Volltext: Der Weltbrand Band 1 (1; 1915)

Das fliehende Heer suchte sich, von dennachsetzenden 
Deutschen hart bedrängt, nach Ostende durchzuschlagen. 
Es gelang das aber nur einem Teile, zwanzigtausend 
Mann wurden aus holländisches Gebiet getrieben und 
dort entwaffnet. 
Die Stadt hatte nicht in dem Maße, wie man 
befürchtet hatte, unter dem Bombardement gelitten, 
an dem übrigens auch zwei Zeppelinschiffe, Furcht 
und Schrecken verbreitend, tätig gewesen waren. Die 
historischen Gebäude Antwerpens waren unversehrt 
oder nur leicht beschädigt, die Bevölkerung, soweit 
sie nicht geflohen war, verhielt sich beim Einzüge der 
Deutschen vollkommen ruhig, und im Laufe der 
nächsten Wochen kehrten viele von denen, die sich nach 
Holland geflüchtet hatten, wieder 
in die Stadt zurück. 
Der Eindruck, den Antwerpens 
rascher Fall auf das Ausland her- 
vorbrachte, war ungeheuer. Die 
Zeitungen erinnerten allenthalben 
daran, daß Napoleon Antwerpen 
eine auf das Herz Englands ge- 
richtete Pistole genannt hatte. Die 
englischen und französischen Zei- 
tungen freilich suchten den nieder- 
schmetternden Eindruck, den der 
gewaltige deutsche Erfolg auf die 
Gemüter ihrer Landsleute haben 
mußte, dadurch abzuschwächen, 
daß sie schrieben: Antwerpen be- 
säße gar keinen militärischen Wert 
für die Deutschen. Sie glaubten 
diesen Unsinn natürlich selber nicht, 
sondern wußten ganz genau, was 
ein deutsches Antwerpen für Eng- 
land bedeutete. Wie man in Wirk- 
lichkeit jenseits des Kanals emp- 
fand, das lehren einige Zeitungsstimmen, die 
wurden, als Antwerpens Lage hoffnungslos war. 
Die „Morning Post" schrieb: 
„Die durch den Krieg offenbar gewordene wichtigste Tat- 
fache ist die ungeheuere Stärke Deutschlands, die es ermöglichte, 
die Russen aus Ostpreußen zu vertreiben und ihnen von der 
Ostsee bis zu den Karpathen entgegenzutreten, zugleich Belgien 
zu überrennen, die verbündeten Armeen von der Sambre 
bis zur Marne zu treiben und nach ihrem Rückzüge an die 
Aisne diese Linie zu halten, selbst die rechte Flanke auszu- 
dehnen, dabei die Belagerung Antwerpens vorzubereiten und 
die Angriffe gegen diese Stadt vorwärts zu führen." 
General d.JnfanterieSvetozar Boroevic v.Bojna, 
der erfolgreiche Führer der bei Przemysl gegen die 
Russen kämpfenden österreichisch-ungarischen Armee. 
(Phot. Eugen Schäfer, Wien.) 
laut 
In einen: zweiten Leitartikel schrieb die „Morning 
Post": 
„Das Ende ist noch nicht da. Wer auf einen frühzeitigen 
Zusammenbruch der deutschen Macht rechnet, verkennt die 
Lage gründlich. Deutschland besitzt uoch sehr große Kräfte 
und verfügt über außerordentliche Hilfsquellen. Es besitzt 
ferner eine sehr starke Stellung im Inneren. Es besteht kein 
Anzeichen und keiue Wahrscheinlichkeit für eine innere politische 
Zersetzung, die manche Leute gern prophezeien. Der Kampf 
hat erst sein erstes Stadium erreicht. Das unmittelbare Er- 
gebnis im Westen ist noch zweifelhaft." 
Ashmed Bartlett schrieb im „Daily Telegraph": 
„Deutschland hat einen großen Vorteil vor den anderen 
Nationen voraus, da die Gesamtheit des Volkes eine militärische 
Ausbildung erhält und jeder verfügbare Mann unter den 
Waffen steht. Deutschland hat nicht weniger als 54Armee¬ 
korps. Diese Meuschenmasse, die sich in der Defensive hält 
und durch die stärksten Reihen van 
Festungen unterstützt wird, bedeutet eine 
so furchtbare Macht, daß es große, neue 
Opfer seitens des englischen Volkes er- 
fordern wird, um sie zur Unterwerfung 
zu zwingen. Die Franzosen kämpfen 
tapfer in Verteidigung ihres Bodens, 
aber die Kraft ihrer Armem, eine ernste 
Angriffsbewegung auszuführen, ver¬ 
mindert sich täglich." 
Die Wirkung der Eroberung 
Antwerpens auf England bestand 
also darin, daß sie dem hochmüti- 
gen Britenvolke die Augen öff- 
nete über die Stärke des Feindes, 
den es so leichtfertig angegriffen 
hatte. Der Krieg war kein Spiel, 
wie viele Engländer sich einge- 
bildet hatten. Er konnte auch nicht 
allein von den Russen und Fran- 
zosen ausgesochten werden, wäh- 
rend Old England in ruhiger 
Sicherheit zusah und seine Kräfte 
aufsparte für die Zeit, wo die 
anderen Nationen sich zerfleischt 
hatten, um dann als einzige starke Macht den Frieden 
zu diktieren. England kam vielmehr in die ernsteste 
Gefahr. Denn nach der Eroberung Antwerpens rich- 
teten die Deutschen ohne Zweifel ihr Absehen auf Oft- 
ende und Calais. Darum griff England von jetzt an 
in ganz anderer Weise in den Krieg ein. Es entsandte 
nun nicht mehr unbedeutende Expeditionskorps, son- 
dern ein wirkliches Heer nach dem Kontinente und ließ 
auch an seine Kolonien und überallhin den Notruf 
ertönen. 
Die Kämpfe Österreich-Ungarns im Oktober. 
AV^ährend das „uneinnehmbare" Antwerpen von 
^>Vden Deutschen belagert und in der kurzen Zeit 
von zwölf Tagen zu Fall gebracht wurde, fand auch 
auf dem anderen Kriegsschauplatz ein schweres Ringen 
um eine Festung statt. Am 8. Oktober brachten die 
Zeitungen die überraschende Kunde, der Angriff der 
Russen auf Przemysl sei gescheitert. Niemand hatte 
geahnt, daß dort überhaupt etwas vor ging, weder 
der österreichisch-ungarische Generalstab noch das 
deutsche Hauptquartier hatten in ihren amtlichen 
Meldungen ein Wort darüber verlauten lassen. Jetzt 
erfuhr man, daß die stärkste Festung Österreichs von 
den Russen belagert werde, und wenige Tage später 
folgte die Nachricht, daß die Belagerung aufge- 
hoben worden sei, und der Feind den Rückzug an- 
getreten habe. 
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