Volltext: Der Sammler 13 jahrg. 1917 (1917)

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stachelt hat, daß Chronikschreiber sich nicht ge 
nugtun konnten, die Kriegsereignisse zu schil 
dern — ist doch die Geschichtsschreibung bis auf 
die heutige Zeit in dieser Darstellungsart förm 
lich erstarrt — und daß auch die Dichter und 
Bildhauer, die Sänger und Maler ihre Kunst 
in ben Dienst des Kriegsgottes oder dessen 
Widerparts gestellt haben. 
Aber erst sehr spät — im neunzehnten 
Jahrhundert — wurde die Kriegserinnerungs 
sucht zur Manie. 
Das Jahr 1813 und die folgenden Jahre 
haben noch an den Fingern äbzählbare Erinne 
rungsmale geschaffen, die Kriegsjahre 1849, 
1854/55, 1859, 1864 und 1866 gingen beinahe 
spurlos an den Denkmalschöpfern vorüber; dem 
großen Einigkeitskrieg 1870/71 war es vorbe 
halten, die Denkmalsucht zur Denkmalkrankheit 
zu steigern. 
Vom Jahre 1870 an datiert' die Vergrö 
berung der Erinnerungsidee, da wurde man 
schmerzvoll inne, was ein Volkskrieg für eine 
Verheerung in der Kunst anzurichten vermag. 
Jede Stadt, jede Marktgemeinde, die etwas 
auf sich hielt, mußte ihr Denkmal haben. Die 
Geldfrage spielte gar oft die einzige Rolle, es 
sollte billig und gut sein. 
Gemäß dieser brutalen Formel erstand ein 
Obelisk oder eine Säule oder irgend ein 
abgegriffenes, nichtssagendes Steinsymbol, auf 
welchem viele, viele Namen angegeben wur 
den — : ein Kollektiv - Grabstein für ein leeres 
Massengrab! — — - 
lind dieser dürftige Gedanke, dieses arm 
selige Symbol sollte nachfahrenden Geschlechtern 
Weihegedanken in die Seele pflanzen, sollte das 
Göttliche in unserem Sein entfachen und zur 
strahlenden Entfaltung bringen? ! 
Es wäre das vor 46 Jahren entstandene 
Denkmalelend leichter zu ertragen, wenn man 
den Mut gehabt hätte, diese schlimme Talmikunst 
an irgend einem versteckten Ort aufzustellen. 
Aber „Böses muß fortzeugend Böses nur 
gebären" — just auf den schönsten Platz stellte 
man gar oft die traurigen Zeichen eines flachen 
Dutzendgeschmackes hin und glaubte Wunder, wie 
groß die Tat, wie ersprießlich sie war, die da geschah! 
Welch Diebstahl an künstlerischen Werten 
hier verbrochen wurde, läßt sich nicht aufzeigen; 
aber jeder Mensch, dem Gott ein Auge gab, um 
zu sehen, sah früher und sieht heute und wird es 
noch in Zukunft sehen, wie ein stiller ruhig ab 
geschlossener Platz — oftmals die Prunkstube 
im „Städtehaus" — verunstaltet wurde durch 
die aufgepappte Basarware billiger Krieger- 
Denkmäler. 
Das Wort „Barbarei" ist in unseren 
Zeiten zur inhaltslosen Phrase geworden und 
doch finde ich kein besseres, um dar Unheil 
volle zu kennzeichnen, das wir aus uns laden, 
wenn wir den Besitz unserer Väter, das Erbteil 
für unsere Kinder verludern und verunstalten : 
Ich sage: es ist eine Barbarei, auf einen stil 
vollen Platz einen Klex hinzupatzen! 
111. 
Was nach dem Kriege 1870/71 an Denk 
mal-Aberwitz geschah, wird aber keinen Ver 
gleich mit der Denkmalseuche aushalten können, 
die nach dem Weltkriege über die deutschen 
Lande hereinbrechen wird. Glaube man nur ja 
nicht, ein Geschehnis, wie es die Aufstellung 
eines Kriegsdenkmales ist, märe des Aufhebens 
nicht wert und die schweren Worte, die man 
für diese „Nebensächlichkeit" findet, muten an, 
als ob man mit Kanonen auf Spatzen schießen 
würde. 
Wer dies glaubt, der ahnt nicht, welche 
Werte unser Leben erst inhaltsreich gestalten. 
Wenn wir das wahrhaft Schöne aus der 
Welt schaffen, wenn wir immer nur darauf 
bedacht sind, dem rein Praktisch - Nützlichen zu 
dienen, dann wird die Erde nur noch ein etwas 
komplizierter Weideplatz. 
Nun ist es ja noch nicht so weit. Es be 
steht allseits der ehrliche Wille der Kunst, dem 
Höheren in uns das Wort zu lassen und dem 
größten Ereignisse der Weltgeschichte ein Erin 
nerungsmal zu schaffen, welches mit dem profan 
Nützlichen nichts zu tun hat. 
Der Stein des Anstoßes liegt nicht in der 
Abneigung, etwas zu schaffen — es wäre gar 
kein so großes Unglück, wenn er hier liegen 
würde - er liegt im „Wie" des Schaffens. 
Die Form ist es, die den Widerstreit der Mei 
nungen entfacht, die Art der Darstellung ivird 
es sein, die zum Widerspruch zwingt. 
llnd deshalb gelten von jetzt ab auch dem 
„Wie" des Schaffens, der Art der Darstellung, 
der Form, in welche wir unser dankbares Ge 
denken kleiden sollen, meine weiteren Ausfüh 
rungen. 
IV. 
Alle Kriege, welche vor dem Jahr 1914 
die Völker geführt haben, sind — gemessen an 
diesem schauerlichen Ringen, an dem sich alle 
Großstaaten der Erde beteiligen — Scharmützel 
gewesen. 
Was ist das Völkerringen anno 1813 zu 
Leipzig gegen die Schlachten an den hundert 
Kilometer langen Fronten in Nord und Süd, 
in Ost und West? 
Auch die politische Bedeutung dieser schein 
bar rein militärischen Kräftemessung wird eine 
ungleich größere sein, als ehedem, wenn auch 
der Krieg anno 1870/71 politisch die größten 
Folgen hatte, die ein Krieg überhaupt haben 
kann <—: Schaffung eines neuen Reiches — so 
geht es diesmal nicht nur um ein Reich, es 
geht um unser staatliches Sein, es gilt den 
Bruch der Vorherrschaft über die Weltmeere! 
Nun haben wir bereits als Erinnerungs 
zeichen an die Befreiungskriege ein Steindenkmal
	        
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