irgendeine Grenze zu überschreiten. 
Die öffentliche Meinung Italiens erregte sich über 
diese Abfertigung um so weniger, als ja das russische 
Anerbieten praktisch ohne jede Bedeutung war, denn 
auf welchem Wege hätte der Zar die Gefangenen 
überhaupt nach Italien bringen wollen? 
So blieb denn bis zum Ende des dritten Kriegs- 
monats Italien in seiner von Anfang an gewählten 
Stellung. 
Ebenso erfolglos waren die Bemühungen des Drei- 
Verbandes bei den beiden Mächten, die noch vor drei 
Jahren mit Serbien und Montenegro zusammen den 
Balkanbund gegen die Türkei gebildet hatten. Griechen- 
land verletzte zwar fortwährend die Neutralität, in- 
dem es über Saloniki Waffen, Munition und Lebens- 
mittel nach Serbien bringen ließ, aber zum Los- 
schlagen mit dem Schwerte war es nicht zu bewegen; 
die Sache schien ihm doch allzu gewagt, besonders 
wegen Bulgariens drohender Haltung. Das bul- 
garische Volk, das im Kriege gegen die Türkei bei 
weitem das Beste getan hatte, war durch Serbiens 
und Griechenlands Verrat um die Hauptfrucht des 
Sieges gebracht worden, und seitdem war der alte 
Stammeshaß gegen dieSerben in der Seele der tapferen 
Nation viel heißer und wilder entbrannt als jemals 
früher. Rache an Serbien, das war seit dem schmäh- 
lichen Ausgang des Balkankrieges die Losung in 
ganz Bulgarien, und die Wiedereroberung der ent- 
rissenen Beute der glühendste Wunsch jedes bulga- 
tischen Patrioten. Hinter dem verhaßten Feinde aber 
stand Rußland. Diese Erkenntnis hatte die Regierung 
und der größte Teil des Volkes. Rußland wollte 
ein starkes Serbien, denn das konnte es gegen 
Osterreich-Ungarn ausspielen, dagegen wollte es kein 
starkes Bulgarien, denn das war ihm auf dem Wege 
nach Konstantinopel ein schweres Hindernis. Ver- 
gebens also rollte der Rubel in Sofia, vergebens 
baten und schmeichelten und drohten die Gesandten 
Väterchens. Die kleine Partei der Russenfreunde 
schmolz immer mehr zusammen und wurde immer 
bedeutungsloser. Das bulgarische Volk glaubte den 
russischen Versprechungen nicht mehr, weil es die 
wahren Absichten der Staatsmänner an der Newa 
zu tief durchschaute, und es begann die russischen 
Drohungen zu verlachen, je mehr ihm Serbiens Ge- 
schick zeigte, daß der Koloß im Norden nicht stark 
genug war, seinen Verbündeten zu helfen. Denn 
während der russische Angriff auf Osterreich-Ungarn 
in Galizien zum Stehen gebracht, in der Bukowina 
und in Ungarn siegreich abgeschlagen wurde, reinigten 
gleichzeitig österreichisch-ungarische Truppen Bosnien 
von den dort eingedrungenen Serben und Montene- 
grinern in einer Reihe blutiger Gefechte, von denen 
das bei Mokro-Ragotitza das bedeutendste war, trieben 
die Serben über die Drina zurück und drangen Ende 
des Monats über die Saoe und die Drina in Serbien 
ein. Die Regierung, die sich in Nisch nicht mehr sicher 
fühlte, war schon am 8. Oktober nach llsküb über- 
gesiedelt. Die Verhältnisse wurden immer trostloser, der 
Mangel an Geld, an Lebensmitteln und Munition 
machte sich immer drückender fühlbar. Die Zähigkeit 
mit der sich das Serbenvolk verteidigte, war aller Achtung 
wert. Wo das Heer zurückgehen mußte — es zog sich nur 
nach dem erbittertsten Widerstand zurück — setzte 
vielfach die Bevölkerung den Kampf gegen die ver- 
haßten Eindringlinge fort. Der Heckenkrieg erschwerte 
den österreichisch-ungarischen Truppen das Vorgehen 
ungemein, führte aber auch dazu, daß das Land 
durch Niederbrennen der Dörfer und Gehöfte aufs 
schrecklichste verheert werden mußte. Wenn diese 
Art der Kriegsführung noch einige Monate andauerte, 
und die Österreicher immer tiefer ins Land eindrangen, 
dann kam die russische Hilfe, wenn sie überhaupt noch 
kam, auf jeden Fall zu spät. 
Gern hätte Bulgarien dem grimmig gehaßten 
Feinde in seiner Bedrängnis den Todesstoß versetzen 
helfen, denn von großmütigen oder sentimentalen 
Regungen war die Regierung des klugen Rechners 
Ferdinand von Koburg ganz und gar nicht ange- 
kränkelt, aber es mußte sein Schwert in der Scheide 
halten aus Rücksicht auf den stärksten der Balkan- 
staaten, auf Rumänien, das noch in der Neutralität 
verharrte und von dem kein Mensch ahnen konnte, 
wie es sich entscheiden werde. 
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