Volltext: Der Sammler 5. Jahrg. 1909 (1909)

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geschriebenen Artikel eifern unwillkürlich zur 
Mitarbeit an. 
IV. 
Zum Schlüsse möchte ich Ihr Augenmerk 
noch auf einen Gegenstand lenken, der Ihnen 
vielleicht etwas ferner zu liegen scheint, es aber 
in der Tat nicht ist, die Benützung der Kir 
che n b ü ch e r für diekulturgeschichtlicheForschung. 
Die Kirchenbücher (Tauf-, Ehe- und 
Sterbebücher, Kirchenrechnungen), die bei uns 
meist nach 1600 beginnen, bieten eine Menge 
Notizen über Persönlichkeiten des betref 
fenden Ortes oder auch Landes, besonders in 
Gegenden, in denen adelige Sitze lagen. 
Sie sind eine wichtige Quelle für die 
Kriegsgeschichte. Aus den Ziffern der 
Geburten, aus den Sterbelisten und Ehematriken 
gewinnen wir ein vollständig objektives Bild 
über die Volksbewegung, die durch die 
Kriege stattgefunden hat. Das gleiche gilt für dieZei- 
ten der ansteckenden Krankheiten, vor allem der Pest. 
Die Kirchenbücher haben eine besondere 
Bedeutung für die Familiengeschichte, 
die nicht nur eine rein lokale Bedeutung besitzt. 
An die Familiengeschichte knüpfen sich auch 
Fragen allgemeiner Natur, die nur durch mög 
lichst allseitige Beobachtung und eine Menge von 
Belegen gelöst werden können. So lassen sich 
manche Gesetze über das Werden und Vergehen 
von Familien ableiten. Man hat gezeigt, daß 
eine Familie nur in seltenen Fällen über drei 
Jahrhunderte auf demselben Grund und Boden 
auf der Höhe sich zu erhalten vermag. Es kom 
men beim Menschen ganz ähnliche Gesetze zur 
Anwendung wie bei der übrigen Natur (Klima 
schwankungen, Gletscherschwankungen 2c.) Die 
familiengeschichtliche Forschung hat einen viel 
größere Ausdehnung gewonnen, seitdem in 
Deutschland eigene Organisationen hiefür be 
stehen. Mehrere Vereine, die ihre Wirksamkeit 
auch aus-Deutsch-Oesterreich ausdehnen, haben 
eigene Sekretariate errichtet, um Mittelpunkte 
für diese Forschung zu schaffen?) Wer sich ein 
gehender damit befassen will, lese die vor kurzer Zeit 
erschienene „Familiengeschichtliche Quellenkunde" 
von Ed. Heydenreich (Leipzig 1909). 
Die Angaben der Kirchenbücher bilden 
ferner eine unvergleichlich sichere Grundlage für 
die Kenntnis der Herkunft der verschiedenen 
Bestandteile unserer Bevölkerung und damit 
auch der Volksmischung. Wir dürfen hie 
bei nicht bloß an adelige und bürgerliche Fa 
milien denken, sondern auch an bäuerliche und 
‘) Wie die Zentralstelle für deutsche Personen- und 
Familiengeschichte mit dem Sitze in Leipzig. Vgl. den 
Aufsatz „Stammbaum- und Ahnentafel" von Weber in 
der „R i e d e r H e i m a t k u n d e" I. Heft, Nr. 14, so 
wie Lütgendorf-Lein bürg, Familiengeschichte, 
Stammbaum und Ahnenprobe, kurzgefaßte Anleitung für 
Familiengeschichtsforscher.Frankfurt,Verlag von Heinr.Keller. 
Arbeiterfamilien. Daß die adeligen Sitze im 
Laufe der Jahrhunderte ihre Herren stark ge 
wechselt haben, besonders seit ungefähr 1600, 
ist ja bekannt. Es kamen oft ganz fremde Herr 
schaften in unsere Gegend. Sie brachten viel 
fach auch eine fremde Dienerschaft und ein 
fremdes Arbeitspersonal mit, das nun in der 
neuen Gegend heimisch wurde und durch Ver 
heiratung einen neuen Bevölkerungseinschlag er 
zeugte. Besonders wichtig sind hiefür die Zeiten 
des 30jährigen Krieges und die Jahrzehnte her 
nach. In unsere Gegend z. B. sind damals 
viele Familien aus Schwaben und Südbayern 
eingewandert. Ich erinnere nur an die Rieder 
Künstlerfamilie der Schwantaler (um 1630). 
Ein weiterer Punkt ist die Anlage einer 
genauen B e v ö l k e r u n g s st a t i st i k, die Fest 
stellung der Zu- und Abnahme der Bevölkerung 
in den verschiedenen Jahrhunderten - 
Besonderes Interesse bieten die Tauf 
namen. Sie gewähren reichliches Material 
für die Geschichte des Einflusses geistiger 
Strömungen. Bei den Tausnamen kann man 
3 Gruppen unterscheiden: Namen, die sich wäh 
rend der 300 Jahre immer behauptet haben, die 
also ein zäh bewahrtes Erbe der Vorzeit bilden; 
ferner sogenannte Modenamen und Namen, die 
nur vereinzelt vorkommen und daher ein Aus 
druck der Gesinnungsrichtung bestimmter Per 
sonen sind. 
Wir erkennen in den Taufnamen den Ein 
fluß der reformatorischen Bewegung, durch die 
die biblischen Namen viel häufiger werden als 
in der früheren Zeit; wir sehen, daß im 17. und 
18. Jahrhundert eine große Einförmigkeit in der 
Wahl der Taufnamen eintritt, daß Johann und 
Georg mit ihren Zusammensetzungen stark über 
wiegen. Wir finden in ihnen ferner den Ein 
fluß, den politische Strömungen ausüben, ausge 
prägt, z. B. in den Namen Friedrich, Wilhelm und 
^Karl, Maria Theresia und Josef, Louis und 
Antoinette. Wenn eine solche Tausnamentabelle 
für jeden Ort unseres Bezirkes durchgeführt 
wäre, so ergäbe das ein reizvolles kulturhisto 
risches Bild. 
Die Kirchenbücher geben endlich auch Auf 
schluß über die Schulverhältnisse in 
früheren Jahrhunderten, besonders seit dem 
17. Jahrhundert. 
Damit sind nur einige der Ziele genannt, 
welche die Heimatforschung zu verfolgen hat. 
Möge es uns gegönnt sein, in jedem Lehrer des 
Bezirkes eine treue Stütze unserer Bestrebungen 
zu finden. Dann darf ich auch Ihnen den 
Segenswunsch des Dichters zurufen: 
Heil dem Manne, der die Blicke 
Gern zu seinen Ahnen kehrt. 
Seiner Väter soll sich freuen 
Wer sich fühlt der Väter wert. (Hesekiel.) 
Or. Franz Berger. 
Herausgeber: Der Museal-Verein Schärding. — Verantwortlicher Redakteur Joh. Vees, Cchärdine. 
Druck I. Vees, Schärding.
	        
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