Volltext: Der Sammler 5. Jahrg. 1909 (1909)

vor. Denn nimmermehr kann sie uns das ge 
währen, was die Großartigkeit der Gebirgswelt 
und des Meeres oder die Zartheit einer idyl 
lischen Landschaft uns bieten können. Doch ist 
ein Etwas in der Heimat vorhanden, was wir in 
der herrlichsten Gegend vergebens suchen. 
Betrachten wir unser Ländchen mit den 
Augen eines Kindes und wir werden dann die 
unauslöschlich in unser Herz ■ eingeschriebenen 
Züge deS Mutterantlitzes in ihm sehen. 
Hier nahmen wir unseren Ursprung, hier sogen 
wir die ersten Eindrücke ein, die so fest haften, 
daß wir sie bis ans Lebensende nicht vergessen 
werden und sollten wir meilenweit von der 
Heimat entfernt wohnen. Wir lieben unser 
Land, denn es ist unsere Heimat. 
Aber auch die Pflicht drängt uns, die 
Heimat gründlicher kennen zu lernen als der 
gewöhnliche Mann. Es ist ein allgemein aner 
kannter pädagogischer Grundsatz, daß die Be 
nützung des heimatlichen Erfahr 
ungskreises den Ausgangspunkt des 
Unterrichtes in fast allen Fächern bilden muß. 
Das gilt für alle Bildungsanstalten, für Volks 
schulen sowohl als wie für Mittelschulen. Und 
pflegen nicht auch die Hochschulen sowohl in der 
Naturkunde als in der Geschichte das Heimat 
liche in besonderer Weise? Die Universitäten 
weisen für Heimatgeschichte eigene Lehrkanzeln 
auf, wie Innsbruck für tirolische, München für 
bayerische Geschichte usw. Und gerade darin, 
daß unserem Lande eine Universität fehlt, haben 
wir die Ursache zu suchen, daß bei uns verhält 
nismäßig zu wenig für die Erforschung der 
Heimat geschehen ist, daß in unserem Lande die 
Leute, Schüsse sausten über ihre Köpfe hinweg; 
das Jammergeschrei und Klagen war erschütternd. 
Auch Hie Bewohner der Ortschaften und 
Häuser die längs der Heerstraße lagen, waren 
den entsetzlichsten Plünderungen und Mißhand 
lungen des Feindes ausgesetzt. Dazu kamen die 
zahllosen Vorspannen, Requisitionen und Liefer 
ungen, die unnachsichtig streng eingetrieben wurden. 
Da nirgendsmehr ein Bund Heu oder Stroh 
oder ein Metzen Getreide aufzubringen war, 
waren die Leute gewissenlosen Händlern ausge 
liefert, die die Preise der notwendigsten Dinge 
entsetzlich hinauftrieben. Das Aermlichste und 
Ungenießbarste wurde wie ein Leckerbissen ge 
achtet. An den Heeresstraßen lagen tote Menschen 
und Tiere, welche die Luft weithin verpesteten. 
Das Elend in der ganzen Schärdinger Gegend 
war unbeschreiblich. 
Am 1. Mai traf Napoleon in Braunau 
ein und reiste über Ried und Wels weiter gegen 
Wien. Am 16. Mai hörten die Durchzüge der 
Franzosen für diesesmal auf. _ 
Die Bewohner Schärdings gingen nun 
daran, sich aus den Ruinen ihrer Häuser, neue 
meisten Vorarbeiten fehlen, um ab 
schließende Werke schaffen zu können. Eine so 
herrliche Kunstgeschichte, wie sie Tirol in dem 
Buche von Atz besitzt, so vortreffliche Schriften 
über Volksleben, wie sie in Tirol erscheinen, 
sind bei uns bis jetzt wohlein Ding der Unmöglichkeit. 
Dies ist anderseits wieder die Ursache, 
daß wir die Heimatkunde nicht in dem Um 
fange in der Schule verwerten können, wie 
es uns die Pädagogik vorschreibt, wie es Lyon 
in seiner Schrift über „Die Schule der Gegen 
wart" treffend zusammengefaßt hat: 
„Die Heimat i st das M a ß d e s 
Fremden. Ohne Verständnis heimischer 
Sprache, Geschichte, Geographie, Volksentwick 
lung, des heimischen Gewerbes, Schaffens und 
Arbeitens, der heimischen Kunstdenkmäler, Bau 
ten und Kulturüberlieferungen, der angestamm 
ten Eigenart, des Grundes und Bodens bleibt 
uns jede fremde Sprache und Kultur ein unver 
standenes Rätsel. An die Heimat sollte sich da 
her der Unterricht bis in die obersten Klassen 
der höheren Schulen anlehnen! 
Denn „die Heimat liefert nicht nur die 
ersten und zahlreichsten, sondern auch die stärk 
st e n und l e b e n d i g st e n Vorstellungen, die 
als Anknüpfungspunkte für neu aufzunehmende 
besonders wertvoll sind. Sie schafft Grund 
vorstellungen, die als Ausgangspunkte für 
geschichtliche Belehrungen dienen können. Ihre 
geschichtlichen Verhältnisse sind einfacher, besitzen 
Anschaulichkeit und liefern typische Bilder." 
(Rusch)?) 
] ) Vgl. A. Heinrich, Methodik des Geschichts 
unterrichtes (1909) S. 48. 
Wohnstätten des Fleißes zu errichten. Alles be 
mühte sich, den Schutt wegzuräumen. Zur Hilfe 
waren 2000 Arbeiter aus dem Jnnkreise und 
1600 Arbeiter aus Passau beordert worden. Zu 
erst wurden die Werkstätten der dringendsten 
Lebensbedürfnisse wieder hergestellt, die Backöfen, 
Metzgereien und Brauhäuser und um diesen drei 
einigen Kern schloß sich alles übrige kristallartig 
an. Langsam begann das Leben sich wieder 
zu regen, mit der Sicherheit der Wege begann 
der Handel und Geschäftsverkehr. 
Als edler Menschenfreund erwies sich der 
damalige bayrische Landrichter I. Hapfinger von 
Griesbach, der durch einen eigenen Aufruf vom 
27. April in seinem ausgedehnten Gerichtsbezirke 
Sammlungen von Geld, Kleidungsstücken, Lebeys- 
mitteln, Baumaterialien re. einleitete und in 
ausgiebigem Maße den Verunglückten zuführen 
ließ. So wurde es möglich, daß die betroffenen 
Hausbesitzer gar bald, ein vorderhand zwar 
dürftiges, aber doch schützendes Obdach sich auf 
richten konnten. Napoleon hatte den Schärdin- 
gern gestattet, aus dem ärarischen Forste „Lindet" 
sich das nötige Brennholz zu fällen.
	        
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