Volltext: Der Sammler 12. Jahrg. 1916 (1916)

Noch waren nicht zwei Jahre vergangen, 
seit die Lumperei Nummer 3 geschehen war, — 
wir schrieben das Jahr 1816. 
Obwohl der Hochaltar schon steht, glücklich 
den Fährnissen bei Windorf a. d. Donau „ent 
ronnen", so haben die Schärdinger immer noch 
keine fertige Hauptkirche. Ein Notdach deckt das 
Gewölbe; der Turm ist noch eine Ruine. 
Aber ein Baufonds von 4000 Gulden und 
eine schwere Menge wunderschöner Bauhölzer 
lassen die Hoffnung nicht trügerisch erscheinen, 
daß auch die Stunde der endlichen Kirchenbau- 
Vollendung vom neuen Turme bald schlagen 
werde. 
Irgend ein hämischer Pessimist lacht. 
Warum lacht er? Weiß er denn auch, was 
wir wissen? Nun, dann verraten wir ja keine 
Neuigkeit: 
Schärding war anno 1816 noch bayerisch. 
Und der Baufonds auch. Königlich bayerischer 
Zugehörigkeit waren aber auch die Hölzer, so da 
in großen Haufen in dem alten „Stadtfreithof" 
herumlagen. 
Da kam der 1. Mai und mit ihm die 
endgültige Uebergabe des Jnnviertels an Oester 
reich. Wenn der Mantel fällt, muß der Herzog 
nach, sagt Schiller im Fiesko, und auch Schär 
ding machte keine Ausnahme von diesem Gesetze 
politischer Schwerkraftsverhältnisse, die Stadt 
wurde wieder österreichisch. Der Hoffnung er 
weckende Baufonds wanderte mit über den Inn 
in die Taschen unbekannter Defraudanten, und 
die Bauhölzer? — ja, die Bauhölzer! — Sind 
sie vermorscht? 
Unter dem Einflüsse der wechselnden Wit 
terung ist eine allmähliche Vernichtung des 
Holzes eine leider nicht wegzeuleugnende Tat 
sache. Aber alle holzarbeitenden Berufsmenschen 
werden uns bezeugen können, daß dieser Ver 
faulungsprozeß, diese Auflösungs- und Zerfalls 
erscheinungen immerhin jahrelang währen und 
nicht so im Handumdrehen vor sich gehen. 
Die Dauer dieses i absonderlichen Prozesses 
war eine kurze. 
Wirklich im Handumdrehen wurden die 
Dippelbäume, die Pfosten, Bretter und Latten 
immer weniger, bis nach Jahr und Tag auch 
der allerbescheidenste Holzwurm nichts mehr 
vorfand. 
Die Räumung des Stadtfreithofes wurde 
brav, tüchtig und kostenlos besorgt. 
„Also haben um das Jahr 1816 unbe 
kannte Schärdinger fleißig Bauhölzer gestohlen ? 
Wer will es behaupten? 
Jedenfalls lehrt uns die Jahrzahl 1838 
ain neuen Turm, daß erst um diese Zeit, 
22 Jahre nach der „Aufräumerei" die Sankt 
Georgenkirche vollendet werden konnte. 
Welchen Schluß zieht deshalb der rück 
wärtsschauende Bosnickel und Spötter? Diesen: 
daß das siebente Gebot, welches, da heißt „Du 
sollst nicht stehlen," in der guten alten Zeit auch 
nicht immer die strenggläubigsten Befolger ge 
funden und daß auch zu Urgroßvaterszeiten die 
Menschen das Stehlen aus dem Fundament 
verstanden haben. 
* * 
* 
Wenn wieder einmal ein vom Lob der 
alten Zeit übertriefender Vergangenheitsschwär 
mer über die Verderbnis der jüngsten Zeit 
schimpft, dann werden wir uns, arglistig wie 
wir nun schon einmal sind — an die geschil 
derten Lumpereien erinnnern und den strengen 
Richter bitten, er möge diese kleine Skizze lesen. 
Sollte er dann noch Verlangen nach mehr 
haben, so verweisen wir ihn auf die Geschichte 
aller Völker und Zeiten und unser griesgrä 
miger Querkopf wird dann endlich auch zürn 
Schluß kommen, daß von all dem überlieferten 
und gläubig nachgeplapperten Unwahrheiten die 
verlogenste wohl der wehmutsvolle Seufzer ist: 
„O du schöne, du gute, du liebe alte Zeit!" 
Denn jedwede Verderbnis und alle Schind 
luderei, alles Höchste und Tiefste, alles Gött 
liche und Tierhafte wurzelt in der märchenhaften 
Vorzeit, als das größte aller Wunder entstand, 
das Wunder, welches wir Mensch nennen I 
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bei 
Roman v. Jäger Seifensiederei, Schärding. 
Herausgeber: Der Museal-Berein Schärding. — Verantwortlicher Redakteur: Joh. Vees, Schärding. 
Druck I. Vees, Schärding.
	        
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