Das fliehende Heer suchte sich, von dennachsetzenden
Deutschen hart bedrängt, nach Ostende durchzuschlagen.
Es gelang das aber nur einem Teile, zwanzigtausend
Mann wurden aus holländisches Gebiet getrieben und
dort entwaffnet.
Die Stadt hatte nicht in dem Maße, wie man
befürchtet hatte, unter dem Bombardement gelitten,
an dem übrigens auch zwei Zeppelinschiffe, Furcht
und Schrecken verbreitend, tätig gewesen waren. Die
historischen Gebäude Antwerpens waren unversehrt
oder nur leicht beschädigt, die Bevölkerung, soweit
sie nicht geflohen war, verhielt sich beim Einzüge der
Deutschen vollkommen ruhig, und im Laufe der
nächsten Wochen kehrten viele von denen, die sich nach
Holland geflüchtet hatten, wieder
in die Stadt zurück.
Der Eindruck, den Antwerpens
rascher Fall auf das Ausland her-
vorbrachte, war ungeheuer. Die
Zeitungen erinnerten allenthalben
daran, daß Napoleon Antwerpen
eine auf das Herz Englands ge-
richtete Pistole genannt hatte. Die
englischen und französischen Zei-
tungen freilich suchten den nieder-
schmetternden Eindruck, den der
gewaltige deutsche Erfolg auf die
Gemüter ihrer Landsleute haben
mußte, dadurch abzuschwächen,
daß sie schrieben: Antwerpen be-
säße gar keinen militärischen Wert
für die Deutschen. Sie glaubten
diesen Unsinn natürlich selber nicht,
sondern wußten ganz genau, was
ein deutsches Antwerpen für Eng-
land bedeutete. Wie man in Wirk-
lichkeit jenseits des Kanals emp-
fand, das lehren einige Zeitungsstimmen, die
wurden, als Antwerpens Lage hoffnungslos war.
Die „Morning Post" schrieb:
„Die durch den Krieg offenbar gewordene wichtigste Tat-
fache ist die ungeheuere Stärke Deutschlands, die es ermöglichte,
die Russen aus Ostpreußen zu vertreiben und ihnen von der
Ostsee bis zu den Karpathen entgegenzutreten, zugleich Belgien
zu überrennen, die verbündeten Armeen von der Sambre
bis zur Marne zu treiben und nach ihrem Rückzüge an die
Aisne diese Linie zu halten, selbst die rechte Flanke auszu-
dehnen, dabei die Belagerung Antwerpens vorzubereiten und
die Angriffe gegen diese Stadt vorwärts zu führen."
General d.JnfanterieSvetozar Boroevic v.Bojna,
der erfolgreiche Führer der bei Przemysl gegen die
Russen kämpfenden österreichisch-ungarischen Armee.
(Phot. Eugen Schäfer, Wien.)
laut
In einen: zweiten Leitartikel schrieb die „Morning
Post":
„Das Ende ist noch nicht da. Wer auf einen frühzeitigen
Zusammenbruch der deutschen Macht rechnet, verkennt die
Lage gründlich. Deutschland besitzt uoch sehr große Kräfte
und verfügt über außerordentliche Hilfsquellen. Es besitzt
ferner eine sehr starke Stellung im Inneren. Es besteht kein
Anzeichen und keiue Wahrscheinlichkeit für eine innere politische
Zersetzung, die manche Leute gern prophezeien. Der Kampf
hat erst sein erstes Stadium erreicht. Das unmittelbare Er-
gebnis im Westen ist noch zweifelhaft."
Ashmed Bartlett schrieb im „Daily Telegraph":
„Deutschland hat einen großen Vorteil vor den anderen
Nationen voraus, da die Gesamtheit des Volkes eine militärische
Ausbildung erhält und jeder verfügbare Mann unter den
Waffen steht. Deutschland hat nicht weniger als 54Armee¬
korps. Diese Meuschenmasse, die sich in der Defensive hält
und durch die stärksten Reihen van
Festungen unterstützt wird, bedeutet eine
so furchtbare Macht, daß es große, neue
Opfer seitens des englischen Volkes er-
fordern wird, um sie zur Unterwerfung
zu zwingen. Die Franzosen kämpfen
tapfer in Verteidigung ihres Bodens,
aber die Kraft ihrer Armem, eine ernste
Angriffsbewegung auszuführen, ver¬
mindert sich täglich."
Die Wirkung der Eroberung
Antwerpens auf England bestand
also darin, daß sie dem hochmüti-
gen Britenvolke die Augen öff-
nete über die Stärke des Feindes,
den es so leichtfertig angegriffen
hatte. Der Krieg war kein Spiel,
wie viele Engländer sich einge-
bildet hatten. Er konnte auch nicht
allein von den Russen und Fran-
zosen ausgesochten werden, wäh-
rend Old England in ruhiger
Sicherheit zusah und seine Kräfte
aufsparte für die Zeit, wo die
anderen Nationen sich zerfleischt
hatten, um dann als einzige starke Macht den Frieden
zu diktieren. England kam vielmehr in die ernsteste
Gefahr. Denn nach der Eroberung Antwerpens rich-
teten die Deutschen ohne Zweifel ihr Absehen auf Oft-
ende und Calais. Darum griff England von jetzt an
in ganz anderer Weise in den Krieg ein. Es entsandte
nun nicht mehr unbedeutende Expeditionskorps, son-
dern ein wirkliches Heer nach dem Kontinente und ließ
auch an seine Kolonien und überallhin den Notruf
ertönen.
Die Kämpfe Österreich-Ungarns im Oktober.
AV^ährend das „uneinnehmbare" Antwerpen von
^>Vden Deutschen belagert und in der kurzen Zeit
von zwölf Tagen zu Fall gebracht wurde, fand auch
auf dem anderen Kriegsschauplatz ein schweres Ringen
um eine Festung statt. Am 8. Oktober brachten die
Zeitungen die überraschende Kunde, der Angriff der
Russen auf Przemysl sei gescheitert. Niemand hatte
geahnt, daß dort überhaupt etwas vor ging, weder
der österreichisch-ungarische Generalstab noch das
deutsche Hauptquartier hatten in ihren amtlichen
Meldungen ein Wort darüber verlauten lassen. Jetzt
erfuhr man, daß die stärkste Festung Österreichs von
den Russen belagert werde, und wenige Tage später
folgte die Nachricht, daß die Belagerung aufge-
hoben worden sei, und der Feind den Rückzug an-
getreten habe.
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