Volltext: Der Weltbrand Band 1 (1; 1915)

Gelegenheiten, mit den Franzosen ungehindert abzu- 
rechnen, ruhig vorübergehen lassen, obwohl die gal- 
lische Keckheit schon längst eines Dämpfers bedurfte, 
ein Grund zum Kriege leicht zu finden war und uns 
reiche Beute winkte. Er legte überall und jederzeit 
eine so friedliche Gesinnung an den Tag, daß die 
Sage umging: Dieser Kaiser führt unter keinen Um- 
ständen Krieg. 
Das müssen wir uns vergegenwärtigen, wenn wir 
fragen, wer die Verantwortung trägt. Wir wahrlich 
nicht. Schlechterdings nichts von der ungeheuren Blut- 
schuld fällt auf uns, alles auf unsere Feinde, und 
zwar sind die Hauptanstifter in Petersburg zu suchen. 
Dort ist der Brand entfacht worden, der jetzt die 
Welt verwüstet. 
Nicht etwa das russische Volk ist schuld daran. Die 
russischen Bauern und Landarbeiter sind der Mehrzahl 
nach stumpfsinnige und friedfertige Herdentiere, träge, 
dem Schnapse in unglaublicher Weise ergeben, ge- 
wöhnt, sich unter die Knute zu ducken. Die Arbeiter- 
schaft der großen Städte ist revolutionär, die Vertreter 
der Intelligenz zum größten Teil sogar nihilistisch. 
Von einem Krieg wollten diese Leute allesamt nichts 
wissen. Die Rekruten, die ausgehoben werden sollten, 
folgten entweder dem Rufe zur Fahne gar nicht oder 
sie zogen mit der größten Unlust in den Krieg. 
Deutsche Reisende haben auf russischen Bahnhöfen 
immer wieder klagende und schluchzende Männer zu 
Hunderten und Tausenden gesehen. Das waren die 
ausgehobenen Soldaten, die für das große heilige 
Rußland kämpfen sollten! Rein, das russische Volk 
seiner ungeheuren Mehrzahl nach hat diesen Krieg 
nicht gewollt. Am wenigsten wollte es ihn jetzt, wo 
eine schreckliche Mißernte weite Strecken des Riesen- 
reiches mit Hungersnot bedroht. 
Auch der Zar ist nicht der eigentliche Treiber zum 
Kriege, obwohl er nominell die Verantwortung dafür 
trägt. Denn der sich pomphaft „Selbstherrscher aller 
Reußen" nennt, ist in Wahrheit ein Spielball in der 
Hand der mächtigen Panslawisten-Partei. Ihr ge- 
hören die Großfürsten an, die höheren Beamten, die 
Offiziere, die höhere orthodoxe Geistlichkeit und der 
Adel. Von ihr wird auch ein guter Teil der Presse 
beherrscht. Die Panslawisten, die schon seit Jahr- 
zehnten im Zarenreiche den größten Einfluß besitzen, 
vertreten den Gedanken, daß Rußland berufen sei, alle 
die kleinen slawischen Völker, die es in der Welt gibt, 
zu leiten und zu beherrschen. Darum sind sie die ge- 
schworenen Feinde Österreichs, das Tschechen und Polen, 
Ruthenen, Kroaten, Serben und Slowenen unter seiner 
Herrschaft hält. Eine vollkommene Zertrümmerung 
Österreichs war ihr Traum und das Ziel ihrer Sehn- 
sucht seit Jahren. Einen Krieg mit Osterreich herbei- 
zuführen, dazu war ihnen, wie wir staunend gesehen 
haben, der gemeinste Vorwand nicht schlecht genug. 
Uns hassen sie als Österreichs Bundesgenossen, und 
weil wir auch sonst ihren Machtplänen im Wege sind, 
es z. V. nicht dulden könnten, daß sie das stammver- 
wandte Schweden unterjochten und sich so den Weg 
zum Weltmeer bahnten. Dazu kommt noch der in- 
stinktive Haß des geistig und moralisch Minderwertigen 
gegen den Höherstehenden. Deutsches Wesen und 
deutsche Kultur verfolgen sie und suchen sie zu ver- 
nichten, wo sie können, denn wo sie herrscht, vermögen 
sie nicht zu herrschen. Daher die Unterdrückung der 
Deutschen in den Ostseeprovinzen. Ehe die Pan- 
slawisten zur Herrschaft kamen, waren die Deutschen 
in Rußland hochangesehen und haben ihm ja auch 
seine tüchtigsten und fähigsten Staatsmänner und 
Generale gestellt. Seitdem aber die Panslawisten do- 
minieren, werden die Deutschen aus allen höheren 
Stellungen herausgedrängt, schikaniert, wo und wie 
es nur möglich ist, und durch eine gewissenlose Hetz- 
presse dem Volke als Ausbeuter und schlimmste Feinde 
der braven, ehrlichen Russen hingestellt. Die Vernich- 
tung der blühenden Universität Dorpat ist insbescm- 
dere ihr Werk, und ebenso haben sie es dahin ge- 
bracht, daß der Zar den Finnländern sein feierlich 
gegebenes Wort brach, ihre freie Verfassung aufhob 
und seinen altrussischen Beamten gestattete, in diesem 
Lande von hoher skandinavischer Kultur die russische 
Mißwirtschaft einzuführen. 
Die innere Lage ihres Vaterlandes beurteilen 
diese Leute, in deren Netzen sich der Zar befindet, ganz 
richtig. Sie wissen, daß das Bürgertum und die Ar- 
beitermasse immer stürmischer, immer mächtiger und 
unwiderstehlicher auf politische und wirtschaftliche Re- 
formen dringen und daß die Revolution kommt, wenn 
diese Reformen dauernd versagt werden. Reformieren 
aber wollen sie auf keinen Fall, denn dann könnten sie 
das Volk nicht mehr knechten und brutalisieren, und 
die bisherige Mißwirtschaft hätte ein Ende. So suchen 
sie die jetzige Staatsordnung, bei der sie sich so un- 
geheuer wohl fühlen, mit den verwerflichsten Mitteln 
zu stützen. Sie sind bestrebt, das russische Volk durch 
kriegerische Verwicklungen von seinen Reformierungs- 
oder Revolutionsgedanken abzubringen und durch 
äußere Erfolge die Macht und das Ansehen des Zaren- 
tums im Innern zu stützen. Deshalb haben sie einst 
den Krieg mit Japan heraufbeschworen, und aus dem- 
selben Grunde haben sie jetzt den schwachen Nikolaus 
zum Kriege mit Deutschland gedrängt. 
Das Haupt, die Seele, die treibende Kraft der ganzen 
Bewegung ist der Großfürst Nikolai Nikolajewitsch, ein 
Mann von unbändigem Ehrgeiz und rücksichtsloser 
Brutalität. Er, der eigentliche Urheber des Krieges, 
hat sich auch zum Generalissimus der russischen Streit- 
kräfte ernennen lassen. 
Man soll daher nicht sagen, dieser Krieg sei der Zu- 
sammenstoß zwischen Slawentum und Germanentum, 
der früher oder später mit Notwendigkeit hätte kommen 
müssen. Das stimmt in keiner Weise. Das Slawentum 
steht garnicht gegen uns in den Waffen, sondern nur 
die Groß-Russen. Die West- und Süd-Slawen, mit 
Ausnahme der Serben, stehen sämtlich gegen Rußland 
auf. Die Polen und Ukrainer erheben sich, das rus- 
sische Joch abzuwerfen. Die Bulgaren möchten die ver- 
haßten Serben, die von Rußland geschützt werden, am 
2
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.