Volltext: Der Weltbrand Band 1 (1; 1915)

Die österreichisch-ungarische Armee hatte sich nach 
der Schlacht bei Lemberg, weil sie der erdrücken- 
den Übermacht des Feindes nicht gewachsen war, in 
westlicher Richtung zurückgezogen. Sie war in ihrer 
neuen Stellung durch erhebliche deutsche Truppen- 
Massen verstärkt worden. Im 
Verein mit diesen deutschen 
Truppen war sie noch in den 
letzten Septembertagen zu 
einer kräftigen Offensive über- 
gegangen — ein sicheres Zei¬ 
chen dafür, daß sie keine Nieder- 
läge erlitten hatte, wie die 
Russen fabelten, sondern daß 
ihre Kraft vollkommen un- 
gebrochen war. Zum ersten 
Male in diesem Kriege fochten 
also hier Deutsche und Oster- 
reicher Schulter an Schulter ge- 
gen den gemeinsamen Feind, 
ein Vorgang, der in beiden 
verbündeten Ländern die höch- 
ste Begeisterung hervorrief. Die 
„Wiener Allgemeine Zeitung" 
sprach allen Deutschen, Oster- 
reichern und Ungarn aus der 
Seele, als sie darüber schrieb: 
Es ist eine Nachricht, die allgemein ein frohes Empfinden 
auslöst. Gewiß ist dieser ganze Krieg eine fortwährende Ve- 
stätignng des Bündnisses beider Nationen und ihres felsenfesten 
Entschlusses, in festem Zusammenschluß auszuharren, bis die 
Feinde ganz niedergeworfen sind. Aber wenn man so liest, 
wie an der Weichsel deutsche und österreichisch - ungarische 
Truppen sich die Hände reichen, so empfindet man das als den 
sinnfälligen Ausdruck der 
Waffenbrüderschaft. In 
der ganzen Bevölkerung 
flammt eine neue Vegeiste- 
rung auf, und die Zuoer- 
ficht auf den nahen und 
endgültigen Sieg regt sich 
kräftiger." 
Das vereinte Vor- 
gehen zeitigte in der 
Tat die außerordent- 
lichsten Erfolge. Das 
österreichisch -ungarische 
Kriegspresse - Quartier 
konnte schon am 29Sep- 
tember die folgende 
Meldung ausgeben: 
„Angesichts der von den 
verbündeten deutschen und 
österreichisch- ungarischen 
Streitkräften eingeleiteten 
neuen Operationen sind 
beiderseits der Weichsel rück- 
gängige Bewegungen des 
Feindes im Zuge. Starke 
russische Kavallerie wurde 
unsererseits bei Viecz zersprengt. Nördlich der Weichsel werden 
mehrere feindliche Kavallerie-Divisionen vor den verbündeten 
Armeen hergetrieben." 
Anfang Oktober folgte dann eine Reihe derartiger 
Erfolge der verbündeten Truppen, daß die russische 
Feldzeugmeister Potiorel, 
der Führer der österreichisch-ungar. Armee gegen die Serben. 
ren. 
Das Gebetbuch als Lebensretter: Die durchschlagenen Seiten des 
Gebetbuches mit der steckengebliebenen Schrapnellkugel. 
Ein schlesischer Landwehr-Unteroffizier, der gegen die Russen gekämpft, hat 
sein Leben dem Umstände zu verdanken, daß die russische Schrapnellkugel, 
die ihm Kochgeschirr und Tornister durchschlagen, in dem Gebetbuch stecken« 
blieb, das ihm seine Mutter vor dem Auszug ins Feld noch zugesteckt hatte. 
Armee dadurch zum Rückzug aus Galizien gezwungen 
wurde. Am 4. Oktober wurden die russischen Garde- 
schützen bei Opatow und Klimontow auf die Weichsel 
zurückgedrängt. Am 5. Oktober fand ein heißes Ee- 
fecht bei Sadom statt, wo russische Truppen, die von 
Jwangorod vorgestoßen wa- 
ren, unter schweren Verlusten 
zurückgeworfen wurden, am 
6. Oktober eroberten öster- 
reichisch-ungarische Truppen 
den Weichselbrückenkopf an der 
Mündung des San beiSando- 
mir, und als die Russen die 
Weichsel in der Richtung auf 
Opatow zu überschreiten ver- 
suchten, wurden sie zurück- 
getrieben. 
Dieses kraftvolle Vordrin- 
gen der österreichisch-unga- 
rischen Armee im Verein mit 
den deutschen Truppen war 
für die Russen eine böse Uber- 
raschung. Sie hatten ganz 
ernstlich gemeint, bei Lemberg 
gesiegt zu haben, weil die 
TruppenKaiserFranzJosephs 
vor ihnen zurückgewichen wa- 
Sie hatten auch bereits die Kunde ihres Sieges 
in alle Welt hinaus erklingen lassen. Run wollten 
sie ihren alten Plan aufnehmen, mit der Hauptmacht 
nach Westen ziehen und in Deutschland einfallen, mit 
einem Teile ihrer ungeheuren Armee über die Kar- 
pathen rücken, in Un- 
garn einbrechen und 
den hartbedrängten 
Serben die Hände rei- 
chen. Sie wußten wohl, 
daß es hohe Zeit war, 
ihren Verbündeten im 
Westen und im Süden 
Hilfe zu bringen, wenn 
sie nicht ihr militärisches 
Ansehen bei beiden ver- 
lieren wollten. 
Frankreich hatte sch on 
die schwersten Verluste 
erlitten und erwehrte 
sich mühsam der deut- 
schen Überflutung. Mit 
Bitterkeit, der eine gute 
Dosis von Verachtung 
beigemischt war, frag- 
ten jetzt die französischen 
Zeitungen, warum sie 
den moskowitischen Freunden einen großen Teil ihres 
Nationalvermögens anvertraut hätten, wenn diese nicht 
imstande seien, mit ihren Millionenheeren ihnen Luft zu 
verschaffen, und im Lande der edlen Karageorgewitsche 
sah es noch viel schlimmer aus. Das serbische Heer wehrte 
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