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Ich meine den dreißigjährigen Krieg von 1618
bis 1648.
Wäre es nicht interessant, vom Riesenreiche
Deutschland — welches heute einer Welt von
Feinden trotzt, das mit seinen 70 Millionen
Einwohnern, seiner wunderbaren Organisation
und dank der Mithilfe treuer Bundesgenossen
der gesamten Erde seinen Willen diktiert, den
Willen der Selbsterhaltung -- wäre es, sag ich,
nicht interessant, zu wissen und zu erfahren,
wie dieses ausgeblutete Reich mit seinen dama
ligen fünf Millionen verfolgten, geplünderten
und verhungerten Menschen gelebt hat?
Ich frage: Wäre es nicht wissenswert,
die unversiegliche Quelle kennen zu lernen, aus
welcher die märchenhafte Kraft quillt, die
Völker und Reiche befruchtet und jeden Feind
ersäuft? !
Zur Zeit, als Deutschland, dieses götter-
hafte Gebilde völkischer Kraft und Einheit im
Fiebertode lag — anno 1630 — waren bei uns
über dem vermauerten Torbogen die Bürger
Georg Perghofer, Hutmacher, Paulus Payer,
Handelsmann und Jsak Ortner, gewesener Bür
germeister und Aufschlagseinnehmer, seßhaft.
Und der Jsak Ortner hatte für die Stadt
und ihre Geschichte Verständnis gehabt.
Glauben Sie mir, Herr Gruber, wir fin
den gewiß etwas hinter dem vermauerten
Torbogen!"
So sprach der Fremde aus Amsterdam,
welchen ich, wenn mich mein Gedächtnis nicht
trog, im Schriftsteller-Verein „Die Scholle"
kennen gelernt hatte.
Um halb 12 Uhr nachts zahlte ich das
„Sperrsechserl" und ließ ihn in die schneever
wehte Tanbruckgasse des 12. Wiener Gemeinde
bezirkes hinauswandern.
Am 13. November war ich in Schärding.
Meine Eltern feierten das vierzigste glückliche
Ehestandsjahr, meine Fahrt hatte also doppelte
Bedeutung.
Halb elf Uhr nachts.
Ich ging über den Hauptplatz. Gelbe
Lichter flössen aus den Scheiben des Baumgart-
nerischen Kaffeehauses, Weißblau leuchtete die
Bogenlampe und das Riesenauge der Linzerturm
uhr zeigte nicht die richtige Zeit. Bei Altmann
schien es lustig zuzugehen, dann verschluckte
mich das dämmernde Dunkel des Linzertores.
Und eine schwarze milde Hülle umgab mich, als
ich in den Seilergraben hinabstieg. Eine greif
bare Ruhe lag in der finsteren, hohlen, furchen-
durchwühlten Straße. Vorne beim Lagerkeller
der ehemaligen Wieningerschen Brauerei hockten
drei dickbäuchige Untiere, Riesenkäfer aus einer
längstverschollenen Mastodontenwelt, im Näher
kommen wurden sie harmlose Bierfässer. Bei
den verfallenen Zwillingshütten der eingegangnen
Seilerei wartete der fremde Altertumsforscher
bereits auf mich, eine abgeblendete Azetylen
laterne, deren milchweißes Licht aus den Spal
ten drang, hing über seiner Brust. Die Leiter-
stand im schwarzen Dunkel des Mauerschattens,
fast wäre ich über sie gestolpert.
„Es ist verflucht unruhig", murmelte der
Antiquitätenhändler; „die Soldaten im Schul
hause geben keine Ruhe. Auch Uber den Git
tersteg trabt hin und wieder einer. Doch wir
wollen nicht säumen, ans Werk, inein Bester,
ans Werk!"
Er beugte sich nieder, und jetzt sah ich
erst, daß eine Werkzeugkiste mit Steinbrechzeug,
eine Seilrolle samt Flaschenzug und drei geräu
mige Ledertaschen am Boden bereit lagen.
„Die Steine müssen wir abseilen, ge
worfen darf nichts werden; jedes Geräusch
wollen wir tunlichst vermeiden".
Seine in Wien gezeigte Zuversicht, sein
sicheres Selbstvertrauen hatte er eingebüßt, er
war ängstlich und fahrig, horchte bald nach
rechts, bald nach links und wenn oben am Pro-
menadeweg sich Schritte vernehmen ließen,
bückte er sich und drückte sich zur Mauer.
Das gefiel mir nicht.
Sollte der absonderliche Mensch nichts
Gutes im Schilde führen? Sollte unter dein
Deckmantel des Forschend nach Altertümern ein
regelrechter Einbruch verübt werden?
Meine kindliche Sorglosigkeit, meine schran
kenlose Vertrauensseligkeit kamen mir allmählich
läppisch vor. Wie konnte ich nur so blind
gläubig folgen ?
Doch jetzt war ein Auskneifen schon zu
spät und das wachgewordene Mißtrauen machte
das ausgereifte Unternehmen nicht mehr unge
schehen. Ist er ein Einbrecher, dachte ich mir,
dann schlage ich ihm mit dem Steinschlägel eine
über den Kopf I
Ueberraschend leicht lösten sich die Steine
aus denn Gefüge. Der Amsterdamer stand über
mir und machte über die freigewordenen unför
mig kugeligen Sandsteintrümmer eine netzartige
Schlinge und ließ sie sorgsam hinunter zür fest
gefrorenen Erde. Es dürfte kaum eine Viertel
stunde schweigsamer emsiger Arbeit nötig ge
wesen sein, als wir das Loch derart ausgeweitet
hatten, daß wir bequem hineinschlüpfen konnten.
Eine dumpfe, modrige Finsternis umfing uns.
Vorsichtig ließen wir uns auf den Boden des
Gewölbes nieder. Die Einbruchsstelle war
glücklich berechnet, kaum einen Meter über dem
Fußboden war das Loch angebracht. Die Aze
tylenlampe trat in ihre Rechte und leistete uns
wertvolle Dienste.
Die blendend weißen Strahlenbündel er
hellten die dunklen Winkel des Gewölbes.
Schutt und Steingervlle bedeckten den harten
Lehmboden. Aber ein oberflächlicher Blick zeigte
uns schon, daß uns reiche Beute winke, daß der
Lohn für die mitternächtige, abenteuerliche
Arbeit nicht ausbleiben werde.